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Kein Endspiel mehr mit dem Jürgen

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Von: Thomas Kilchenstein

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Eintracht-Legende Jürgen Grabowski ist im Alter von 77 Jahren gestorben.
Eintracht-Legende Jürgen Grabowski ist im Alter von 77 Jahren gestorben. © Eberhard Thonfeld/imago

Wie Eintracht Frankfurt und der deutsche Fußball trauert auch die Schlappekicker-Aktion um Jürgen Grabowski. Der im Alter von 77 Jahren verstorbene Ex-Nationalspieler und Eintracht-Ehrenspielführer war schon als junger Lizenzspieler ein treuer und engagierte Schlappekicker-Freund. Bei vielen Veranstaltungen war er aktiv dabei, allen voran bei den legendären Weihnachtsfeiern auf dem Henninger Turm. Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn war Jürgen Grabowski als Schlappekicker-Mitglied ein wichtiger und zuverlässiger Helfer der Aktion. Hier der Nachruf des FR-Eintracht-Experten und langjährigen „Grabi“-Weggefährten Thomas Kilchenstein auf den Weltmeister von 1974.

Vor ein paar Jahren, als in der Frankfurter Rundschau eine Story geschrieben werden wollte über den 40. Jahrestag der historischen Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen die DDR, 0:1 am 22. Juni 1974 in Hamburg, empfand man es als eine gute Idee, mal Jürgen Grabowski dazu zu befragen. Antizyklisch sozusagen, also nicht bei Jürgen Sparwasser anzuklopfen, dem Schützen des Tores, oder bei Sepp Maier, der den Ball in der 77. Minute hatte passieren lassen müssen, oder beim bald granteligen Franz Beckenbauer, Nein Jürgen Grabowski sollte es sein, die Ikone von Eintracht Frankfurt, Legende schon zu Lebzeiten.

Und zwar deshalb, weil der „Grabi“, der jetzt im Alter von 77 Jahren an den Folgen multiplen Organversagens in einer Wiesbadener Klinik gestorben ist, ein schlechtes Spiel gemacht hatte, eines seiner ganz wenigen, er hatte in dieser letzten Vorrundenbegegnung eine große Chance vergeben, war nicht richtig eingebunden in die Partie und musste folgerichtig im nächsten Spiel (gegen Jugoslawien) auf die Tribüne.

Jürgen Grabowski trug Eintracht Frankfurt immer im Herzen

Grabowski freilich empfand das keineswegs als besonders gute Idee. Immer würde die Journaille nach dem Schlechten graben, stets das Haar in der Suppe suchen, dazu habe er keine Lust. Das Gespräch dauerte nicht so lange.

Er konnte manchesmal auch ganz schön kiebig werden, der „Grabi“, dann vor allem, wenn zu viel genörgelt wurde, manches zu negativ gesehen wurde, und solche Dinge vergaß „Mister Eintracht“ auch so schnell nicht. Aber in der Regel war der Mann ein herzensguter Mensch, frei von Allüren, bodenständig und bescheiden, FR-Schlappekicker-Mitglied seit Jahrzehnten, kein Schaumschläger, schon gar kein Lautsprecher. Aber immer einer mit einer Meinung, immer ein gern gefragter Fachmann in Sachen Fußball und, natürlich, seiner Eintracht, die er Zeit seines Lebens im Herzen trug.

Tod von Jürgen Grabowski trifft Eintracht Frankfurt und die Fußball-Welt tief

Sein Tod am Donnerstagabend hat Eintracht Frankfurt, hat die Fußball-Welt, tief getroffen. „Für uns alle unbegreiflich“, ließ sich Klubpräsident Peter Fischer zitieren. Sicher: Grabowski war gesundheitlich angeschlagen, er musste regelmäßig zur Dialyse, hatte große Probleme beim Gehen. Doch seit Herbst des vergangenen Jahres war er wieder Gast im Waldstadion bei den Heimspielen der Mannschaft. Bei der Beerdigung seines Freundes und Spielkameraden Bernd „Dr. Hammer“ Nickel im Oktober des vergangenen Jahres konnte er nur an Krücken dabei sein. Ende Januar musste ihm sogar nach einem Sturz in seinem Haus in Taunusstein nach einem Oberschenkelhalsbruch eine Prothese eingesetzt werden.

