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Ein Jahr Angriff auf die Ukraine: Ein schwarzer Tag

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Von: Thomas Kaspar

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Ein schwarzer Tag.
Ein schwarzer Tag. © FR

Der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markiert eine Zäsur. Eine Sonderausgabe der FR zum Jahrestag des Kriegsbeginns. Ein Vorwort.

Es ist der 24. Februar 2022, 4:50 Uhr Kiewer Ortszeit: Der russische Präsident Wladimir Putin kündigt in einer Ansprache die „Militäroperation“ im Donbass an. Weniger als eine halbe Stunde später folgen Explosionen an vielen Stellen in der Ukraine. Der Krieg ist zurück in Europa an diesem Tag. Es ist ein schwarzer Tag, der sich in die Geschichte einschneidet.

Seit dem 24. Februar 2022 sind 365 Tage vergangen, 365 mal 24 Stunden, 8760 mal 60 Minuten – in Zeitlupe dehnt sich dieses Jahr in Kiew und der Ostukraine, an der Front, in einem besetzten Gebiet, im ukrainischen Hinterland mit Verwandten an der Front.

Gewalt, Angst, Wut, Trauer, Rachegefühle, Hilfeschreie. Unter diesem Eindruck können viele nicht verstehen, wie etwas anderes möglich sein soll als Notwehr, als Militärhilfe, um den russischen Angriff abzuwehren.

Noch immer ist Krieg, vielleicht weitet er sich aus, kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über Eskalation der Kriegspartien gesprochen wird. Für viele ist zwingend, immer mehr immer schwerere Waffen zu liefern. Wie soll das enden? Die Konfliktforschung lehrt, dass nach dieser Verletzung eine Versöhnung lange unmöglich sein wird.

Andere suchen einen Perspektivwechsel und gehen auf Abstand zum unmittelbaren Kriegsgeschehen, um Verhandlungen und Frieden zu ermöglichen. Muss man nicht schon aus historischen Gründen einen Ausgleich mit russischen Interessen denken? Und wie könnte das gelingen?

Dieser analytische Abstand allein kann sehr viel Zynismus enthalten. Wenn er instrumentalisiert wird für persönliche Geltungssucht oder die Destabilisierung der deutschen Demokratie. Schwer auszuhalten sind auch Appelle, die Lieferung von Waffen zu stoppen, weil diese den Krieg verlängern. Kann Pazifismus bei dieser generellen Forderung stehen bleiben?

Humanität liegt wie immer in der Verbindung des scheinbar kaum zu Vereinbarenden. Menschlichkeit besteht genau darin, die schmerzvolle Dehnung der Zeit im erlebten Krieg wahrzunehmen und gleichzeitig den rationalen Zeitraffer der historischen Erfahrungen einzubringen.

Im Aushalten dieser beiden Ebenen liegt die Chance auf Weiterentwicklung. So können die Sehnsucht nach dem Frieden und das Schutzbedürfnis vor Tyrannen wie Putin integriert werden.

Die Gründer der Frankfurter Rundschau haben unserer Zeitung aus der unmittelbaren Erfahrung des Zweiten Weltkrieges die Verpflichtung zum Frieden als Auftrag mitgegeben. Jedes Mitglied unserer Redaktion unterschreibt dieses Ziel bis heute mit dem Arbeitsvertrag.

Von da aus ist schwer erträglich, dass wir seit einem Jahr über einen Krieg berichten müssen, der kaum zwei Flugstunden von Frankfurt entfernt tobt. Doch wenn wir dies schon tun, dann ohne Polarisierung, immer im Wechsel der beiden Ebenen – indem wir das Leid der Opfer dokumentieren und zugleich immer die Fragen nach dem Frieden stellen. Die Humanität geht zwischen Schwarz und Weiß.

Thomas Kaspar, Chefredakteur

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