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Potsdamer Platz: Kino in der Mitte von Nirgendwo

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Von: Thoralf Cleven

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Eine Baustelle am Potsdamer Platz. Hier kommt wohl vorerst kein Filmquartier hin.
Eine Baustelle am Potsdamer Platz. Hier kommt wohl vorerst kein Filmquartier hin. © dpa/(Symbolbild)

Der Plan eines Filmquartiers im Herzen der Hauptstadt war wohl nur eine Illusion.

In seiner Zeit als Festivalchef hatte Dieter Kosslick einen Lieblingsort auf dem Potsdamer Platz: sein Hotelzimmer. Aus dem dritten Stock des Hyatt schaute der Berlinale-Direktor direkt auf den roten Teppich. Am frühen Abend füllte sich der morgens noch gähnend leere Marlene-Dietrich-Platz vor seinen Augen. „Hinter den Absperrgittern bildeten sich Menschentrauben, die Fotografen nahmen allmählich ihre Plätze ein, und die Aufregung wuchs erkennbar“, schwärmt Kosslick. Wenig später musste der Mann mit dem schwarzen Hut und dem roten Schal liefern.

Der rote Teppich war Kosslicks Stammplatz in seiner Berlinale-Ära von 2001 bis 2019. Legendär launig nahm er das noch obligatorisch im Limousinenkonvoi anreisende Filmteam plus Entourage des Premierenfilms in Empfang. Niemand hat hier so viele Filmstars geküsst und geherzt wie er – und dabei so oft gefroren, wenn der nasskalte Wind in der Alten Potsdamer Straße besonders heftig blies oder spiegelglattes Eis den grauen Asphalt überzog.

Nun ist es, unter der seit 2020 agierenden Festivalleitung des Duos Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, wieder so weit. Seit Donnerstag ist der Potsdamer Platz das heftig schlagende Herz der Berlinale. Aber Leinwände, Scheinwerfer und Stars können kaum von den zunehmenden Problemen am Standort ablenken. Es steht nicht allein die Frage im Raum, ob das größte deutsche Publikumsfestival mit rund einer halben Million Besuchern und Besucherinnen sich auch künftig am Potsdamer Platz zu Hause fühlen wird – sondern ebenso, ob der Plan eines Film- und Kinoquartiers mitten in der Hauptstadt eine Illusion war.

So sieht es aus: Die mit Mühe aufgebaute filmische Infrastruktur rund um drei Luxushotels für die Stars und den Berlinale-Palast mit seinen 1754 Plätzen bröckelt. Der Palast steht elf Monate im Jahr leer – nur im Februar wird er bespielt. Von den beiden Multiplex-Kinos einen Steinwurf entfernt hat das eine, Cinestar im Sony-Center, schon vor ein paar Jahren zugemacht und das andere, Cinemaxx, seine Plätze halbiert, um dem Trend nach hochwertigerem Leinwandgenuss im ledernen Liegestuhl zu genügen. Kino-Exodus am Potsdamer Platz.

Vor 23 Jahren wurde der Berlinale-Standort am Zoologischen Garten mit den Aufführungen in die verstreuten Kinos des alten West-Berlin in die Mitte der inzwischen geeinten Stadt verlegt. Ein Festival der kurzen Wege, hieß der Slogan der Anfangszeit. Der Gedanke hat leider keinen Bestand, resümiert Festivalchefin Rissenbeek. „Wir empfinden das aber als Stärke, dass man mehr in die Stadt hinausstrahlen kann.“

Rissenbeek umschreibt damit, dass Vorführungen jetzt auch am Alexanderplatz, in der Akademie der Künste und in Friedrichshain stattfinden. Christian Bräuer von der AG Kino nennt es „aus der Not eine Tugend machen“. Im Verband, dem er vorsteht, haben sich bundesweit mehr als 370 Programmkinos zusammengeschlossen. Er sieht in einer „Kiezverankerung“ der Berlinale Vorteile: „Die Stadt ist dann eben nicht nur Kulisse wie etwa in Cannes.“ Im Moment, so Bräuer, befinde sich die Berlinale zwar geografisch in der Mitte Berlins. „Gefühlt spielt sie jedoch in der Mitte von Nirgendwo.“

War hier früher mehr Lametta? Dieter Kosslick warnt vor „sentimentaler Schönfärberei“. Er bestätigt, dass es zu Beginn problematisch war, den nach kühnen Architektenplänen des Genuesen Renzo Piano entstandenen Potsdamer Platz zu bespielen. „Anfangs herrschte Tristesse“, sagt der 74-Jährige. Sie hätten damals sogar überlegt, einen Wettbewerb für einen Kulissenbau wie in einem Filmstudio auszuschreiben, um der Ödnis Leben einzuhauchen. Und dann sei da noch „ein schrecklicher Mittelstreifen“ auf der Straße verlaufen, ursprünglich vorgesehen für eine Straßenbahn. „Als wir den Anblick gar nicht mehr ertragen haben, haben wir Tausende von Kubikmetern Rindenmulch in den Gartencentern bestellt und den Streifen erst mal abdecken lassen“, erinnert sich Kosslick. Den nötigen Festivalglanz produzierte man übrigens trickreich und kostengünstig. „Wir haben einfach die Weihnachtsbeleuchtung hängen lassen und nur die Christbaumkugeln weggenommen.“

