Die FR feiert im Römer - ohne Pomp und Lobhudelei
Beim Empfang der Stadt zum 80. Geburtstag der FR kommen Menschen zusammen, die von der Rundschau geprägt wurden. Darunter Festrednerin Sylvia Schenk und Gastgeber Mike Josef. Und solche, die die Rundschau geprägt haben.
Wenn die Kaiser im Kaisersaal grün angestrahlt werden und der Oberbürgermeister ein riesiges Album ausklappt, um einen eingeklebten Zeitungsartikel vorzuzeigen, dann gibt es etwas zu feiern. 80 Jahre Frankfurter Rundschau. Und OB Mike Josef mittendrin, der sein erstes Interview bei der FR aus dem Jahr 2006 aufgehoben hat, in dem er die Bewegung gegen Studiengebühren vertrat. „Ich war unheimlich stolz, weil das bundesweit lief“, erzählt der Sozialdemokrat vor rund 200 geladenen Gästen am Donnerstagabend im Römer.

Seit 1945 haben viele Menschen die Frankfurter Rundschau geprägt. Und zugleich hat die Frankfurter Rundschau in 80 Jahren viele Menschen geprägt. Ihren Blick auf die Welt, ihre politischen Haltungen, ihr Bild von Frankfurt.
In den Römer sind viele dieser Menschen gekommen, um das Jubiläum zu feiern. Solche, die von der Rundschau geprägt wurden – darunter Festrednerin Sylvia Schenk und Gastgeber Mike Josef –, und solche, die die Rundschau geprägt haben, darunter die ehemaligen Chefredakteure Thomas Kaspar, Arnd Festerling, Hans-Helmut Kohl und Jochen Siemens.
Oberbürgermeister Mike Josef erinnert sich an sein erstes FR-Interview
Viele treffen sich nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder. Es gibt Hallos, Umarmungen, Wie geht’s Dir – gut, und Dir? Locker, lässig, so wie der Jazz des Andreas Hertel Trios, der den Abend musikalisch begleitet. Und ein Auftakt zur großen FR-Jubiläumsfeier am kommenden Samstag im Frankfurter „Haus am Dom“.
Die FR feiert. Aber ohne Pomp und Lobhudelei. Der OB berichtet, er sei um eine persönliche und „ungravitätische“ Rede gebeten worden. Er freut sich an dieser Sprachschöpfung und wird der Bitte dann gerecht – bloß keine steife Rede.

Nachdem er über sein erstes FR-Interview, seine erste über die FR aufgetane Wohnung und seinen ersten über die FR gefundenen Job (in einem Schuhgeschäft) berichtet hat, kommt Mike Josef doch zu einem ernsten Fazit. Er sei „stolz auf die Frankfurter Medienlandschaft“, mit deren Vielfalt kaum noch eine Stadt mithalten könne, zumal in der Lokalberichterstattung.
Sein Wunsch: Die FR möge auch weiterhin „das politische Geschehen nicht nur schwarz-weiß zeichnen“. Man müsse auch die Grautöne sehen. Und er schließt mit einem Appell: „Wir, Ihre Leserinnen und Leser, brauchen Sie auch in Zukunft“. Großer Beifall.
Festrede von Sylvia Schenk - eine „Nicht-Laudatio“
Sylvia Schenk hält ebenfalls eine sehr persönliche Rede – eine „Nicht-Laudatio“, wie sie sagt, denn auch diese Rede soll ja nicht gravitätisch sein, auch wenn die Kaiser rundherum gravitätisch von ihren Porträts blicken. Seit 50 Jahren sei sie FR-Abonnentin, berichtet die ehemalige Spitzensportlerin, Frankfurter Dezernentin, Richterin, Antikorruptionskämpferin und Unterstützerin der FR „Schlappekicker“-Aktion.
Die erste Begegnung liege aber noch länger zurück: 1971 war das, als die Läuferin Schenk zur Leichtathletik-Abteilung von Eintracht Frankfurt wechselte – und die Eintracht-Funktionäre sie noch am selben Tag mitnahmen zum Interview im alten Rundschau-Haus an der Großen Eschenheimer Straße.

