Schwarz-grünes Hessen schiebt weiter nach Afghanistan ab

Die Grünen halten die Rückführung nach Afghanistan für fatal, doch Hessen verhängt keinen Stopp. Die Partei verweist auf den Bund – dabei könnte das Land handeln.
Die Grünen im Bund dringen angesichts der katastrophalen humanitären Lage in Afghanistan und des Vormarschs der Taliban darauf, Abschiebungen in das Land zu beenden. Die schwarz-grüne hessische Landesregierung verhängt jedoch keinen derartigen Abschiebestopp, obwohl sie das tun könnte. CDU und Grüne sehen den Bund am Zug.
Pro Asyl beklagt „Pingpongspiel“
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl beklagt ein „Pingpongspiel“ zu Lasten der betroffenen Menschen. Ein zunächst dreimonatiger Abschiebestopp „wäre ein klares Signal einer schwarz-grünen Landesregierung, dass man die Sicherheitslage ernst nimmt“, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, der Frankfurter Rundschau am Freitag.
Grünen-Bundespolitiker wie Bundesparteichef Robert Habeck, der Frankfurter Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour und die Flüchtlingspolitikerin Luise Amtsberg greifen insbesondere den Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet und Außenminister Heiko Maas (SPD) bei dem Thema an. Laschet hatte die weitere Abschiebung von Straftätern und Gefährdern befürwortet. Maas ist für den Lagebericht des Auswärtigen Amts verantwortlich, in dem ein klares Signal gegen weitere Abschiebungen gesetzt werden könnte.
Grüne: „Fatal und verantwortungslos“
„Weitere Rückführungen sind fatal und verantwortungslos“, formulierten Nouripour und Amtsberg. Doch die „moralische Bankrotterklärung“ hielten sie ausdrücklich der schwarz-roten Bundesregierung vor, nicht den grün mitregierten Ländern. Die Abgeordnete Amtsberg ließ sich jedoch in der Tageszeitung taz mit den Worten zitieren: „Grüne, die in Bundesländern mitregieren, sollten das Gespräch mit ihrem Koalitionspartner suchen und das Thema auf die Innenministerkonferenz tragen.“
Hessen kann agieren
Bundesländer haben die Möglichkeit, eigenständig einen Abschiebestopp für bestimmte Länder anzuordnen, der drei Monate dauert – und zwar „aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland“. Das ist in Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes geregelt.
Der Bundesinnenminister muss erst nach einer Verlängerung um weitere drei Monate, also nach insgesamt sechs Monaten, sein Einvernehmen erklären. pit
Die hessischen Grünen denken offenbar nicht über einen Abschiebestopp des Landes nach. Ihre innenpolitische Sprecherin Eva Goldbach sagte der FR: „In der Frage, ob nach Afghanistan abgeschoben werden soll, ist angesichts der dramatischen Entwicklung der dortigen Sicherheitslage dringend eine klare Entscheidung auf Bundesebene für einen Abschiebestopp erforderlich. Ich sehe eine große Wahrscheinlichkeit, dass dies noch in diesem Jahr passieren wird.“
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Abschiebung nur bei „schweren Verbrechen“
Bis dahin gelte die Vereinbarung von CDU und Grünen, dass ausschließlich Personen für eine Abschiebung nach Afghanistan in Frage kämen, die „wegen schwerer Straftaten verurteilt“ wurden. Goldbachs CDU-Kollege Alexander Bauer formuliert ähnlich. Abgeschoben würden nur Personen, „die schwere Verbrechen begangen haben und verurteilt wurden“.
Das ist insofern eine bemerkenswerte Formulierung, als bisher stets davon die Rede war, dass „vorrangig“ Straftäter sowie Gefährder nach Afghanistan abgeschoben würden. Auf diese Formulierung aus dem Koalitionsvertrag, die auch eine Abschiebung von unbescholtenen Personen offen hält, verweist das Innenministerium von Peter Beuth (CDU) weiterhin.
Beuth: Gesetzlich zur Abschiebung verpflichtet
Dort betont der Sprecher, dass Hessen „gesetzlich dazu verpflichtet“ sei, „die Ausreisepflicht im Wege der Abschiebung zu vollstrecken, wenn ein Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist, seiner Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkommt und kein Abschiebungshindernis vorliegt“. Die Beurteilung der Sicherheitslage erfolge „ausschließlich durch die Bundesregierung“.
Kirche: Bundesländer sollen vorangehen
Kirchen und Wohlfahrtsverbände wie der Paritätische und die Diakonie dringen schon lange auf einen Abschiebestopp. „Es ist jetzt an den Bundesländern, voranzugehen und entsprechende Abschiebungsstopps zu erlassen. Das könnten sie, wenn sie nur wollten“, sagte der Interkulturelle Beauftragte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Andreas Lipsch.
Die Möglichkeit sei „gesetzlich explizit vorgesehen“. Auf diese Weise könne die Zeit bis zur Innenministerkonferenz Anfang Dezember überbrückt werden, damit dort ein bundesweiter Abschiebungsstopp vereinbart werde, fügte Lipsch hinzu.
Große Symbolik, geringe Zahl
Der großen symbolischen Bedeutung des Themas steht nur eine relativ geringe Zahl von Betroffenen gegenüber. Im Jahr 2021 wurden nach Angaben des Innenministeriums aus Hessen 20 Personen nach Afghanistan abgeschoben, alle männlich und allesamt verurteilte Straftäter. (Pitt von Bebenburg)
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