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Krieg in der Ukraine: Eine Frage der Haltung

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Wie schreibt, zeichnet und layoutet man über den Krieg, wenn man für den Frieden ist?
Wie schreibt, zeichnet und layoutet man über den Krieg, wenn man für den Frieden ist? © Mia Bucher/dpa

Acht Werkstattberichte von unseren Autor:innen aus den verschiedenen Ressorts der Redaktion.

„Die Frankfurter Rundschau vertritt eine Außenpolitik des Friedens, der Entspannung und der europäischen Einigung.“ So heißt es in einem Zusatz zum Anstellungsvertrag, den jede FR-Redakteurin und jeder FR-Redakteur unterschreibt. Was bedeutet das für unsere Arbeit in Zeiten eines Krieges in Europa? Wie gehen wir mit „alten Gewissheiten“ um? Wie wirken sich die Zweifel und die Zerrissenheit aus, die uns die Realität aufzwingt?

Thomas Plassmann, Karikatur: Krieg ist nicht lustig

Seit einem Jahr stelle ich mir immer und immer wieder die Frage: Kann ich dem Krieg und all seinen Auswirkungen mit den Mitteln und Möglichkeiten der Karikatur gerecht werden? Taugt sie, auch unter Panzerketten, Tod und Zerstörung, als das pointierte Werkzeug der Beobachtung und Kommentierung?

Kanonendonner … und Humor? Schmunzeln, breites Lachen, verstehendes Grinsen … und Bachmut? Losprusten, Frühstückskichern, ein Brüller … und Butscha? Natürlich sind kleine Männer an übergroßen Tischen eine humoristische Steilvorlage – aber ihre Arme stecken bis zu den Schultern in Blut! Gewiss bildet das politische Gezerre um die Panzerlieferung eine satirische Ziel-scheibe – aber es geht um das Leben Tausender! Da ist schnell Schluss mit lustig. Da versagt dann der Witz, und man muss die Zeichnung auf eine andere Basis stellen. Aber Karikatur gibt es auch kalt, messerscharf, todtraurig und komplett humorbereinigt.

Also ja, auch der Krieg ist ein Thema für sie. Und dort in der Ukraine schon zwölf Monate lang. Wie sehr sehnt man sich da zwischendurch nach anderem, nach Politpostengeschacher, Koalitionsknirschen, Tarifgezerre und öffentlichem Nahverkehr. Und doch wird alles wieder überdeckt vom Wüten erbarmungsloser Macht, dem entfesselten Menschen, den Kauernden in den Ruinen und dem Drohen mit atomarer Vernichtung. Und der Griff nach der Feder ist wieder eine neue Herausforderung. So ist die Kunst der

Karikatur unter dem schwarzen Schatten des Krieges, wie die Kunst der Politik und Diplomatie, vor allem auch eines: eine Gratwanderung.

Thomas Plassmanns Karikaturen bedürfen keiner Worte.
Thomas Plassmanns Karikaturen bedürfen keiner Worte. © Thomas Plassmann

Peter Rutkowski, Politik: Komplexe Wahrheiten

Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges. Falsch. Vielmehr: Einfache Wahrheiten sind die ersten Opfer des Krieges. So wie: Russland – Paradies, der Westen – die Hölle, Putin – heilig, Biden & Co. – böse ... Im beschaulichen Frieden kann man sich die einfache Schwarz-Weiß-Wahrheit leisten. Der Krieg räumt damit auf. Gründlich. Der eigentliche Gegensatz besteht also zwischen einfachen und komplexen Wahrheiten. Komplexe Wahrheiten sind anstrengend. Schicksal.

Der Krieg kommt mit dem „fog of war“, einer wechselnden nebulösen Desorientierung. Den rechten Weg findet man da nur Schritt um Schritt. Aber auch das Stochern im Blinden bedeutet, Erfahrungen zu machen.

Um über den Krieg zu berichten, braucht es Erfahrungen und möglichst vielen Quellen, um sich ein kritisch überzeugendes Bild zu machen. Dieser Redakteur geht gewappnet mit der Lektüre von Tim Snyder und Serhij Plokhy an die immer richtigen Analysen des „Institute for the Study of War“, die klarsichtigen Bulletins der britischen Geheimdienste, die inzwischen verlässliche Echtzeit-Karte liveuamap.com und den handfesten Youtube-Kanal von taskandpurpose.com. Ergibt das zusammen die Wahrheit? Natürlich nicht. „Die Wahrheit“ gibt es nur für Fanatiker:innen. Alle anderen machen sich ein abwägendes – und schmerzhaftes – Bild vom Krieg.

Tobias Schwab, Wirtschaft: Wer verliert? Wer gewinnt?

Krise ist das täglich’ Brot der Wirtschaftsberichterstattung. Immer geht es irgendwo bergab, fallen Kurse, büßen Währungen dramatisch an Wert ein, steigt die Verschuldung ins Unermessliche, verlieren Tausende Beschäftigte ihre Jobs. Der 24. Februar 2022 aber stellt all das weltweit in den Schatten. Die ökonomischen Folgen des russischen Angriffskriegs kommen auch hierzulande unmittelbar an, drücken sich in steil steigenden Preisen aus - nicht nur für Energie.

