„Der Klimawandel ist kein Zukunftsszenario aus Science-Fiction-Filmen mehr“

Auch die Filmbranche muss zum Klimaschutz beitragen, fordert die Initiatorin von „Green Film Shooting“, Birgit Heidsiek. Hier erklärt sie, warum Lars von Trier Pionierarbeit geleistet hat und was in der Filmförderung anders laufen sollte.
Frau Heidsiek, über die Folgen der Filmproduktion für das Klima haben die meisten Menschen, die Filme schauen, wohl noch nicht nachgedacht. Wie schädlich ist das denn?
Filmproduktionen haben einen höheren CO2-Fußabdruck als es vielen Menschen bewusst ist. Durch den Transport und die Mobilität entstehen viele Emissionen. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Film im Studio gedreht wird oder nur an einem Drehort, oder ob 100 oder 200 Leute in die Karibik fliegen müssen. Außerdem entstehen viele Emissionen durch die Energie, die am Set verwendet werden muss. Einerseits wird Strom für das Licht gebraucht. Hinzu kommen außerdem Kostüm, Maske und Catering. Mitunter läuft ein Dieselgenerator auf Volllast, auch wenn nur ein paar Handys geladen werden. Als drittes ist das Thema Abfall relevant. Der kann vermieden werden, zum Beispiel wenn Kostüme wiederverwendet werden. Es ist allerdings oft günstiger und schneller, neue Materialien einzusetzen.
Den Punkt Mobilität haben Sie schon erwähnt. Sie kritisieren, dass die regionale Filmförderung in Deutschland unerwünschte Folgen für das Klima hat. Warum?
Bundesweit gibt es fast ein Dutzend regionale Filmförderungen. Diese haben das Prinzip, dass für 100 Prozent der Fördermittel, die ein Produzent erhält, am Standort zwischen 100 und 150 Prozent der Fördersumme ausgegeben werden. Damit sollen Arbeitsplätze geschaffen werden und eine Medienwirtschaft entstehen. Diese Praxis hat aber dazu geführt, dass immer mehr Produzenten sich, um ihre Filme zu realisieren, bei verschiedenen regionalen Filmförderungen bedienen, weil das Geld von einer Förderung nicht ausreicht.
Aber wenn ich mir jetzt zum Beispiel Mittel in Bayern, in NRW und Baden-Württemberg hole, muss ich überall die Effekte erbringen, also Geld ausgeben, und das klappt bei größeren Summen oft nicht nur mit der Postproduktion. Also reisen die Teams dann von A nach B nach C, auch wenn das für das Drehbuch gar nicht nötig wäre. Diese Reisen erfordern Zeit, Geld, Ressourcen und der CO2-Fußabdruck wächst durch die Mobilität. Insofern ist dieses gewachsene System nicht mehr zeitgemäß.
Wie könnte man das System reformieren?
In Hamburg ist man schon ein bisschen in die Richtung gegangen. Die Effekte müssen dort nicht in jedem Fall unbedingt pro Produktion abgerechnet werden, sondern über das Jahr. Eine Produktion gibt mitunter mehr Geld vor Ort aus, eine andere weniger. Eine andere Lösung ist, dass Regionen gegenseitig ihre Effekte anerkennen. Das wird beispielsweise bereits zwischen Hessen und Baden-Württemberg praktiziert.
Bei kleineren Förderungen ist es ohnehin so, dass sie nicht mit den Großen mithalten können. Für die Produzenten ist es hingegen relevant, dass sie weiterhin ihre Filme finanzieren können. Insofern wäre es eine Win-Win-Situation, wenn sich die Förderungen auf ein liberaleres Modell verständigen würden. Trotzdem darf man nicht unterschätzen, dass gerade Filmdrehs mit bekannten Stars eine große Strahlkraft haben. Alle Förderchefs möchten, dass bei ihnen gedreht wird und mit dem Schauspieler oder der Regisseurin aufs Foto.

Nochmal zur technischen Seite. Bei der relativ neuen virtuellen Filmproduktion kommen im Studio Videowände zum Einsatz, auf denen ein Hintergrund angezeigt werden kann. Ist das gut für das Klima?
Das ist noch nicht ganz klar. Wenn wir diese Technik verwenden, statt mit mehreren Leuten nach Neuseeland zu fliegen, haben wir schon einen großen Teil des CO2-Fußabdrucks vermieden. Allerdings verbraucht die virtuelle Produktion extrem viel Strom und zwar nicht nur im Studio selbst, sondern auch auf den Servern in Rechenzentren. Um den Unterschied zu sehen, müsste man eine Ökobilanz erstellen.
Birgit Heidsiek
Birgit Heidsiek ist Journalistin und Initiatorin der Plattform Green Film Shooting, die sich für eine nachhaltige Medienbranche einsetzt. Um für mehr Klimaschutz zu werben, veranstaltet die Initiative unter anderem Podiumsdiskussionen auf Filmfestivals wie in Cannes oder der Berlinale.
