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„Zugfahren ist wie eine Kreuzfahrt an Land“

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Von: Alina Hanss

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Der Wiener Elias Bohun will, dass Fernreisen per Bahn erschwinglicher werden.
Der Wiener Elias Bohun will, dass Fernreisen per Bahn erschwinglicher werden. © Privat

Traivelling plant Zugreisen - sogar bis nach Vietnam und Thailand. Gründer Elias Bohun spricht über die entspannteste Art zu reisen, Hindernisse beim Ticketbuchen und Erlebnisse in kasachischen Speisewagen.

Ein Asientrip nach der Matura hat Elias Bohuns Sicht auf die Welt verändert. Damals beschloss der 19-jährige Wiener, nicht mehr zu fliegen und stattdessen nur noch mit der Bahn zu reisen. Weil Zugfahrten innerhalb Europas aber viel zu kompliziert zu buchen und auch zu teuer sind, gründete er kurzerhand selbst ein Reisebüro namens Traivelling. Die Weichen für die Eisenbahn-Faszination des Österreichers wurden früh gestellt. In Bohuns Kinderzimmer hatten Brio- und Märklin-Modellbahnen beim Spielen immer Vorfahrt.

Herr Bohun, für was steht Traivelling?

Traivelling steht für die Mischung aus Train und Traveling. Wir verkaufen weltweite Zugreisen – über weite und kurze Strecken, aber auch mit Bus und Fähre, wenn es mit dem Zug nicht weitergeht. Das sind Strecken innerhalb von Europa, oder aber auch bis Vietnam, Japan, Bali oder über den Iran bis nach Dubai.

Haben Sie mit dem Konzept Erfolg?

Das ist sehr gut angekommen. Zu Beginn haben wir als Reisebüro an die 8000 Anfragen erhalten. Alles einzeln zu beantworten, Strecken auszuwählen und individuell zusammenzustellen, ist auf Dauer als kleines Reisebüro nicht zu stemmen. Während Corona haben wir deswegen die Zeit genutzt, um an einer Plattform zu bauen, die die Buchung automatisiert anbieten soll und im Dezember online gehen wird. Wir werden natürlich trotzdem ein Reisebüro bleiben, weil man in vielen Ländern Zugtickets noch gar nicht online kaufen kann.

Was unterscheidet Ihr Reisebüro vom Angebot anderer Anbieter, wie zum Beispiel der App der Deutschen Bahn?

Bei der Deutschen Bahn ist das Problem, dass man die richtige Verbindung gar nicht findet, weil der Suchalgorithmus grundsätzlich erstmal nur nach dem schnellsten Weg sucht. Das ist in vielen Fällen einfach nicht zielführend, weil man in schönen Städten schlafen will oder weil man lieber ein bisschen länger fährt und dafür weniger Umstiege hat. Es gibt verschiedene touristische Faktoren, die wir da einbeziehen. Das kann im Nachhinein auch noch bearbeitet werden. Zudem werden durch Busse und Fähren Lücken geschlossen, wodurch spannende Reisen möglich sind. Nach Helsinki kommt man zum Beispiel nur mit der Fähre.

Wie unterstützen Sie Reisende bei ihrer Planung?

Die Bahnen bieten im Buchungsprozess meistens das eigene Land und maximal die Nachbarländer an. Das ist sehr schade, weil man dann über verschiedenen Seiten buchen muss oder es teilweise sogar unmöglich ist. Wenn ich von Berlin nach Madrid will, reise ich dann über Paris? Oder Zürich? Oder Italien? Die Suche nach der sinnvollsten Route ist ohne Expertenwissen oft kompliziert. Da fehlt einfach ein Ansprechpartner für die gesamte Reise. Ich habe Traivelling gegründet, weil mich selbst gestört hat, dass Bahnreisen auch durch den Buchungsprozess so unattraktiv werden.

Was macht Bahnreisen für Sie attraktiv?

Bahnfahren ist eine sehr entspannte Art zu reisen, weil man sehr viel auf dem Weg erlebt und viele Leute kennenlernt, wenn man das will. Für jeden ist etwas dabei. Es gibt Sitzwagen, Liegewagen und Schlafwagen. Man kann über längere Strecken unzählige Kulturen und Regionen entdecken. Das ist wie eine Kreuzfahrt an Land. In der Hinsicht ist Fliegen absurd, weil man sich an das andere Ende der Welt beamt, ohne mitzubekommen, was eigentlich dazwischen liegt. Man verpasst so viel. Erst am Boden merkt man, wie klein die Welt ist. Bei einer Zugreise hingegen wird der Weg zum Ziel. Der Urlaub beginnt schon zu Hause und nicht erst wenn man nach anstrengendem Flug und einem Tag Erholung am Strand liegt.

Ist die Reise erholsam, wenn man erst mal 16 Tage mit dem Zug nach Vietnam unterwegs ist?

Es ist sehr erholsam. Für diese Reise ist man nur in zwei Zügen länger als eine Nacht. Ansonsten fährt man immer über Nacht und schaut sich am Tag eine Stadt an. Dadurch sieht man unglaublich viel und es ist ein sehr intensives Erlebnis. Gleichzeitig entspannt Zugfahren, weil es eine sehr langsame Art des Reisens ist. Man gibt der Seele Raum und Zeit, um hinterher zu kommen. Wenn man in Vietnam ankommt, hat man keinen Kulturschock, weil das Ziel dann einfach ein weiterer Stopp auf der Reise ist.