Einst verliefen hier Mauer und Todesstreifen, später breitete sich eine gigantische Brache aus. Schließlich entstanden auf der größten innerstädtischen Baustelle Europas markante, aber seelenlose Hochhäuser mit Ecken und Kanten. Möglichst weltstädtisch sollte die Silhouette aussehen. Doch urbanes Flair mit nächtlichem Leben und Kultur zog nie wirklich ein. Und auch Stararchitekt Piano, der im vergangenen Jahr 85 Jahre alt wurde, sagte der „Zeit“ einmal, in Berlin würde er am liebsten wieder ganz von vorn beginnen.

Als historisches Element war kaum mehr als der Kaisersaal des einstigen Grand Hotels Esplanade geblieben, in dem einst Kaiser Wilhelm II. exklusive Herrenabende abgehalten und Greta Garbo und Billy Wilder in den vergnügungssüchtigen zwanziger Jahren getanzt hatten. Das Hotel war im Krieg bis auf den Saal weggebombt worden. Das 1300 Tonnen schwere Prunkstück wurde 1996 mit Luftkissen angehoben und um 76 Meter ins neue Sony-Center mit seiner auffälligen Dachkonstruktion verschoben. „Da haben wir dann unsere Abendessen veranstaltet“, sagt Kosslick. Allmählich sei ein „reales Potemkinsches Dorf“ zwischen Shoppingmalls, Bürokomplexen, Hotels und Cafés mit Heizleuchtern vor der Tür entstanden.

Doch nicht allein die Berlinale hat ein Problem am Potsdamer Platz. Auch der Traum vom Filmhaus, das Institutionen rund um den Film vereint, ist ausgeträumt. Die renommierte Film- und Fernsehakademie (DFFB) zieht in ein Industriegebiet in Moabit. Das Arsenal-Institut für Film- und Videokunst kapituliert nicht nur vor den hohen Mieten, die Studierenden müssen in den Wedding ausweichen. Auch die Zeit für das Filmmuseum und die Archive der Kinemathek läuft ab.

Das ist das Ergebnis eines Eigentümerwechsels großer Teile des Potsdamer Platzes vor mehr als fünf Jahren, auslaufender Mietpreisbindungen und langwieriger Entscheidungsprozesse in der Kulturpolitik auf Landes- und Bundesebene.

Die künstlerische Leiterin des Arsenal-Instituts, Stefanie Schulte Strathaus, sagt: „Die Filmhausplanung für den Potsdamer Platz gab es schon lange vor dem Mauerfall, danach änderte sie sich aber gewaltig. Der Potsdamer Platz ist heute ein Unort für Kino, wie wir es uns denken – als Ort von Begegnungen, Kommunikation und Inspiration. Darum ist bei uns und unserem Publikum immer eine gewisse Ambivalenz gegenüber dem Potsdamer Platz geblieben.“ Zwischenzeitlich gab es Pläne für das Filmhaus am nahen Martin-Gropius-Bau, der ohnehin schon zu Festivalzeiten für die der Berlinale angeschlossene Filmmesse genutzt wird. Auch die Berlinale-Verwaltung hätte dort einziehen sollen. Die Eröffnung war nach Kosslicks Worten bereits für 2025 geplant.

Ob aus dem Plan, alle unter einem Dach zu versammeln, noch etwas wird? Die Begeisterung für das schon ziemlich weit vorangetriebene Projekt sei jedenfalls erlahmt, so Kosslick. „Das Momentum, wie es so schön heißt, ist verstrichen.“ Das Arsenal-Institut von Stefanie Schulte Strathaus wäre auf jeden Fall nicht mehr dabei. „Für uns ist die Filmhausidee nicht mehr relevant, weil wir uns anders entschieden haben“, sagt sie. Aber Kooperationen mit der Kinemathek oder der DFFB würden bleiben. „Denn eines haben wir doch aus der Pandemie gelernt: Das kann man auch wunderbar aus anderen und verschiedenen Orten gestalten.“

AG-Kino-Chef Bräuer appelliert, die Situation nicht zu bejammern, sondern so zu handeln, dass das Filmfest in Berlin auch noch in zehn Jahren attraktiv ist. „Wir sind jetzt erst mal froh, dass die Berlinale so stattfinden kann wie früher.“

Immerhin: Kosslick musste zuletzt noch Streetfoodtrucks für die Versorgung auffahren lassen. Jetzt öffnete in den früheren Arkaden die neue Ess- und Einkaufsmeile mit dem hippen Namen „The Playce“.

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