Aber „seine Aura wirkt bis heute. Er war generationsübergreifend identitätsstiftend für den Verein“, sagte Vorstandssprecher Axel Hellmann. „In seiner aktiven Zeit war Jürgen Grabowski vielleicht der vollkommenste Spieler, der für die Eintracht gespielt hat.“ Und Karl-Heinz Körbel, noch so eine Legende, der mit 602 Bundesligaspielen den ewigen Rekord hält, nannte ihn anlässlich der Geburtstagssause zum 120-jährigen Bestehen von Eintracht Frankfurt „den größten Künstler, den dieser Verein je hervorgebracht hatte“ .

Jürgen Grabowski spielte nur für zwei Vereine: Eintracht Frankfurt und SV Biebrich

Die 70er-Jahre, das waren die Jahre des Jürgen Grabowski, in die der zweimalige Gewinn des DFB-Pokals 1974 und 1975, der WM-Titel, und vor allem die Metamorphose vom dribbelstarken Rechtsaußen zu einem brillanten, klugen Mittelfeldregisseur in einer Mannschaft fielen, die furiosen Fußball gespielt und am Ende seiner Karriere noch den Uefa-Pokal geholt hat, natürlich im eigenen Stadion. „Grabi“, das ist unstrittig, zählte zu den ganz Großen des deutschen Fußballs, der im Laufe seiner Karriere nur für zwei Klubs gespielt hat, für den FV Biebrich und eben für die Eintracht. Als Kind spielte er für seinen Heimatverein SV Biebrich, den er mit 16 für den Nachbarverein verließ. Am Ende seiner aktiven Karriere hat er 441 Bundesligaspiele zwischen 1965 und 1980 bestritten, nie war er ausgewechselt worden, wie mal die Deutsche Presse-Agentur ermittelt hat, 109 Tore hat er dabei erzielt. Keiner in der langen Reihe großartiger Frankfurter Spieler hat so lange eine Ära geprägt wie Grabowski.

Dabei hatte der gebürtige Wiesbadener noch das erste Probetraining anno 1965 verpasst. „Ich bin in Wiesbaden mit dem Auto losgefahren und nie in Frankfurt angekommen“, erzählte der passionierte Golfspieler einmal. Er hatte sich komplett verfahren. Das hat ihm, dem damals unbekannten Kicker, schwer im Magen gelegen. „Was denken die bloß von mir.“ Trotzdem hatte ihn der damalige Trainer Elek Schwartz, der auf Techniker stand, im ersten Bundesligaspiel am 14. August 1965 gegen den Hamburger SV (2:0) für die Startelf nominiert, Grabowski trug die Nummer acht. Für ihn war der Sprung aus der Hessen- in die Bundesliga kein Problem. 1000 Mark hatte er seinerzeit im Monat erhalten, zudem ein Handgeld von 12.000 Mark, und davon hat sich der schnelle Autos liebende „Grabi“ gleich einen Triumph Spitfire geleistet, feuerrot.

Jürgen Grabowski wird 1974 Weltmeister mit dem DFB-Team

Da war natürlich noch lange nicht klar, dass diese grandiose Karriere neun Jahre später ihren Höhepunkt erreichen sollte. Neun Jahre später, am 7. Juli 1974, am Tag seines 30. Geburtstages, wurde Deutschland das zweite Mal Weltmeister. 2:1 gegen Holland, und Grabowski war es, der beim Siegtor durch den (inzwischen ebenfalls verstorbenen) Gerd Müller die Vorarbeit geleistet hatte. Die DFB-Auswahl spielte übrigens im Endspiel mit der Frankfurter Flügelzange, rechts der „Grabi“, links der „Holz“, Bernd Hölzenbein. Und dieser Bernd Hölzenbein, einst auch kein ganz Schlechter, hatte nie die Scheu, im besten Hessisch öffentlich zu sagen: „Der Grabi war besser wie ich.“ Für Fans war eh klar: „Der Grabi und der Holz, Frankfurts Stolz.“

Als der Schiedsrichter das Endspiel von München abpfiff, da hatte Grabowski gedacht: „Ich? Weltmeister? Jetzt gehört dir die Welt.“ Dabei war die WM in Deutschland für ihn eine ganz schöne Achterbahnfahrt. Anfangs Stammspieler, wurde er nach dem 0:1 gegen die DDR zu einem der Sündenböcke erkoren und auf die Tribüne verbannt. Erst im Spiel gegen die Schweden im Viertelfinale wurde er eingewechselt, ein paar Minuten später erzielte er auf Vorlage von Hölzenbein das 3:2. „Mein wichtigstes Tor“, sagte er später der FR: „Da hat der liebe Gott ein bisschen nachgeholfen.“ Mit diesem Treffer war er wieder im Team, machte die Wasserschlacht gegen Polen in Frankfurt mit und dann das Finale. Nach dem Titel erklärte er nach 44 Länderspielen seinen Rücktritt und kehrte trotz vieler Bittgänge des damaligen Bundestrainers Helmut Schön nie zurück.