Und sie zwingen uns im Wirtschaftsressort dazu, unseren Blick zu schärfen. Es war noch nie der Fokus der FR, nur der Kapitalseite hinterherzuschreiben, den Erfolg eines Unternehmens allein daran zu messen, was an Aktionär:innen ausgeschüttet wird. Stets geht es darum zu analysieren, wer auf wessen Kosten Profite macht.

FR-Ausgabe: Ein schwarzer Tag

Der russische Angriff auf die Ukraine markiert eine Zäsur. Wie der Krieg das Denken militarisiert und sich die Sicherheitslage in Europa verändert, untersucht die Themenausgabe der Frankfurter Rundschau vom 24. Februar 2023, der wir diesen Text entnommen haben. Weitere Aspekte daran:

Neue Normalität: Frieden wird die Ausnahme sein, sagt der Soziologe Richard Sennett.

Altes Denken: Wie der Militarismus einen Siegeszug durch unsere Köpfe angetreten hat.

Neuer Alltag: Stefan Scholl berichtet für die FR aus Moskau. Der Krieg hat sein Leben verändert.

Alte Ängste: Politologe Karl-Rudolf Korte über die Sorgen der Deutschen und ihr Krisenmanagement.

Neues Leben: Flucht aus Kiew, dann Neubeginn in Deutschland: Zwei Brüder berichten über ihr Jahr.

In unseren Apps erhalten Sie die komplette Ausgabe auch im Einzelkauf.

Umso mehr nehmen wir nun die in den Blick, die die „Zeitenwende“ am meisten trifft - die Menschen in den unteren Einkommensgruppen. Während Konzerne immer noch Rekordgewinne einfahren und von den Entlastungen überproportional profitieren. Wir verlieren die nicht aus den Augen, die im globalen Süden wegen der Kriegsfolgen hungern. Und wir lassen nicht nach, die energiepolitischen Weichenstellungen der Regierung auf ihre Folgen für das Klima zu hinterfragen.

Judith von Sternburg, Feuilleton, „Kleine Ukraine-Bibliothek“: Es gibt keine Ausrede

Christian Thomas machte früh den Vorschlag, einige Bücher aus der und über die Ukraine vorzustellen. „Eine kleine Ukraine-Bibliothek“ im Feuilleton. Wir dachten an acht bis zehn Titel, eine Serie über den Sommer – dann sei der Krieg vorbei. Es ist ein Reflex, sich sofort in die Welt der schnellen Nachricht zu begeben, wenn etwas Furchtbares passiert. Bücher zu lesen, dauert länger und dauert dann auch länger an. Im Juli war Christian Thomas so weit, und das will bei ihm etwas heißen: sehr viel Lektüre, sehr viel Grabungsarbeit. Am 23. Juli stellte er als erstes das Igor-Lied ins Regal. Kurz vor dem Jahrestag erschien Folge 25, nicht zum ersten Mal ging es nicht um ein Buch, sondern um vier Bücher. Vielleicht sind es vor allem zwei Aspekte, die die Reihe haben länger und länger werden lassen: Erstens der Eindruck, wie präzise Autorinnen und Autoren vor der am 24. Februar so schockierend wirkenden Lage gewarnt hatten. Zweitens die (beschämende) Fülle, die sich auftat.

Eine vielgestaltige literarische Welt, in der sich auch nationale Identität in mehr als nur einer Sprache äußern kann. Dass Christian Thomas Übersetzungen benötigt, schränkt die Auswahl ein. Aber vieles findet sich, oft antiquarisch, in Winkeln. Es gibt keine Ausrede. Es steht alles geschrieben.

Pitt von Bebenburg, Politik Friedensfragen: Wer findet einen Ausweg?

Der Weg zum Frieden im Ukraine-Krieg ist möglicherweise noch weit. Aber er muss immer im Blick bleiben. Weil irgendwann die Waffen schweigen werden. Und weil die Menschen in der Ukraine und in ganz Europa Hoffnung brauchen. Auch die Leserinnen und Leser der FR.

Seit Russland sein Nachbarland überfiel, hat sich die Berichterstattung verändert. Plötzlich waren militärische Berichte, Frontverläufe und Waffengattungen in aller Munde. Die FR-Redaktion wollte der Gefahr begegnen, dass die politische und journalistische Debatte nur in militärischen Kategorien geführt wird. Die FR wollte Friedensfragen stellen und Antworten darauf suchen.

Keine sechs Wochen nach Kriegsbeginn startete die Redaktion die Reihe „Friedensfragen“, in der seither mehr als 70 Autorinnen und Autoren aus der Wissenschaft, der Friedensbewegung, den Kirchen und anderen Teilen der Zivilgesellschaft zu Wort kamen. Seither thematisierte die Serie Vorschläge für Verhandlungsinitiativen, Grundsatzdebatten über Pazifismus, Diskussionen über Panzerlieferungen oder Fragen zur europäischen Zukunft. Die „Friedensfragen“ haben sich zu einer der am längsten laufenden Serien entwickelt, die jemals in der Frankfurter Rundschau erschienen sind. Täglich stellen sich neue Fragen – ein Ende der Debatte ist nicht in Sicht.

