1. Startseite
  2. Über uns
  3. Schlappekicker

Allen gemein ist die Lust am Judo

Erfolgreiche Judoka: alle Teilnehmer:innen aus Mühlheim stehen bei der deutschen Meisterschaft auf dem Podest. prd
Erfolgreiche Judoka: alle Teilnehmer:innen aus Mühlheim stehen bei der deutschen Meisterschaft auf dem Podest. prd © prd

Der Budo Club Mühlheim erhält den Schlappekicker-Preis 2024 für sein Engagement im Judo der Behinderten.

Um Viertel nach drei am Nachmittag geht das Gewusel bei den ersten Schritten auf die Matte los. Mit Lachen und lauten Tönen, kleinem spielerischen Gerangel, eben das volle Programm beim Sport mit Kindern. Bis Maren Stahlberg den Haufen mit dem bekannten Zauberwort aus dem Judo zusammenruft. Rituale sind vorgegeben beim Judo. Das verlangt der Wertekodex. Höflichkeit und Respekt etwa im Umgang miteinander, Wertschätzung. Im Verein mit Trainingspartnern, bei Wettkämpfen mit dem Gegner. Ein passendes altersgemäßes Heftchen mit den illustrierten Werten bekommt jedes Kind bei der ersten Einheit.

Ein Zeichen für Einheit

Egal wer da auf der Matte steht, die Begrüßung mit Verneigung gehört dazu. Meist in der Reihe, aufgestellt nach dem erlangten Leistungsgrad. In der Anton-Dey-Halle stellen sich die kleinen Judoka im Kreis auf. Ein klares Zeichen und Symbol für Einheit, hier wird keiner ausgeschlossen. Inklusion ist ein gelebtes Wort in den beiden kleinen Hallen mit speziellem Mattenbelag. Hier trainieren und kämpfen alle Judoka, auch die große Abteilung ID-Judo, die Taekwondo-Gruppe und die Jiu Jitsu-Spezialisten. Unter dem Begriff Budo sind sie vereint, der Oberbegriff für alle japanischen Kampfkünste.

Der Dienstagnachmittag gehört den Kleinsten im Klub. Drei Jahre alt sind die Jüngsten, im weißen Anzug mit Jacke und Hose, zusammengehalten vom Gürtel, der erst später durch seine Farbe aussagt, was Trägerin und Träger sich mit Fleiß und Disziplin erarbeitet haben. „Allen gemein ist die Lust am Judo.“ Sagt Trainerin Maren Stahlberg mit voller Überzeugung. Und: „Hier ist jeder willkommen!“ Mit Ausrufezeichen. In den beiden Dienstaggruppen trainieren und lernen junge Menschen mit und ohne Behinderung miteinander.

Der Behindertensport hat hohen Wert im Budo Club (BC), der Umgang damit hat ihn bekanntgemacht im ganzen Hessenland und darüber hinaus. Mühlheim war der Vorreiter. Verbunden vor allem mit dem Namen Thomas Hofmann, dem Vater der Inklusionsarbeit. Trainer, Abteilungsleiter, seit der Gründung 1989 war er der Frontmann der Sparte Judo der Behinderten auf vielen Ebenen in den Verbänden, als er ein geeignetes Sportfeld für seine Tochter mit Behinderung suchte.

Auch das eint im Budo Club alle, die Überzeugung, dass Judo genau der richtige Sport für betroffene Menschen sein kann. Es geht um Geschicklichkeit und Koordination, um Gleichgewicht, Partnerarbeit, um motorische Schulung und Kraft auf unterschiedlichstem Niveau. „Judo ist ideales Handlungsfeld für behinderte Menschen, weil es ein dynamisches Bewegungsangebot schafft, das den Menschen ganzheitlich erfasst – Sport mit Leib und Seele“.

Es war das sportliche Lebensmotto von Hofmann, der 40 Jahre für den Verein gearbeitet hat und kürzlich einen tödlichen Herzinfarkt erlitt. Kurz nach der Bewerbung für den Schlappekicker-Preis. Das Motto gilt, seine Nachfolgerin Maren Stahlberg verfolgt es ebenso, es trägt die Abteilung. Zielsetzung: Mehr Selbständigkeit, mehr Teilhabe. Der Budo Club Mühlheim ist ein würdiger Empfänger des Schlappekicker-Preises der FR, dotiert mit 5000 Euro und der Schlappekicker-Trophäe.

Von den aktuell 235 Mitgliedern des Klubs fallen 60 in die Sparte ID-Judo, seit 2018 die offizielle Bezeichnung, wenn es um Menschen mit intellektueller Einschränkung geht. Alle Trainer:innen in diesem Bereich haben wie Ex-Bundesliga-Kämpferin Maren Stahlberg eine spezielle Lizenz für Judo mit Menschen mit Einschränkungen, die Fachübungsleiterlizenz für Rehabilitationssport. Und die Gruppe ist dem Landessportbund, dem Hessischen Judoverband und dem Behinderten- und Rehabilitationssportverband angegliedert. Meist sind es Judoka aus Mühlheim, die den kompletten Hessenkader bei den Deutschen Meisterschaften in den „Special Olympics“ stellen.

Bärenkampf im Knien

Was macht den Klub so einzigartig neben den sportlichen Erfolgen? Allein gemein ist die Lust am Judo, das ist es wohl. Und das familiäre Umfeld vor allem in der Sparte ID-Judo. Da sind schnell 100 Leute auf den Beinen, wenn zu Ostern eine Fackelwanderung angesagt ist. Im Sommer war eine Gruppe zum Internationalen Budo-Seminar auf Mallorca, eine andere mit Familien zum Höhentraining in den Alpen, die Ronneburg ist Ziel für Lehrgänge. Ein Riesenhit war die Einladung zum „Abend des Sports“ im Hessischen Landtag, wo die ID-Judoka mit Haltegriffen, Fallübungen, Würfen und Techniken aus der Kata ihr Können zeigten und tosenden Applaus ernteten.

Marin, Paula, Alisa, Penny und all die anderen aus der inklusiven Kindergruppe sind davon noch weit entfernt. Bis zum Harai-Goshi, dem Hüftfeger, gibt es noch viel zu lernen. Sie werden spielerisch an Kampftechniken herangeführt, mit ersten Fallübungen und dem Bärenkampf im Knien, bei dem sich höfliche Bären vor und nach dem Kampf verbeugen. Zehn Kinder, die von Maren Stahlberg und Schwarzgurt Barbara Krause-Sandkühler plus Assistentin Hannah (14) und einem vierten Mann betreut werden. „Das ist ein Riesen-Luxus“ und einzigartig weiß auch Mama Stahlberg, deren zwei Kinder natürlich auch dabei sind.