Eintracht Frankfurt: Jürgen Grabowski stand für den besonderen Fußball

Auch die WM zuvor, 1970 in Mexiko, prägte Grabowski, für ihn wurde eigens die Bezeichnung „bester Einwechselspieler der Welt“ erfunden, ein Titel, der ihm logischerweise nie behagte, weil jeder Spieler in der Startelf stehen und nicht als Joker kommen will. Grabowski aber brachte nach seinen Einwechselungen sofort frischen Wind, er brauchte auf dem rechten Flügel keine Anlaufzeit. Er war dabei in dem „Jahrhundertspiel“ in der Gluthitze Mexikos gegen Italien (3:4 n.V.) und auch in der denkwürdigen WM-Revanche gegen England (3:2 n.V.), wirbelte der damals 26-Jährige.

Jürgen Grabowski, dieser feine Spieler, stand für den besonderen Fußball, den die Eintracht in den 70er- und frühen 80er-Jahren zelebriert hatte, er stand auch für das Divenhafte, das Außergewöhnliche, stand für die Ästhetik, das Elegante des Spiels. Jürgen Grabowski – das ist und war das Aushängeschild der Eintracht. Noch heute, mehr als 40 Jahre nach seinem erzwungenen Abschied mit knapp 36 von der Fußballbühne, wird vor jedem Heimspiel die Hymne „Schwarz-weiß wie Schnee“ gespielt, von der Metal-Band Tankard um Sänger Gerre: „Wir haben die Eintracht im Endspiel gesehn‘, mit dem Jürgen, mit dem Jürgen, mit dem Jürgen Grabowski.“ Darauf war der „Grabi“ ein bisschen stolz. Gerre hatte er dafür vor Jahren auch einen sechsseitigen Dankesbrief geschrieben.

Jürgen Grabowski holte mit Eintracht Frankfurt zweimal den DFB-Pokal

In Frankfurt blühte Grabowski nach seiner Demission aus der Nationalelf noch einmal richtig auf. Bei der Eintracht avanciert der einstige Flügelspieler, der den Ball lieber streichelte als trat, zum Regisseur. Er war Denker und Lenker, Stratege und Kopf der Mannschaft, was er zudem sagte, war Gesetz. Auch er holte mit der Eintracht nie die Deutsche Meisterschaft, aber zwei Pokalsiege, 1974 und 1975. Es gibt vom 74er-Pokalsieg ein lustiges Foto von ihm, da hatte der Kapitän nach dem 3:1 gegen den Hamburger SV übereifrig den gerade erlaubten Trikottausch vollzogen, hat das HSV-Hemd mit der Campari-Werbung übergestreift und hielt den Pokal hoch. „Ich hatte mir nichts dabei gedacht, aber das hat mir mächtig Ärger eingebracht“, erinnert er sich. „Dafür hat mir Campari nachher sechs Flaschen geschickt.“

Ein wenig tragisch ist: Dass Grabowski beim größten Triumph der Eintracht der jüngeren Geschichte, dem Uefa-Cup-Sieg 1980, nicht aktiv dabei sein konnte, sondern den Pokal nur in zivil hochrecken durfte. Ein paar Wochen zuvor hatte der damals 18 Jahre alte Lothar Matthäus dem enteilten „Grabi“ mittels Grätsche das Sprunggelenk lädiert. „Im Fuß war alles kaputt, was kaputt sein konnte“, sagte „Grabi“ seinerzeit und musste seine famose Karriere mach 555 Pflichtspielen, 151 Toren und 44 Länderspiele beenden.

Jürgen Grabowski war Eintracht Frankfurt immer verbunden

Nur einmal wollte er weg von der Eintracht, 1969, doch Präsident Rudi Gramlich verweigerte die Freigabe zum FC Bayern München. Viel später sagte „Grabi“ zum präsidialen Veto: „Da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen.“ Dem Verein, von dem er zum Ehrenspielführer ernannt wurde, blieb er Zeit seines Lebens verbunden. 1983 betreute er mit Klaus Mank für einige Wochen die Mannschaft, im Verein engagierte er sich bis 1992 im Verwaltungsrat. „Ich war glücklich darüber“, sagte Grabowski einmal: „Ich blieb zu Hause, bei meinem Verein. Das habe ich nie bereut.“

Nun ist diese Ära zu Ende gegangen. (Thomas Kilchenstein)

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