Geschichte der FR: Eine Zeitung in Not

Mehrere Übernahmen, Insolvenz - und dann der Neuaufbau. Die FR macht nach der Jahrtausendwende selbst Schlagzeilen – und wird mehrfach spektakulär gerettet.
Nach der Jahrtausendwende geriet die Frankfurter Rundschau immer mehr in eine wirtschaftliche Schieflage. Die Stellenanzeigen wanderten ins Internet. Auch die Verluste bei Kleinanzeigen (Wohnungen, Autos usw.), die bei der FR lange viele Seiten und damit die Kassen gefüllt hatten, trafen die Zeitung schmerzhaft.
Die FR lebte nun von der Hand in den Mund. Gerade in dieser Zeit wären Modernisierungsinvestitionen in Druckerei, Vertrieb und Verlag fällig gewesen, die andere Zeitungsverlage schon hinter sich hatten. Der FR fehlten die Rücklagen dafür. Hilfreich waren zunächst noch die Druckaufträge, etwa für die „Zeit“ und das „Handelsblatt“.

Doch Druckkunden wollten ihre Aufträge nur verlängern, wenn die Preise um bis zu zehn Prozent gesenkt würden. Im Jahr 2002 verlor die Druckerei mehrere Großaufträge, die Hälfte des Umsatzes. Die Gläubigerbanken bewirkten, dass die Geschäftsführung alle Macht an einen Generalbevollmächtigten abgab.
CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth engagiert sich für die FR
In dieser Phase setzte sich die CDU in Person der Oberbürgermeisterin Petra Roth („Das liberale Frankfurt braucht die liberale FR“) vehement für die Zeitung ein. So kam es, dass die CDU-geführte Landesregierung unter Roland Koch die FR 2003 mit einer Ausfallbürgschaft stützte. Diese sicherte die Kredite bis Mitte 2004 ab.
Dann entschloss sich die SPD-Medienholding Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH (ddvg), die FR zu retten. Sie übernahm im Mai 2004 von der Karl-Gerold-Stiftung, die bis dahin Alleineigentümerin gewesen war, 90 Prozent der Anteile am Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main, das die FR herausgibt. Die Stiftung blieb mit zehn Prozent dabei und hält diese dauerhaft.
Um eine Insolvenz abzuwenden, setzten die Haupteigentümer den drastischen Sparkurs des Generalbevollmächtigten fort. Binnen drei Jahren sank die Zahl der Beschäftigten in Redaktion, Verlag und Druckerei von 1784 auf 750. Das Verlagshaus am Eschenheimer Turm wurde verkauft.
Zahlreiche Wechsel an der Spitze der Redaktion
In den Spitzenpositionen der Redaktion begann eine Achterbahnfahrt. In den ersten gut 50 Jahren hatte die FR seit 1947 nur drei Chefredakteure gehabt: Karl Gerold, Werner Holzer, Roderich Reifenrath, von 2000 bis heute elf.

Auf Reifenrath folgten 2000 in einer Doppelspitze dessen Vize Jochen Siemens und Hans-Helmut-Kohl. Schon bald forderte der Generalbevollmächtigte einen weiteren Personalabbau. Mit Innovationsvorschlägen drangen beide Chefredakteure bei den alten Herren in der Verlagsspitze nicht durch.
Nächster Chefredakteur wurde der bisherige Stellvertreter Wolfgang Storz. In seiner Zeit fielen 110 Stellen weg, aber er stärkte die regionale Ausrichtung mit Redaktionsbüros in Städten um Frankfurt und führte die Stadtteilseiten wieder ein. Überregional versuchte er, mit einer täglichen Beilage FR+ zu punkten
Der Kölner Verlag M. DuMont Schauberg kauft die Mehrheit an der FR
Nachdem aus ihrer Sicht die Hauptarbeit der Sanierung getan war, verkaufte die ddvg 2006 den Mehrheitsanteil der FR samt Druckerei an den Kölner Verlag M. DuMont Schauberg („Kölner Stadtanzeiger“). Ein anderer Interessent war die WAZ-Gruppe, womit die FR zur späteren Funke-Mediengruppe gestoßen wäre. Zuvor noch hatte die ddvg Chefredakteur Storz fristlos entlassen und so den Weg für die Neubesetzung durch den neuen Mehrheitsgesellschafter freigemacht.

Die Übernahme durch „die Kölner“ schien wirtschaftlich zunächst ein Grund zum Aufatmen, war der Firmenpatriarch Alfred Neven DuMont doch ein klassischer Zeitungsverleger, der Karl Gerold noch persönlich gekannt hatte. Als Chefredakteur schickte DuMont Uwe Vorkötter, einen Volkswirt mit journalistischer Erfahrung unter anderem in Brüssel.
Er trat an, das Blatt zu modernisieren, auch gegenüber seiner publizistischen Tradition und „altlinken“ Inhalten. Im Jahr 2007 stellte die FR auf das kleinere Tabloid-Format um, was bei einem Teil der Leserschaft nicht gut ankam, der FR aber einen europäischen Preis für Zeitungsdesign einbrachte.
Im Jahr 2009 wechselte Vorkötter nach Berlin, wo er in Personalunion als Chefredakteur für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“ verantwortlich war. In Frankfurt führten Rouven Schellenberger und Joachim Frank die Redaktion, beide keine FR-Gewächse. Die Redaktion blieb auf kritisch-aufklärerischem Kurs. In dieser Zeit berichtete die FR ausgiebig über systematisches Mobbing gegen hessische Steuerfahnder und über die Fälle sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule.