Schenk greift Mike Josefs Appell gegen das Schwarz-weiß-Zeichnen in der politischen Öffentlichkeit auf. Nur fände sie grau nicht so attraktiv, sondern plädiere mehr für bunte Vielfalt. Wie auch immer: Der gesellschaftliche Aufbruch, für den die FR steht, spiegelt sich in den Reden des Abends. „Dass ein ehemaliger Flüchtling aus Syrien hier als Oberbürgermeister spricht und eine Frau die ,Nicht-Laudatio‘ hält, daran haben Sie einen Anteil“, attestiert Schenk der Jubiläums-Zeitung.
„Die Sprache der FR erreicht die Menschen.“
„Frankfurt und Rundschau, das ist ein Stück eins“, fügt sie hinzu. In den Krisenzeiten habe die FR gezeigt, dass sie sich „Resilienz“ erarbeitet habe. Nicht zuletzt die „hohe Motivation“ der Redaktion trage dazu bei, betont sie und appelliert an den Verleger Dirk Ippen: „Ein konservativer Verleger kann durchaus Möglichkeiten schaffen, damit diese linksliberale Haltung weiterbesteht.“ Seit 2018 gehört die FR zum Ippen-Verlag. Neben dem Verleger ist Geschäftsführer Max Rempel zum Fest gekommen.
Schwerpunkte Klima und Soziales zusammendenken
Auch Ann Anders ist da, die frühere Frankfurter Grünen-Politikerin und Tochter des ehemaligen FR-Verlagsleiters Karl Anders – dessen Rolle dank ihrer Hartnäckigkeit zum Jubiläum wiederentdeckt worden ist. Anders hatte die FR von 1953 bis 1957 gemeinsam mit Karl Gerold geleitet und war bisher in der Geschichtsschreibung aus unbekannten Gründen nicht erwähnt worden. Sylvia Schenk würdigt, dass diese Lücke in der Jubiläumsbeilage geschlossen worden sei – und äußert die Hoffnung, dass damit „ein Stück Trümmer aus dem Weg geräumt“ worden sei.

Daneben appelliert die Rednerin an die FR-Redaktion, ihre Schwerpunkte Klima und Soziales zusammen zu denken und unterschiedliche Gruppen der Gesellschaft zusammenzuführen. Und sie setzt sich mit der Entscheidung der FR für geschlechtergerechte Sprache auseinander: Seit 2020 nutzt die Zeitung auch den Doppelpunkt innerhalb eines Wortes, um klarzustellen, dass alle Geschlechter gemeint sind. „An den Doppelpunkt habe ich mich nie gewöhnt“, stellt Schenk fest. Genau so wolle sie aber auch „manchen Ministerien zurufen: Geben Sie Genderfreiheit“, fügt die Rednerin mit Blick auf die Anti-Gendersprache-Politik der hessischen Landesregierung hinzu.
FR-Chefredaktion mit Karin Dalka und Michael Bayer nennt Fragen, in denen die Redaktion streitet
Zwischen dem OB und der Festrednerin Schenk kommt die Chefredaktion der FR zu Wort. Karin Dalka im FR-grünen Jackett und Michael Bayer im hellgrünen Anzug wechseln sich ab mit ernsthaften Anmerkungen zur Arbeit der Redaktion und einigen amüsanten Anekdoten.
So berichtet Dalka, welche Ansage „von einer großen Zeitung in Frankfurt“ kolportiert werde: „Bitte kleiden Sie sich so, dass man Sie von einem FR-Redakteur unterscheiden kann.“ Großes Gelächter. Dabei haben sich einige FR-Leute für diese Feierstunde so herausgeputzt, dass man sie glatt für FAZ-Redakteurinnen oder -Redakteure halten könnte.

Die FR hält Kurs bei vielen Themen: „Beim Klimaschutz, gegen Rassismus, Schutz von Minderheiten, für Menschenrechte und die Gleichstellung aller Geschlechter, und nicht zuletzt beim Kampf gegen rechts, der ja heute so nötig ist wie schon lange nicht mehr“, zählt Bayer auf.
Doch es gebe auch Fragen, in denen die Redaktion streite. Wie kapitalismuskritisch soll es sein? Oder: Was heißt es, in einer Zeit der Aufrüstung „Friedenszeitung“ zu sein? Da mute das Blatt seiner Leserschaft zu, verschiedene Positionen auszuhalten. Und die Leserschaft meldet sich zu Wort, die zum Teil „wesentlich linker“ als die Redaktion sei, wie Dalka berichtet.
„Es war eine ungravitätische Feierstunde. Ich freue mich auf die Demokratiefeier am kommenden Samstag und wünsche der FR, dass sie nicht mehr leidensfähig sein muss.“
Große Teile der FR-Leserschaft halten der Zeitung seit Jahrzehnten die Treue. Das konnte die Chefredaktion Anfang des Jahres erleben, als sie wegen der Umstellung des Zeitungsformats eine Telefonaktion angeboten hatte. Die Leserinnen und Leser meldeten sich zahlreich – und erzählten oft, wie eng sie der Zeitung verbunden seien. Von „einer Welle der Sympathie“ spricht Dalka. Die intensive Verbindung soll bleiben, aber kritisch, wie sich das für die FR gehört. „Seien Sie unbequem“, ruft die Chefredakteurin dem Publikum zu.

