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Update: Lesen mit Libby

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Von: Kathrin Passig

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E-Books – wie funktioniert das digitale Verleihsystem?
E-Books – wie funktioniert das digitale Verleihsystem? © Getty Images/iStockphoto

Auch wer online Bücher ausleiht muss warten, bis die digitale Kopie in der Bibliothek verfügbar ist. Hat das einen Sinn?

Jahrzehntelang habe ich keine Bücher in Bibliotheken ausgeliehen. Das letzte Mal war vor ungefähr zwanzig Jahren. Damals habe ich die Leihfrist so lange überzogen, dass ich die Bücher gar nicht mehr zurückbringen konnte, viel zu peinlich. Was soll man da sagen: „Ich bin mehrere Jahre lang einfach nicht dazu gekommen, den drei Kilometer langen Weg zur Bibliothek zurückzulegen?“

Diese Begründung war schon beim vorletzten Ausleihvorgang vor dreißig Jahren nicht so gut angekommen. Tut mir leid, Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin! Bei privat geliehenen Büchern sieht es kaum besser aus. Ich vergesse nicht, dass sie mir nicht gehören, sie liegen alle auf einem eigenen Stapel in meinem Bücherregal, da bin ich gewissenhaft. Nur das Zurückgeben ist schwierig. Zum Ausgleich vergesse ich sofort, ob ich selbst ein Buch verliehen habe und falls ja, an wen.

Es war also gut für die Bibliotheken, und wegen der Überziehungsgebühren auch gut für mich, dass wir einander aus dem Weg gegangen sind. Außerdem habe ich seit 2010 gar nicht mehr auf Papier gelesen, sondern E-Books auf dem Handy. Diese E-Books habe ich gekauft, 40 bis 100 Stück pro Jahr. (Vielleicht war mein Sparsamkeitsargument mit den Überziehungsgebühren doch nicht so gut, wie ich gerade noch dachte.) Theoretisch hätte ich diese Bücher auch digital ausleihen können, denn die Onleihe, ein E-Book-Verleihsystem der Bibliotheken, gibt es seit 2007. Ich fand es nur viel zu albern, dass man auch im Digitalen jedes Buch nur dann leihen kann, wenn es gerade niemand liest. Man muss warten, bis die digitale Kopie zurückgegeben wird, obwohl es technisch keinen Grund dafür gibt. Die Bibliotheken, dachte ich, hätten wegen ihrer historischen Bindung ans Papier irgendwas an der Digitalisierung grundlegend missverstanden. Deshalb boykottierte ich den Digitalverleih aus Prinzip, so wie ich es auch tun würde, wenn man zu jedem E-Book aus rechtlichen Gründen ein lebendes Huhn ausleihen müsste.

Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de
Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de © Norman Posselt

Mittlerweile weiß ich, dass es den Bibliotheken vielleicht sogar überhaupt nichts ausmachen würde, ein E-Book an mehrere Lesende gleichzeitig zu verleihen. Die „Open Library“, ein Projekt des in den USA ansässigen Internet Archive, hat das im ersten Pandemiejahr ausprobiert, als die physischen Bibliotheken geschlossen waren. Für dieses Projekt namens „National Emergence Library“, nationale Notfallbibliothek, ist sie sofort von Autor:innenverbänden und Verlagen verklagt worden. Jetzt verleiht die Open Library digitale Bücher wieder so wie alle Bibliotheken: immer nur an eine Person. Die Verbände und Verlage befürchten, dass niemand mehr Bücher schreiben oder verlegen wird, wenn jede Bibliothek nur noch ein einziges digitales Exemplar von jedem Titel zu kaufen braucht. Schuld an der unbequemen Verleihsituation sind also nicht die Bibliotheken, sondern Leute wie ich (auch wenn ich die Befürchtungen nicht teile).

Ich brauche den Bibliotheken nicht mehr durch mein Fernbleiben mitzuteilen, dass ich ihre Einstellung zur Digitalisierung zweifelhaft finde, weil sie diese Einstellung gar nicht haben. Zufällig war ich schon vor dieser Einsicht wieder Mitglied einer Bibliothek geworden, und zwar wegen Stefan Wehrmeyers „BibBot“. Der BibBot ist eine Browser-Erweiterung, die bei Links zu kostenpflichtigen Zeitungsartikeln in den Pressedatenbanken von Bibliotheken sucht und dort oft den Artikel gratis lesbar findet. Dafür bezahle ich gern 10 Euro im Jahr an den Bibliotheksverbund meines Wohnorts.

Mit diesem Bibliothekszugang habe ich mich vor zwei Monaten in der App „Libby“ angemeldet, und statt eigenwilliger Behördensoftware bequeme Leih- und Lesefunktionen vorgefunden. Meine Buchlesemenge hat sich umgehend vervielfacht. Bei Netflix veränderte sich mit der Umstellung vom DVD-Versand aufs Streaming von Filmen um das Jahr 2010 herum auch das Nutzungsverhalten: Wenn man jeden Film testen, abbrechen und sofort einen neuen auswählen kann, experimentiert man bereitwilliger. Genauso ging es mir mit den Büchern. Am Ende der Leseprobe muss ich nicht überlegen, ob die Handlung vielleicht wenige Seiten später im Nichts versickern wird. Ich kann es einfach ausprobieren.

Das Warten aufs digitale Buch gefällt mir jetzt sogar ganz gut. Zum einen ist es schön, zu einem unerwarteten Zeitpunkt die Nachricht zu bekommen, dass ein Buch, bei dem ich in der Warteschlange stehe, jetzt verfügbar ist. Das fühlt sich wie ein überraschendes Geschenk an. Zum anderen gefällt es mir auch bei der Rückgabe, „1 person is waiting“ zu sehen. Ich fühle mich dieser anonymen Person verbunden. Sie will dasselbe Buch lesen wie ich und wartet schon darauf. Gleich wird sie es bekommen.

Aber das Beste an den digital ausgeliehenen Büchern ist, dass die Rückgabe automatisch passiert. Glaube ich jedenfalls. Bisher habe ich es nicht ausprobiert, denn wenn man zum Zurückgeben eines Bibliotheksbuchs einmal aufs Handy tippen muss, dann schaffe das sogar ich.

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