Die Frankfurter Rundschau schrumpft in die Insolvenz
Seit Jahren schon hatten die FR-Beschäftigten auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichtet. Immer mehr Redakteurinnen und Redakteure wurden über Abfindungsangebote zum Ausstieg bewogen. Feste freie Mitarbeitende der Regionalausgaben wurden entlassen. Einige bekamen das Angebot, sich schlechter bezahlt in einer Leiharbeitsfirma anstellen lassen. Verlagsangestellte wurden entlassen, die Verwaltung nach Köln verlagert.
Nach 2010 verlor die FR ihr eigenständiges bundespolitisches Büro. DuMont Schauberg gründete in Berlin eine Redaktionsgemeinschaft, die die „Frankfurter Rundschau“, die „Berliner Zeitung“, den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und die „Mitteldeutsche Zeitung“ in Halle mit überregionalen Inhalten belieferte.

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Geschrieben wurden diese Texte großteils von Korrespondenten, die zuvor bei der FR angestellt gewesen waren. Das bedeutete: Die Qualität blieb erhalten, aber die Exklusivität war dahin.
Seit Juli 2012 stand Arnd Festerling an der Spitze der Redaktion. Die FR kam nicht aus den roten Zahlen. DuMont Schauberg zog schließlich die Reißleine. Am 13. November 2012 wurde ein Insolvenzantrag gestellt. Redakteurinnen und Redakteure, die bereits Auflösungsverträge unterschrieben hatten, verloren ihre Abfindung. Die Insolvenz kostete auch gut 500 Druckereibeschäftigte den Arbeitsplatz. Die meisten von ihnen kamen woanders unter. Und wieder steht die Frage im Raum: Was wird?
FAZ und FNP holen sich die FR ins Haus, die dann ihr Profil schärft
Im Frühjahr 2013 wurde die FR von der Frankfurter Rundschau GmbH übernommen. Deren Gesellschafterinnen waren die Frankfurter Societät (55 Prozent), die auch die „Frankfurter Neue Presse“ herausgab, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (35 Prozent) sowie die Gerold-Stiftung (10 Prozent). Die Herstellung der Zeitung übernahm von nun an die Societäts-Druckerei in Mörfelden. Fast alle Beschäftigten aus den Verlagsabteilungen der FR verloren ihre Stelle.

Die Übernahme erwies sich als strategisch kluge Entscheidung, ökonomisch und politisch. Ökonomisch: Die drei Zeitungen FR, FNP und FAZ verfügten nun über das Anzeigenmonopol in Frankfurt. Politisch: Aus einer Verlagsgruppe heraus wurden verschiedene politische Lager bedient - mit der konservativen FAZ, der bürgerlichen Familienzeitung FNP und der links-liberalen FR.
Die Synergieeffekte wirkten. Schon 2013 schloss die FR erstmals seit Jahren wieder mit einem operativen Gewinn ab.
Die neuen Besitzer legten ausdrücklich Wert darauf, dass die FR ihr linksliberales Profil schärft. Sie stellten auch Personal ein, damit die FR ihren Mantelteil wieder selbst gestalten konnte. Zur weiteren Profilierung wurde die ehemalige „taz“-Chefredakteurin Bascha Mika berufen, die mit Festerling die Chefredaktion bildete. Und von 2016 an konnte die FR ihr Profil mit der Wochenendbeilage FR7 erweitern.

Im Jahr 2018 entschied die FAZ, sich doch lieber auf die traditionelle Hauptmarke zu konzentrieren – und verkaufte ihren 90-prozentigen Anteil an die Zeitungsholding Hessen. Deren Eigentümer wiederum waren ein Zeitungsverlag aus der Ippen-Gruppe (80 Prozent) sowie die Mittelhessische Druck- und Verlagsgesellschaft (20 Prozent) der Gießener Verlegerfamilie Rempel.
80 Jahre Frankfurter Rundschau
Am 1. August 1945 erschein die erste Ausgabe unserer Zeitung. Unser Onlinedossier FR80 blickt zurück auf die Geschichte, beschreibt die aktuelle Lage der Zeitung – und stellt das Programm unserer politischen Geburtstagsfeier am 20. September vor, zu der Sie herzlich eingeladen sind.
Dieser Text ist der dritte Teil unserer Historie. Weitere Folgen:
Teil 1: Holpriger Start im August 1945 - die erste Frankfurter Rundschau entstand in den Trümmern des Frankfurter Zeitungsviertels. Zunächst zweimal die Woche. Und in einer streitenden Redaktion.
Teil 2: Pflichtlektüre für die 68er - Nähe und Distanz prägen das Verhältnis der FR-Redaktion zur außerparlamentarischen Opposition.
Teil 4: Die Ippen-Jahre seit 2018 - Eigenständigkeit wird großgeschrieben, auch in Zeiten zahlreicher Kooperationen.
Weitere Inhalte im Dossier (Auszug):
Die FR und ihr Grundgesetz: Die Leitlinien aus der Ära von Karl Gerold lesen sich wie geschrieben für die Gegenwart. Die Frankfurter Rundschau ist nicht neutral – sondern antifaschistisch, linksliberal und zuweilen zornig. Ein Essay von Karin Dalka und Michael Bayer.
Im August 1945 war mehr los, als in die Zeitung passte. Ein Blick in die Erstausgabe der Frankfurter Rundschau von Richard Meng.
Zudem: 80 aufregende Jahre - die wichtigsten Stationen der Frankfurter Rundschau in unserer prägnanten Chronik.