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Lauter starke Mädchen und Frauen

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Lauter starke Mädchen und Frauen aus Rüsselsheim.
Lauter starke Mädchen und Frauen aus Rüsselsheim. © Jan Hübner

Der Selbstverteidigungsverein Rüsselsheim erhält für sein beispielhaftes Engagement den Schlappekicker-Preis 2013.

Der Ruf rauscht durch die Halle wie ein Donnerschlag: „Wir sind starke Mädchen.“ Dann löst der Kreis sich auf, die nächste Übung steht auf dem Programm: Die Acht- bis 14-Jährigen nehmen Anlauf und schlagen oder treten zu – immer begleitet von einem lauten, wie befreiend wirkenden Schrei. „Bravo“, ruft Özgül Sahin und fordert die Nächste auf, es ihrer Vorgängerin gleichzutun. Und wieder knallt es in der Halle, als der dritte Schlag die von der Trainerin gehaltene Pratze trifft.

Sahin ist zufrieden. Ihre Schülerinnen sind gut drauf, sie alle wissen, was sie zu tun haben. Eins wird schnell klar: Hier sind Mädchen, die sich wehren können – ein gutes Zeichen. Verantwortlich dafür zeichnen die Trainerinnen des Selbstverteidigungsvereins Rüsselsheim, deren beispielhaftes Engagement von der Jury der Schlappekicker-Aktion der Frankfurter Rundschau mit dem diesjährigen Schlappekicker-Preis honoriert wird. Die mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung, die seit 1998 sowohl Vereine als auch Einzelpersonen für vorbildliches soziales Engagement im Sport belohnt, wird am Montagabend im Frankfurter Römer verliehen.

Es ist Freitagabend, die Zeit, zu der der Selbstverteidigungsverein Rüsselsheim allwöchentlich von 17 bis 20 Uhr in der Sporthalle der Parkschule in Rüsselsheim drei regelmäßige, aufeinander aufbauende Trainingsabende anbietet. Junge Mädchen und Frauen aller Kulturen werden dort gezielt auf gefährliche und unangenehme Situationen in ihrem Alltagsleben vorbereitet – aber nicht durch Kampftechniken alleine, sondern vor allem auch durch weiterführende Übungen, die das Selbstbewusstsein stärken sollen. „Es ist wichtig, dass sie sich selbst achten, Grenzen abstecken und Nein sagen können“, sagt Beate Berghausen, die zweite von insgesamt drei Trainerinnen in Rüsselsheim. „Sie sollen sich zu starken Persönlichkeiten entwickeln.“

Die Angst überwinden

Das ist natürlich nicht immer ganz einfach. „Angst lähmt ja, das ist klar. Wer angegriffen wird, wird schnell leise und zieht sich zurück“, sagt Berghausen. Wie aber mit diesem Angstgefühl im Bauch umgehen? Das fängt mitunter mit ganz kleinen Übungen an, sei es, einen Luftballon zerplatzen zu lassen oder ein Brett zu zerschlagen.

„Das ist nur eine kleine Angst“, sagt Berghausen. „Wenn aber ein Mädchen das bisschen Angst, das sie hat, überwinden kann, kann sie später auch eine große Angst überwinden.“ Wichtig sei zu wissen, was man tun könne. Und vor allem: „Dass man etwas tun kann und dass es sich lohnt, etwas zu tun.“

Tatsächlich sind es oftmals ganz profane Vorgänge, die von großer Bedeutung sein können. So erzählt Trainerin Karin Leinweber die Geschichte einer jungen Schülerin, die in der Schule immer die Tafel abwischen musste. „Wir mussten ihr beibringen, wie man richtig mit der Lehrerin spricht“, so Leinweber. Das Gespräch hatte Erfolg. Tatsächlich nahm die Schülerin allen Mut zusammen und fragte die Lehrerin, warum immer nur sie und nicht die Jungs dies tun müssten? Da sei das Mädchen um zehn Zentimeter gewachsen, sagt Leinweber. „Das hat mit Stolz und Selbstwertgefühl zu tun.“

Begonnen hat die Arbeit in Rüsselsheim vor mittlerweile fast genau 20 Jahren. Damals schlossen sich sieben Frauen aus einem Karateverein zusammen, die zusätzlich noch an einem regelmäßigen Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungstraining teilnehmen wollten.

Der Kampfsport habe damals allerdings nicht im Vordergrund gestanden: „Wir wollten ein bisschen Sport machen und ein bisschen Spaß haben“, erzählt Leinweber, die zu den sieben Gründungsmitgliedern des Vereins zählt, dem in der Zeit der Frauenbewegung der 90er-Jahre ausschließlich Erwachsene angehörten, Frauen, die bereits Gewalt erfahren hatten genauso wie Frauen mit Behinderungen oder mit psychischen Problemen.

Zwei Jahre nach der Gründung kam Beate Berghausen hinzu, die später auch den Vorsitz übernahm und aufgrund der großen Nachfrage 2004 eine reine Mädchengruppe gründete. Özgül Sahin, die zusammen mit Leinweber kurz danach ihren Trainerschein erwarb, komplettierte schließlich als dritte Übungsleiterin die Riege der Trainerinnen.

Verschiedene Methoden

Über die regelmäßigen Kurse hinaus stehen die Trainerinnen auch für Projektwochen oder AGs an den örtlichen Schulen zur Verfügung. Zusätzlich bieten sie Schnupperkurse und Aktionstage an, so beispielsweise für städtische Mitarbeiterinnen der Polizei, des Sozial- oder des Jugendamts. Auch der Besuch in einer Moschee sei sehr spannend gewesen, erzählt Leinweber.

Dabei setzen sie verschiedene Methoden ein, um ihre Schülerinnen auf entsprechende Gefahren vorzubereiten. Das beginnt bei der Verbesserung der Körpersprache. „Für die Kinder ist es wichtig zu wissen, wo ihre eigenen Grenzen liegen“, so Leinweber. Überdies werden mit geeigneten Rollenspielen Alltagssituationen und mögliche Übergriffe auf Frauen nachgestellt. Auf dem Übungsplan stehen aber auch konkrete Abwehrtechniken, mit denen sich Mädchen und Frauen beispielsweise aus einer Umklammerung oder einem Schwitzkasten befreien können.

Das alles trägt dazu bei, dass sich die Kursteilnehmerinnen in Rüsselsheim zu ganz besonderen Persönlichkeiten entwickeln können. Sie alle sind in der Tat „starke Mädchen“ und Frauen.

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