Viel Applaus für das Andreas Hertel Trio
Dann schenkt die Stadt Wasser, Wein und Sekt aus, es gibt Laugengebäck und Gespräche an den Stehtischen. Schließlich packt das Andreas Hertel Trio seine Instrumente ein. Auf der Bühne haben die drei Musiker:innen als letztes Stück „Isn’t she lovely“ gespielt, das Stück, das Stevie Wonder für seine Tochter geschrieben hat. An diesem Tag, an dem die FR derart umschwärmt wird, könnte man glauben, es wäre auf die Rundschau gemünzt. Aber das wäre dann doch zu gravitätisch für eine Zeitung, die dem kritischen Diskurs verpflichtet ist.

Transparenzhinweis: In einer ersten Fassung stand fälschlicherweise, Ex-Chefredakteur Wolfgang Storz sei bei dem Empfang dabei gewesen.
80 Jahre Frankfurter Rundschau
Am 1. August 1945 erschein die erste Ausgabe unserer Zeitung. Unser Onlinedossier blickt zurück auf die Geschichte, beschreibt die aktuelle Lage der Zeitung. Und berichtet natürlich über die Geburtstagfeiern.
Der Demokratiekongress
Happy Birthday, alte Dame – die FR feiert mit dem Fest der Demokratie. Ein Überblicksartikel.
Die Diskussionen zum Nachschauen: Sehen Sie hier 16 Panels mit Fachleuten aus Wissenschaft, Publizistik und Politik.
Die Sofatalks mit prominenten Gästen zum Nachhören.
Details zu ausgewählten Panels und Workshops:
- Wofür brauchen wir die Wehrpflicht? (Mit Fabian Lehr und Niklas Schörnig)
- Warum ist Linkssein wieder sexy? (Mit Bodo Ramelow und Stella Merendino)
- Was tun gegen die Klimakrise? (Mit Claudia Kemfert und Thomas Hickler)
- Kann Musik doch die Welt retten? (Mit Bernd Loebe und Günter Frankenberg)
- Konter gegen rechte Parolen. Ein Workshop hilft im Alltag zu argumentieren, wenn man Stereotypen und Rassismus begegnet.
Der Empfang im Römer
Das „Who is Who“ beim Empfang für die FR im Römer. Eine Fotostrecke.
Die vier Folgen unserer Historie
Teil 1: Holpriger Start im August 1945 - die erste Frankfurter Rundschau entstand in den Trümmern des Frankfurter Zeitungsviertels. Zunächst zweimal die Woche. Und in einer streitenden Redaktion.
Teil 2: Pflichtlektüre für die 68er - Nähe und Distanz prägen das Verhältnis der FR-Redaktion zur außerparlamentarischen Opposition.
Teil 3: Eine Zeitung in Not - die FR wird mehrfach spektakulär gerettet.
Teil 4: Die Ippen-Jahre seit 2018 - Eigenständigkeit wird großgeschrieben, auch in Zeiten zahlreicher Kooperationen.
Weitere Inhalte
Die FR und ihr Grundgesetz: Die Leitlinien aus der Ära von Karl Gerold lesen sich wie geschrieben für die Gegenwart. Die Frankfurter Rundschau ist nicht neutral – sondern antifaschistisch, linksliberal und zuweilen zornig. Ein Essay von Karin Dalka und Michael Bayer.
Im August 1945 war mehr los, als in die Zeitung passte. Ein Blick in die Erstausgabe der Frankfurter Rundschau von Richard Meng.
Zudem: 80 aufregende Jahre - die wichtigsten Stationen der Frankfurter Rundschau in unserer prägnanten Chronik.