Was war Ihr spektakulärstes Ereignis, das Sie nur durch eine Zugreise erlebt haben?

Als wir nach Vietnam gefahren sind, haben wir in einem Speisewagen in Kasachstan mit zwei Russen Karten gespielt. Dann hat der Kellner einfach sein goldenes Mikrofon unter dem Sitz herausgeholt und mit einem Kirchenhalleffekt eineinhalb Stunden kasachische Volkslieder vorgesungen. Kasachstan generell war ein tolles Erlebnis, weil man bei solchen Reisen nicht nur von Zuhause zu Touristenhotspots fliegt. Dadurch sieht man Länder wie Kasachstan, wo ich sonst nie hingefahren wäre. Wir sind zum Beispiel von Kasachstan nach China durch die Wüste Gobi gefahren. Da ist der Zug mal eine Stunde stehen geblieben, sodass ich in die Sanddünen laufen konnte. Ich war davor noch nie in der Wüste.

Welche Menschen buchen bei Ihnen Reisen mit dem Zug?

Innerhalb von Europa buchen bei uns alle Altersgruppen. Viele wissen oft nicht, wo es die günstigsten Tickets gibt. Über längere Strecken buchen vor allem Leute, die Zeit haben, Senioren, 30- und 40-Jährige, die sich ein Jahr Auszeit nehmen, Menschen nach dem Abi, während dem Studium, nach dem Studium.

Welche Rolle spielt der Klimaschutz für die Reisenden?

Bei vielen ist das Klima die ursprüngliche Motivation. Zugfahren ist klimaschonend und ein wunderbares Erlebnis. Auch für mich persönlich war Klimaschutz der Grund, wieso ich damals meine Reise nach Vietnam mit dem Zug angetreten bin. Bis heute ist der aktionistische Teil geblieben. Ich stehe für einen Systemwandel ein. Klimaschutz wird oft mit Verzicht verbunden, was aber nicht sein sollte. Für mich geht es darum, Dinge anders denken und sich zu trauen, Unkonventionelles zu machen.

Kann Ihre Idee tatsächlich etwas bewegen?

In Österreich hat das schon bei den Bundesplanern etwas bewegt. Wir wurden im vergangenen Jahr als grünstes Start-up Österreichs ausgezeichnet. Und wir werden die Seite im Januar auch voraussichtlich im EU-Parlament präsentieren.

Was ist Ihre Nachricht an die Politik?

In Europa ist der Bahnverkehr ein komplettes Politikversagen. Es ist eine Frechheit, dass man eine Reise von Berlin nach Neapel über drei verschiedene Seiten buchen muss. Da gibt es einen großen Aufholbedarf. Wir als Reisebüro können die sinnvollsten Routen zwar finden und individuelle Bearbeitungsmöglichkeiten bieten, aber beim Preis sind wir abhängig von den Bahnunternehmen. Wenn ein Zugticket von Wien nach Hamburg kurzfristig gekauft 210 Euro kostet, muss man sich einfach fragen, was da falsch läuft. Wir brauchen ein System, das mir erlaubt, auch kurzfristig zum Bahnhof zu kommen und dort ein möglichst günstiges Ticket zu kaufen. Sonst wird der Bahnverkehr Flug- oder Autoreisen nie ersetzen können.

Bei solchen Preisen können sich nur Besserverdienende die Reise mit dem Zug leisten. Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

Klimaschutz ist noch immer ein Privileg, das sich viele nicht leisten können. Bei den Fernreisen ist die Zugfahrt vom Preis her natürlich nicht eins zu eins mit dem Flug zu vergleichen. Innerhalb Westeuropas jedoch kosten Flugtickets nur ein Bruchteil des Zugtickets. Ich bin der Meinung, dass Flüge mehr besteuert werden müssen. Flugpreise müssen extrem viel teurer werden, ja sogar einen Mindestpreis haben. Alles unter 150 Euro für einen Flug ist ein Verbrechen an der Welt. Die Einnahmen aus der Steuer sollen dann wiederum auf den Zugticketpreis umgewälzt werden. So wird Zugfahren für alle günstiger.

Reisen sollte also kein Privileg der Reichen bleiben?

Menschen sollten nicht aufhören zu reisen, weil sie das Klima schützen müssen. Wir leben in einer Welt, in der es auf Austausch ankommt. Länder, Leute aus fremden Ländern, aus der weiten Ferne kennenlernen, miteinander reden. Wenn Flüge nur teurer werden, ist niemandem geholfen. Züge müssen zur selben Zeit viel billiger werden.

Wohin soll Ihre nächste eigene Reise führen?

Ich würde sehr gerne Zentralasien bereisen. Kasachstan und Kirgistan reizen mich sehr. Und man kann gut mit dem Zug hinkommen. Auch nach Marokko im Norden Afrikas führen gute Verbindungen, mit der Fähre von Barcelona aus über Nacht zum Beispiel. Ich habe noch einiges vor.

Interview: Alina Hanss

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