Anschließend widmete sich das Podium der Zeit, als noch Herausgeber Karl Gerold die Geschicke der Zeitung leitete. Teil von Gerolds Erbe ist die linksliberale Haltung der FR. Wolf Gunter Brügmann lernte den FR-Verleger im Frühjahr 1968 am Pinkelbecken der Herrentoilette kennen. Als er sich vorstellte und sein Gegenüber fragte, wer er denn sei, blaffte Gerold: „Kennen Sie mich etwa nicht? Ich bin Karl Gerold und mir gehört diese Zeitung.“ Brügmann durfte trotzdem für die FR weiterarbeiten.
Jutta Roitsch erzählte noch eine Anekdote zu Karl Gerolds Leitartikeln, die witzigerweise auch wieder mit der Herrentoilette verknüpft war. Auf selbige habe sich Karl-Hermann Flach zurückgezogen und ward Stunden nicht gesehen. Er redigierte dort das Manuskript des FR-Herausgebers und brachte den bis dahin „ungenießbaren Leitartikel“ in eine lesbare und genießbare Form.
Roitsch beschrieb das damalige Binnenklima in der Redaktion als sehr angespannt. Damals sei die Zusammensetzung viel heterogener als heute gewesen. Brügmann bekräftigte dies: „Zwischen den Leuten in der Nachrichtenredaktion lagen politisch Welten.“ Trotzdem seien sie persönlich gut miteinander ausgekommen. Der tägliche Redaktionsschluss habe alle zusammengeschweißt. Eine Parteizugehörigkeit, so Roitsch, sei lange Zeit tabu gewesen. Eine politische Überzeugung habe aber jeder gehabt.
„Haltung zählt – Anspruch und Geschichte der Frankfurter Rundschau.“ Thomas Kaspar und Richard Meng (Hrsg.). 134 Seiten, Verlag Edition 7, Berlin, 18 Euro. Weitere Informationen.
Überraschenderweise war die linksliberale Zeitung FR in den 60er und 70er Jahren eins gewiss nicht: „Eine Speerspitze des Feminismus war sie nicht“, sagte Roitsch. Sie selbst war 1968 die einzige Frau in der Nachrichtenredaktion, was nicht jedem Mann in der FR gefiel. Wenn es Autorinnen zu jener Zeit gab, waren es freie Mitarbeiterinnen im Lokalen, Journalistinnen in der Reiseredaktion oder für die Frauenseite. Pitt von Bebenburg erinnerte sich, dass die Frauen auch in den 80er Jahren noch eine Minderheit bei der FR waren. „Die Rundschau hat sehr, sehr lange gebraucht, um dieses Thema für sich zu entdecken.“
Spätestens das schlug den Bogen zur Haltung der FR, denn von Bebenburg machte deutlich: „Feminismus sollte zum Kanon einer linksliberalen Zeitung gehören.“ Die damalige Personalpolitik habe dem jedoch nicht entsprochen. Der FR-Landtagskorrespondent führte weiter aus, dass die antifaschistische Prämisse der Gründungsherausgeber die Ziele der Zeitung präziser beschreibe. „Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, für Menschenrechte, für humanitäre Werte – das ist etwas, was die Rundschau bis heute prägt.“ Hinzu kämen abgeleitete Dinge, wie Minderheitsrechte oder soziale Rechte.
Die stellvertretende Chefredakteurin Karin Dalka, die am Abend die Runde moderierte, definierte eine linksliberale Haltung auch mit dem Mut zu Visionen und Utopien, den die FR brauche.
Von Bebenburg sagte, dass die FR heutzutage Schwerpunkte setzen müsse. Dalka betonte den immer noch starken Auslandsschwerpunkt, der eine kontinuierliche Berichterstattung ermögliche. Die Rundschau wolle nicht nur bei Ereignissen über Länder berichten, sondern die stetige Entwicklung im Blick behalten. Chefredakteur Kaspar nannte diese Berichterstattung eine Brücke in die Welt, durch die die FR empathisch bleibe. Sie sei ein Kern der Zeitung.