Wie häufig wird diese Methode inzwischen eingesetzt?
Netflix dreht gerade die Mysteryserie „1899“ in Babelsberg komplett virtuell. In Bayern wird die Installation einer modernen LED-Bühne in den Bavaria Studios mit 2,7 Millionen Euro gefördert. Und in Frankreich hat sich das Provence Studio ebenfalls darauf spezialisiert. Das ist schon etwas Neues und bietet andere kreative Möglichkeiten. Man kann Sets errichten an Drehorten, die es so nicht unbedingt gibt, zum Beispiel auf dem Mars. Viele Kreative sind einfach neugierig und testen neue Möglichkeiten aus, um neue Erzählformen zu entwickeln.
Auf der technischen Seite gibt es aber noch mehr Möglichkeiten, Ressourcen zu sparen. Welche versprechen besonderen Erfolg?
Stromsparen ist das Einfachste. Es gibt ja hunderte von Mini-Tipps, wie sich Energie sparen lässt, ohne dass man neue Produktionsmittel dafür kaufen muss. Das andere sind effizientere Mittel, zum Beispiel bei Leuchten. Dort werden LEDs empfohlen, weil sie bis zu 70 Prozent energieeffizienter sind. Wenn ich entsprechend viel Licht benötige, ist das auch sinnvoll. Inzwischen werden sie von vielen Verleihern angeboten.
Bei bestimmten Lösungen ist das leider noch nicht der Fall. Es gibt statt Dieselgeneratoren zum Beispiel große Batterien, die in einem Kastenwagen verbaut sind. Sie werden am Stromnetz aufgeladen und können dann für einen Drehtag Strom vorhalten. Ein solches Modell wurde zum Beispiel beim Dreh von „Babylon Berlin“ eingesetzt. Das Problem ist aber, dass die Entwicklung und Herstellung mit entsprechenden Kosten verbunden ist.
Wenn eine Firma Generatoren verleiht und sich einen umweltschonenderen Generator anschafft, muss diese ihn etwas teurer vermieten als ein altes Dieselgerät, das schon seit 30 Jahren abgeschrieben ist. Das heißt, die Produzenten müssen dafür mehr Geld bezahlen. Wenn sie nicht dazu bereit sind, lohnt es sich als Verleiher nicht, das anzuschaffen. Da sind wir beim Henne-Ei-Prinzip.
Wie reagieren Filmschaffende auf Ihre Initiative?
Wir haben im Jahr 2012 angefangen, dieses Thema in die Branche zu tragen. Das Gros der Filmproduktion hat sich jahrelang überhaupt nicht für diese Thematik interessiert. Interessanterweise haben aber gerade kleinere Produktionen, die sowieso chronisch unter Budgetknappheit leiden, automatisch schon Maßnahmen umgesetzt, weil sie damit Kosten sparen können.
In den 1990er Jahren ist das „Dogma 95“-Manifest von Lars von Trier und Thomas Vinterberg entstanden. Sie hatten strenge Regeln aufgestellt: Es durfte nur mit natürlichem Licht an Originalschauplätzen im Umkreis von zehn Kilometern gedreht werden, die Darsteller mussten ihre eigenen Kostüme tragen. Vieles davon war praktisch ein Best Practice der ökologischen Filmproduktion, ohne dass das damals thematisiert wurde.
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Eine große Veränderung hat erst die Fridays-for-Future-Bewegung gebracht. Dadurch ist das Bewusstsein entstanden, dass jeder gefordert ist, mit seinen Ressourcen besser umzugehen. Denn der Klimawandel ist kein Zukunftsszenario aus Science-Fiction-Filmen mehr. Aber der ganz große Hebel wurde erst durch den europäischen Grünen Deal der EU-Kommission umgelegt. Danach muss ein Teil der öffentlichen Fördermittel künftig an ökologische Auflagen gebunden werden. Immer wenn finanzielle Mittel im Spiel sind, sind Produzenten natürlich interessiert.
Wann wird das der Fall sein?
Das novellierte Filmförderungsgesetz tritt am 1. Januar 2022 in Kraft. In diesem Gesetz wird geregelt, dass an Fördermittel, die auf nationaler Ebene vergeben werden, ökologische Mindeststandards geknüpft werden. Es wird eine Liste von Kriterien dafür erarbeitet, die gerade in einem sogenannten Reallabor erprobt und evaluiert werden. Darüber hinaus wird bundesweit ein Zertifikat für besonders nachhaltige audiovisuelle Produktionen erarbeitet, für das sich Produktionen freiwillig bewerben können.
Das wird aber nicht ausreichen. Denn diesen Standortwettbewerb aus wirtschaftlichen Motiven, den wir in Deutschland haben, gibt es auch auf europäischer Ebene und weltweit. Es wird immer noch viel in Osteuropa gedreht, auch, weil es wesentlich günstiger ist. Damit gehen wieder viele Flüge einher. Es wäre deshalb wichtig, sich nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch global zu verständigen.
Interview: Friederike Meier