Momsen Einsmann, Bild & Layout: Was wir zeigen – und was nicht

Berufliche Routine hilft uns bei Katastrophen, die nötigen Schritte zur Gestaltung der Zeitung zu gehen, auch wenn wir erschüttert sind. Am 24. Februar 2022 stellte sich die Frage: Wie gehen wir grafisch mit der Situation um?

Ist ein Logo nötig, um die Berichte über den Krieg zu kennzeichnen? Mit solchen Signets versehen wir Serien und wiederkehrende Themen, wir machen damit auch auf Veranstaltungen oder die FR-Altenhilfe aufmerksam. Ein Logo hat aber immer etwas Werbliches. Werbung für einen Krieg verbietet sich für uns. Schnell entschieden wir uns, die Fotos mit einem schlichten schwarzen Rahmen zu versehen. Dieser begleitet uns seit einem Jahr und führte auch zu dieser schwarz gestalteten Ausgabe. Die FR hat einen Grundsatz: Wir zeigen auf Bildern keine Toten, kein Blut. Wir versuchen, Opfer zu schützen, indem wir sie möglichst nicht abbilden.

Manchmal weichen wir von diesen Grundsätzen ab. Zum Beispiel, als 2015 der junge Geflüchtete Alan Kurdi im Mittelmeer ertrank – sein Bild ging um die Welt. Auch wir haben es gezeigt, mit einem erklärenden Text. Und manche Bilder werden zu Symbolen, weil sie uns den Irrsinn der Welt vor Augen führen: Als die Öffentlichkeit während des Vietnamkrieges täglich mit schrecklichen Bildern konfrontiert wurde, hat auch das die weltweite Protestwelle gegen den Krieg bestärkt.

Timur Tinç, Region: Flucht, Hilfe und Ankommen

Am Tag des Kriegsbeginns in der Ukraine gab es in Frankfurt schon die erste Mahnwache und Demonstration. Am Tag darauf kamen die ersten Geflüchteten an. Wir sprachen mit den Organisationen, Initiativen und Menschen, die den Geflüchteten direkt halfen, sei es bei der Versorgung, bei der Unterbringung oder beim Sammeln von Spenden.

Wir haben darauf geschaut, wie das Land und die Kommunen reagieren auf die Tausenden Menschen, die neu in Hessen ankommen. Fast täglich gab es einen Anruf beim Sozialdezernat, um zu erfragen, wo und wie die Geflüchteten wohnen und leben sollen. Von Anfang an gab es eine große Hilfsbereitschaft und Solidarität in der gesamten Region. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die hier seit Jahren leben, wollen ihren Landsleuten helfen.

Wichtig war uns von Anfang auch zu erfahren: Wer sind eigentlich die Menschen, die nach Deutschland kommen und ihre Heimat, ihre Verwandten und Bekannten zurücklassen müssen?

Wir haben Zwillingsbrüder kennengelernt und eine Familie aus vier Generationen, deren Alltag in Frankfurt wir in regelmäßigen Abständen begleiten. Und wir werden weiterhin die Menschen in den Mittelpunkt stellen, die von diesem Krieg unmittelbar betroffen sind, und diejenigen zu Wort kommen lassen, die sich für die Ukraine engagieren.

Lutz „Bronski“ Büge, FR-Forum: Die Stille nach dem Schock

Am 24. Februar vor einem Jahr herrschte Stille in den Maileingängen der Forum-Redaktion. Ebenso am Tag danach. Zuvor hatte es viele Zuschriften gegeben: zu Nord Stream 2, zur Anerkennung der „Volksrepubliken“ im Donbass durch Russland, zur Nato-Osterweiterung, vor allem aber zu Joe Biden und seiner „Kriegstreiberei“, wie es in etlichen Mails hieß. Der US-Präsident hatte gewarnt, ein russischer Angriff auf die Ukraine stehe unmittelbar bevor. Doch viele Menschen, die sich ans FR-Forum wandten, bestritten, dass Putin solche Pläne verfolge: Was er denn von einem solchen Angriff hätte?

Es kam jedoch, wie Biden prognostiziert hatte – und dann folgte jene auffällige Sendepause in den Mails. Der Schock saß wohl tief. Tags zuvor erst war im FR-Blog eine Diskussion zu den „Volksrepubliken“ eröffnet worden. Diese wurde von den User:innen nun genutzt, um die aktuellen Ereignisse zu diskutieren. Die Diskussion kam bis zu ihrer Schließung auf 76 Kommentare und ist weiterhin nachlesbar (frblog.de/donbas). Sie ist wegen ihrer Unmittelbarkeit ein zeithistorisches Dokument. Auch jene Stimmen, die zunächst vehement gegen alle Mutmaßungen über Putins Angriffspläne argumentiert hatten, kehrten zurück, nun mit dem Ruf nach Frieden.

Denn wollen nicht alle Menschen in Frieden leben?

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