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Fußballtrainer im Rollstuhl

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Wird vom Schlappekicker unterstützt: Rüdiger Böhm.
Wird vom Schlappekicker unterstützt: Rüdiger Böhm. © Imago

Rüdiger Böhm aus Erbach hat nie aufgegeben und sich trotz alledem immer wieder neue und höhere Ziele gesetzt.

An den Moment des Aufpralls erinnert sich Rüdiger Böhm noch ganz genau. Erst war da nur ein Geräusch, das Brummen eines Motors. Es wurde lauter und lauter, irgendwann bedrohlich laut. Als Böhm sich über den Krach wunderte, war es schon zu spät. Er hatte keine Chance damals im April 1997, einen Tag vor seinem 27. Geburtstag, er auf seinem nagelneuen Rennrad, gegen den tonnenschweren Lkw, dessen Fahrer ihn übersehen hatte. Das Fahrzeug stupste ihn von hinten an, Böhm stürzte auf den Asphalt, der Koloss rollte über ihn drüber.

Als die Notärzte eintrafen, war der gebürtige Erbacher noch bei Bewusstsein. Er setzte sich auf den Bordstein, spürte im Adrenalinrausch nicht einmal die Schmerzen. „Aber mein Unterschenkel stand in einem völlig surrealen Winkel zur Seite ab, an einer Stelle, an der gar kein Gelenk war“, erinnert er sich. „Und aus meinem Oberschenkel schoss das Blut fontänenartig heraus.“ Er sagte einer Ärztin noch seinen Namen und die Telefonnummer seiner Familie, „dann bin ich weggedämmert.“ 

Als Böhm 30 Tage später aus dem Koma erwachte, war er ein Mann ohne Beine. Rechts mussten die Ärzte schon am Tag des Unfalls amputieren, um sein linkes Bein hatten sie fast einen Monat gekämpft – vergeblich. „Das stellt natürlich alles auf den Kopf“, sagt der heute 48-jährige Böhm. Doch schon im Krankenhausbett beschloss der Odenwälder, das Beste aus seiner Situation zu machen. „Ich war maximal happy, dass ich das überhaupt überlebt hatte“, erzählt er. „Ich habe mir gesagt: Ich werde wieder laufen.“ 

151 Tage verbrachte Böhm im Krankenhaus. Die Zeit im Koma und über 30 Operationen hatten Spuren hinterlassen, seine Muskulatur hatte sich stark zurückgebildet. „Am Anfang konnte ich mich nicht mal im Bett nach oben stützen“, berichtet er. Doch Böhm kämpfte sich ins Leben zurück, nahm drei Physiotherapie-Einheiten am Tag statt einer, wie üblich. Ein Jahr nach seinem schweren Unfall konnte er wieder laufen, zwei Beinprothesen trugen ihn fortan durch den Alltag.   

Nach Rotterdam gepaddelt

Die Schlappekicker-Aktion, die unter anderem unverschuldet in Not geratene Sportler und Sportlerinnen unterstützt, war in diesem Moment eine große Unterstützung für Böhm. Beim SV Darmstadt 98, wo der Sportbegeisterte vor seinem Unfall als Nachwuchstrainer gearbeitet hatte, hörte der damalige FR-Fußballchef Harald Stenger von der tragischen Geschichte. Der Schlappekicker gab einen Zuschuss zum ersten Prothesen-Paar, half Böhm beim barrierefreien Umbau seiner Wohnung und spendierte Geld für neue Möbel, als ein Brand sein Zuhause zerstörte.

Außerdem stellte Stenger in seiner damaligen Funktion als Schlappekicker-Vorsitzender den Kontakt zum DFB her, wodurch Böhm im Jahr 2000 die A-Lizenz und 2006 gar die Fußballlehrerprüfung ablegen konnte – als erster Mensch ohne Beine überhaupt. Es war der Beginn einer beachtlichen Trainerkarriere. 2001 holte ihn der Karlsruher SC als Coach in seine Nachwuchsabteilung, die er von 2004 bis 2010 leitete, später trainierte er die U17 und U19 und dabei Spieler wie Lukas Rupp, Sead Kolasinac oder Simon Zoller. 2010 übernahm Böhm die U21 des FC Thun.

Doch irgendwann merkte er: Die Vereine vertrauten ihm zwar den Nachwuchs an, zögerten aber, ihm eine Perspektive im Profibereich zu bieten. Anfang 2013 hängte er die Taktiktafel an den Nagel. Stolz auf seine Karriere ist er trotzdem: „Ich konnte mir nicht vorstellen, wie weit das geht“, sagt Böhm. Heute wohnt der Südhesse in Wangen bei Zürich und hält Vorträge, Seminare und Workshops zum Thema Persönlichkeitsentwicklung.

Auch als Coach ist er tätig, berät mehrere Bundesliga-Fußballer, Profi-Handballer und zwei der besten Schweizer Golfer. Im Winter heizt er mit dem Skibob die Berge herunter, 2017 paddelte er mit einem Freund vom Schweizer Meiringen bis nach Rotterdam – um anschließend auf dem Handbike wieder zurückzufahren. „Ich setzte mir immer wieder neue Ziele“, sagt Böhm. Bisher hat er sie alle erreicht. 

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