Update: Elternsicherung

Ich dachte, das Internet zu benutzen, würde für Menschen jedes Alters mal selbstverständlich – da lag ich wohl daneben.
Viele Jahre schien das Medium für sie so unverständlich wie uninteressant, doch in letzter Zeit drängen selbst sehr alte Eltern ins Internet.“ Dieser Satz steht in einem Beitrag für die „taz“, den ich im Jahr 2002 geschrieben habe. Meine Eltern waren damals ungefähr so alt wie ich heute. Der Text war nicht ganz ernst gemeint, ich erfand darin eine „Elternschutz-Software“ namens ElterShelter, die „mit elternsicherem Mail-Client und Browser ausgeliefert wird – sichtbar sind dabei maximal drei der wichtigsten Buttons, während sämtliche Konfigurationsmöglichkeiten passwortgeschützt hinter den Kulissen versteckt sind.
Alle Sicherheitseinstellungen sind per Default auf die höchstmögliche Stufe gesetzt und lassen sich von den Eltern nicht eigenmächtig verändern.“
Die meisten Menschen im Alter meiner Eltern hatten damals wenig Erfahrung mit Computern und noch weniger mit dem Internet. Ich war überzeugt, dass die allgemeine Unbeholfenheit im Umgang mit der Technik sich nach wenigen Jahren legen würde, spätestens 2005 oder so. Dann würden alle Altersgruppen das Internet so selbstverständlich benutzen wie einen Lichtschalter. Erst später erkannte ich die hier schon gelegentlich erwähnte Regel: Es dauert immer alles zwanzig Jahre, bis auf die Dinge, die noch länger dauern. Beim Eltern-Internet-Problem ist mittlerweile klar, dass es sich um eines der Dinge handelt, die noch länger dauern. Vielleicht sogar ewig.
Ich entschuldige mich bei allen Eltern für meine schlampige Ausdrucksweise. Das Elternsein hat natürlich nichts damit zu tun. An den Orten im Internet, an denen das Problem diskutiert und nach Lösungen gefragt wird, geht es zwar fast immer um die eigenen Eltern. Aber Menschen ohne Nachkommen haben die gleichen Technikprobleme. Sie haben nur niemanden, der in diesen Diskussionsrunden für sie nach Hilfe fragt. Eigentlich ist es ein Alte-Menschen-Internet-Problem, und früher oder später ereilt es alle. Die Mutter sei von Beruf Informatikerin gewesen oder der Vater zeitlebens computerbegeistert, heißt es in vielen Selbsthilfe-Diskussionen. Aber irgendwann ist es so weit und auch diese früheren Fachleute können nicht mehr unterscheiden, an welchen Stellen man auf jeden Fall „Ok“ drücken muss, weil es sonst nicht weitergeht, und an welchen Stellen man auf keinen Fall „Ok“ drücken darf, weil dann irgendwas Kostenpflichtiges, Lästiges oder Betrügerisches passiert.

Im Haushalt ist vieles so eingerichtet, dass Momente der Verwirrtheit nicht zu Katastrophen führen. Weil das in jedem Lebensalter hilfreich ist, heißen die meisten dieser Einrichtungen nicht mal „altersgerecht“. Ein Überlauf am Waschbecken oder die automatische Abschaltung beim Wasserkocher sind einfach Standard.
Ansatzweise ist das beim Internet ähnlich. Trotzdem wird es nicht in absehbarer Zeit so einfach und altersfreundlich wie ein Lichtschalter werden (schon eher die Lichtschalter so kompliziert wie das Internet, aber das ist eine andere Geschichte). Im Haushalt gibt es eine überschaubare Anzahl an Möglichkeiten, etwas so falsch zu benutzen, dass es danach ganz anders aussieht oder nicht mehr funktioniert. Bei Handy, Tablet und Computer sind diese Möglichkeiten unendlich. Aber vor allem hat bei Haushaltsgeräten niemand ein aktives Interesse daran, dass wir bei ihrer Benutzung Fehler begehen. Die Stadtwerke versuchen uns nicht aktiv zu ewigem Wasserkochen oder zum Überlaufenlassen der Badewanne zu bewegen. Im Internet stecken auch relativ seriöse Unternehmen viel Energie in aufpoppende Benachrichtigungen, ungünstige Voreinstellungen, irreführende Cookie-Regler und getarnte Abo-Mechanismen. Und wir müssen es ausbaden. Zuerst ärgern wir uns nur über die mit dem Wegklicken verlorene eigene Lebenszeit. Dann ärgern wir uns ein paar Jahrzehnte lang zusätzlich über die Supporteinsätze bei den Eltern, die dadurch nötig werden. Und kurze Zeit später sind wir es selbst, die nur ein einziges Mal versehentlich irgendwo falsch drücken und dann bei den Nachfahren anrufen und „ich hab gar nichts gemacht“ sagen müssen.
Wenn ich über das Thema dieser Kolumne in zwanzig Jahren ein drittes Mal schreibe, werde ich selbst in einem Alter sein, in dem ungewohnte Knöpfe mich verwirren (und an manchen Tagen vielleicht auch die gewohnten). Weil ich nicht wusste, wie dringend man für den Technik-Support im Alter eigene Nachkommen braucht, habe ich es versäumt, welche zu gebären. Aber vielleicht ist die Welt bis dahin etwas besser eingerichtet als heute. Bei den Haushaltsgeräten gab es anfangs ja auch noch keinen Dampfkessel-Revisions-Verein (den heutigen TÜV), weshalb einem öfter als heute was um die Ohren flog. Fortschritt scheint also möglich zu sein, und ich bin bereit, mich noch mal zwanzig Jahre zu gedulden. Länger aber nicht!