Neue Technologien: Bloß nicht differenzieren

Wer Facebook ablehnt, aber Gesichtserkennung sinnvoll und Blockchain aussichtsreich findet, wird sich nur Streit einhandeln. Warum eigentlich?
Ich folge auf verschiedenen Wegen im Netz Menschen, die Meinungen über neue Technologien haben. Die einen finden alles erst mal interessant, aussichtsreich und allenfalls in den Details noch verbesserungsfähig. Die anderen reagieren auf alle technischen Veränderungen kritisch bis zynisch. Dazwischen scheint es nichts zu geben. Es könnte sein, dass ich einigen Leuten folge, die manche technische Entwicklungen mit Optimismus und andere mit Skepsis betrachten, aber die gehen diesem Hobby dann wohl heimlich nach und schreiben öffentlich nur über ihren Hund.
Dabei ist es doch eigentlich ziemlich unwahrscheinlich, dass ausnahmslos alles eine verkommene Machenschaft des Kapitalismus ist. Genauso unwahrscheinlich ist es, dass alle, die an neuer Technik arbeiten, die Welt verbessern wollen und für dieses Wollen auch Mittel finden, die nicht versehentlich das Gegenteil bewirken. Warum ist es so schwer, an den Stellen kritisch zu sein, wo es nötig wäre, und an den anderen optimistisch zu sein oder erst mal abzuwarten?
Wer das Netz gegen irgendwas verteidigen soll, muss es erst einmal mögen.
Zur Beantwortung eines Teils dieser Frage kann ich mich selbst interviewen. Der erste Sammelband aller Texte dieser Kolumne trug den Untertitel „52 weitgehend unkritische Kolumnen“. Im Vorwort habe ich geschrieben: „In diesen 52 Kolumnen aus dem Jahr 2019 geht es nicht um Missstände. Sie handeln von dem, was man an den netztechnischen Aspekten der Gegenwart erfreulich, nützlich oder interessant finden könnte. Das hat zwei Gründe, na gut, drei: Der dritte Grund besteht darin, dass ich das Internet in den 1990er Jahren als Weltverbesserung kennengelernt habe und mich davon nicht so schnell abbringen lassen will. Man kann das auch Starrsinn nennen und es ist vielleicht kein so guter Grund wie die anderen beiden.“ Die zwei anderen lauteten: „Mit Kritik am Netz sind sowieso schon sehr viele Menschen beschäftigt, fast alle anderen, wie mir manchmal scheint. Vielleicht ist das eine Illusion, die daher rührt, dass ich oft auf netzkritische Veranstaltungen eingeladen werde, um dort das Gutfindebunny zu geben.“ Und: „Wer das Netz gegen irgendwas verteidigen soll, muss es erst einmal mögen. Kaum jemand wird sich dafür interessieren, das Neue vor schlechten Entscheidungen in Schutz zu nehmen, wenn nicht vorher gelegentlich erklärt wird, was an diesen Neuerungen überhaupt unterhaltsam oder nützlich sein soll.“

Bei ganz neuen Entwicklungen kann man oft die Folgen nicht absehen
Im zweiten Jahr der Kolumne habe ich den Untertitel weggelassen. Es sind keine ganz und gar unkritischen Kolumnen, aber von einer kritischen Position oder auch nur einer in der Mitte bin ich weit entfernt. Für die kritische bin ich konstitutionell ungeeignet, ich glaube weiterhin, dass sie falsch ist und speziell im deutschsprachigen Raum sowieso schon von zu vielen vertreten wird. Und die in der Mitte ist einfach kein angenehmer Wohnort. Um bei einem Phänomen etwas zu positiven und negativen Aspekten sagen zu können, müsste ich gründlich recherchieren, das macht Arbeit. Bei ganz neuen Entwicklungen kann man sich teils darauf rausreden, dass diese Aspekte noch gar nicht richtig zu erkennen sind. Aber ein paar Jahre später ist es damit vorbei. Es ist auch keineswegs so, dass die weltverbessernden oder -verschlechternden Folgen einer Neuerung von allein ans Licht treten, wenn man nur lange genug abwartet. Im Gegenteil, je länger man der Realität Zeit gibt, Daten hervorzubringen, desto komplizierter wird alles. Jetzt kann man sich nicht mehr darauf berufen, dass diese Geräte, Plattformen oder Gewohnheiten ja noch ganz neu sind. Man muss die scheußliche Komplexität von allem berücksichtigen. Und wer dankt es einem? Wenn ich einen „die einen sagen so, die anderen sagen so“-Text schreibe, wirkt es so, als wäre mir die Sache letztlich egal. Ich spreche aus Erfahrung, Haltungslosigkeit war der häufigste Vorwurf an das Buch „Internet – Segen oder Fluch“, in dem ich mich zusammen mit Sascha Lobo erstmals bemüht habe, nicht immer alles uneingeschränkt super zu finden.
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Aber die Ausgangsfrage war ja, warum es so schwer ist, bei manchen Themen optimistisch und bei anderen skeptisch zu sein. Ich vermute, es ist so ähnlich wie mit der Stammzellspende: Wer mit dem halben Bundesland verwandt ist, findet relativ leicht eine genetisch passende Person im Spendenregister. Für jemanden mit finnisch-afghanisch-österreichischen Genen ist es schwerer. Wer alle technischen Neuerungen verkehrt findet, wird oft Gelegenheit haben, diese Abneigung gemeinsam mit anderen zu feiern, und umgekehrt. Aber wer Facebook ablehnt, Gesichtserkennung im öffentlichen Raum gut gegen Verbrechen, Blockchain eine aussichtsreiche Technologie und autonomes Fahren gefährlichen Unfug findet, wird sich in jeder Runde nur Streit einhandeln. Oder eben zu all diesen Themen schweigen und öffentlich nur vom Hund erzählen. (Kathrin Passig)