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Den letzten Elfer hat Erto cool versenkt

Klarer Leistungsträger: Ertugrul Sahin.
Klarer Leistungsträger: Ertugrul Sahin. © Jürgen Streicher.

Hessenauswahl der ID-Fußballer ist zum vierten Mal nacheinander Deutscher Meister geworden – Schlappekicker unterstützt das Team mit Reisekosten-Zuschuss.

Lucio kann gar nicht anders, er muss alles unmittelbar rauslassen, was ihm gerade durch den Kopf geht und seine Gefühle zum Überlaufen bringt. Immer ehrlich und authentisch. Ertugrul ist in seiner zurückhaltenden Art nach außen hin das Gegenteil zum stets emotional überschäumenden Fußball-Kumpel. Auch wenn es in ihm ebenso brodelt. Trotz aller Verschiedenheit sind die beiden ein Herz und eine Seele, wenn es um ihre „Familie“ im HBRS-Trikot geht.

Im „Team United“ unter dem Dach von Teutonia Köppern, zu dem der 30-jährige Ertugrul Sahin erst kürzlich gestoßen ist, sind die beiden nur Lui und Erto. Das gilt auch für die Hessenauswahl ID, in der sie seit Jahren spielen. Da war der jüngere Ertugrul schon vor Lucio dabei, der erst im Alter von 29 Jahren von Michael Trippel entdeckt wurde, aber auch heute noch, jetzt 38 Jahre alt, jungenhaft daherkommt. Typen wie Lui und Erto schätzt Trippel besonders – sie sind die Seele eines besonderen Fußball-Teams, das auch er als Familie sieht.

Kein Gemecker

Michael Trippel, der Sportliche Leiter des Leistungszentrums und der Fußballschule des Hessischen Behinderten und Rehabilatationsverbandes (HBRS) in Wetzlar, ist selbst so eine Seele der HBRS-Mannschaft. Hessentrainer Bruno Pasqualotto lobt ihn respektvoll als „einen ganz großen Kümmerer“. Einer, mit dem so ein Projekt steht und fällt, der da ist, wenn man ihn braucht. Einer wie „Papa“, so hat es Lucio Pungente mal gesagt. In der Hessenauswahl Fußball ID spielen Sportler mit intellektueller Beeinträchtigung, übernommen wurde im Zusatz ID der englische Begriff „Intellectual Disability“. Ex-Profi Bruno Pasqualotto hat in diesem Team als Trainer einst den legendären Dragoslav Stepanovic beerbt. Von seinen Jungs fordert er all das ein, was er von jeder Mannschaft fordern würde. Vor allem Respekt und Disziplin, untereinander und im gesamten Umfeld. „Der Bruno ist ein geiler Typ“, sprudelt es aus Lui heraus, Erto nickt still, Pasqualotto lächelt.

Motiviert bis in die Haarspitzen ist das ID-Team ohnehin. „Wir meckern uns nicht an“, sagt Erto, „da geht die Konzentration kaputt“. Die Entwicklung spricht Bände. Mit Pasqualotto kam der Erfolg. „Früher sind sie eingebrochen bei einem Rückstand, jetzt sind sie bis zum Ende mit Leidenschaft dabei“, so der Trainer, der als Spieler früher das Trikot von Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund und der Spvgg. Bad Homburg trug.

Zum vierten Mal in Folge seit 2019 (mit Corona-Pause 2020 und 2021) ist das Team Hessen Deutscher Meister geworden. Wie im Vorjahr ungeschlagen in der Vorrunde, dann mit Siegen gegen Brandenburg im Halbfinale und nach Elfmeterschießen im Finale gegen Sachsen-Anhalt. Die Partie verlief torlos, den am Ende entscheidenden Elfer zum 4:2 versenkte Ertugul Sahin cool im Netz. Ist eingespeichert im Kopf, Erto nickt still dazu, Lui brodelt.

Wenn Bruno Pasqualotto den Hessenkader während der Saison einmal pro Monat zum Lehrgang nach Wetzlar oder Grünberg einlädt, dann sorgen die Betreuer für ein perfektes Umfeld. Mit gemeinsamen Essen zwischen den Einheiten, mit Übernachtung im Hotel, mit Trainingsspielen gegen untere Kreisliga-Mannschaften. Alle tragen das Trikot des ID-Teams mit Stolz – Lui und Erto können das im Gespräch gar nicht oft genug betonen.

So ist das auch im „Team United“ der Teutonia Köppern, in dem Rechtsaußen Puente und Dauerläufer Ertugrul ihre sportliche Heimat neben den Vereinen in ihren Wohnorten Hanau und Neu-Isenburg gefunden haben. „Erto ist ein Achter, ein Mann für die Mitte“, sagt der 55 Jahre alte Bruno Pasqualotto. „Ich kann alle Positionen spielen“, sagt Erto trocken, diesmal nickt der Trainer. Sein „Team United“ hat dieses Jahr den Hessentitel und Hessenpokal in der Inklusionsklasse gewonnen. Inzwischen hat es fast 100 aktive Mitglieder. Um dabei sein zu können, nehmen Spielerinnen und Spieler lange Anreisen zum wöchentlichen Training in Kauf.

Seit zwölf Jahren managt Bruno Pasqualotto das Team. „Keine Minute Ärger, das soziale Miteinander ist super, es ist unfassbar schön“, lautet seine Kernbotschaft. Bei den Kölner Inklusionstagen durften sie dieses Jahr direkt unter dem Dom kicken. Gegen eine Mannschaft aus Nürnberg, den 1. FC und Fortuna Köln, gegen die Nationalmannschaft aus Luxemburg – ein unvergessliches Erlebnis. Am Ende waren alle Sieger, wie beim letzten Training vor der Weihnachtspause. Da haben fast 60 leidenschaftliche Fußballer den Zipfelmützen-Cup ausgespielt. Fünf Teams mit unterschiedlich farbigen Mützen, alle haben einen Pokal bekommen, alle haben gewonnen, alle waren Sieger.

Zuschuss von 3250 Euro

Die Hessenauswahl des HBRS richtet schon den Blick voller Vorfreude auf einen neuen Höhepunkt. Im Mai 2025 wollen sie sich den fünften Stern holen. Bei der Deutschen Meisterschaft haben sie nur Heimspiele in der Wetzlar-Arena. Ein Endspiel vor noch mehr als 3000 Fans wie beim bisherigen Rekordspiel in Reutlingen wäre der absolute Hammer für Lui und Erto. Beim Schlappekicker-Vorstand hat Michael Trippel bereits einen neuen Antrag auf finanzielle Unterstützung für die Deutschen Meisterschaft 2025 vor heimischer Kulisse eingereicht. Für die Turniere 2023 und 2024 erhielten die HBRS-Fußballer als Beitrag zu den Reisekosten einen Zuschuss in Gesamthöhe von 3250 Euro.