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Der Klima-Kniff: Wie Hannah Helmke RWE und Co. zu mehr Nachhaltigkeit bewegt

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Von: Antje Mathez

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Wurden scharf, aber erfolglos attackiert: Hannah Helmke und Sebastian Müller, Gründer von „Right.Based on Science“. © right. based on science

„Nachhaltigkeit an sich interessiert keinen“, sagt Hannah Helmke. Erst wenn es ums Finanzielle geht, hören die Konzernchefs zu. Darauf setzt die Frankfurter Gründerin beim Klimaschutz - mit einer „sehr gefährlichen Zahl“.

Wälder und Felder sind vertrocknet, das Grundwasser knapp, Ernteausfälle massiv und bei den freitäglichen Großdemonstrationen gewalttätige Ausschreitungen inzwischen die Regel. Nach endlosen Dürresommern zwingt die Einsicht, dass gegen die steigenden Treibhausgasemissionen etwas getan werden muss, die internationale Politik endlich zum Handeln. Fossile Brennstoffe werden verboten, die noch immer beträchtliche Karbonisierung der Wirtschaft in kürzester Zeit auf Null runtergefahren.

Die Folgen sind gravierend. Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auf fossilen Brennstoffen fußen, sind quasi über Nacht wertlos. Banken, Versicherungen, Pensionskassen, Staatsfonds und alle, die ihr Geld in schmutzige Branchen investiert haben, müssen Milliarden abschreiben. Ölförderrechte, Autofabriken, Flugzeuge - was bis anhin noch als wertvoll galt, ist plötzlich wertlos. Das Resultat: Wirtschaftskrise, Finanzkrise, Staaten am Rande der Pleite.

Bislang ist das nur Fiktion, ein Horrorszenario, das so unwirklich aber gar nicht mehr erscheint. Denn was, wenn die Kohlenstoffblase tatsächlich platzen sollte? Diese Frage hat Hannah Helmke vor einigen Jahren gestellt. Die Gründerin des Frankfurter Start-up „Right. Based on Science“ saß 2012 – mitten im BWL-Studium und ein Bachelor in Psychologie in der Tasche – in einem von der Heinrich-Böll-Stiftung organisierten Vortrag. Thema: Fossile Ressourcen der Erde und wie schnell wir sie verbrauchen. „Irgendwann habe ich den Dozenten gefragt, was denn wäre, wenn die Unternehmen die Ressourcen, die sie in ihren Büchern eingepreist haben, gar nicht mehr verbrauchen dürften. Ob sie dann nicht sämtlich überbewertet wären“, erzählt die heute 31-Jährige. „Er war wie elektrisiert und sagte nur: ‚Bleiben Sie da dran!‘.“

Das hat sie getan. „Ich habe mich an der Kohlenstoffblase regelrecht festgebissen“, sagt die Tochter eines Unternehmers und einer Hebamme. „Das Thema hat mich so gepackt, weil es die Brücke zwischen Klima- und Finanzwissenschaft schlägt. Das war endlich etwas Konkretes, mit dem man arbeiten konnte.“ Ihre Vision: Die Wirtschaft davon überzeugen, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, nachhaltig zu handeln.

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Verbrennen? Kein Zukunftsmodell. © AFP

Nun ist Hannah Helmke keine militante Klimaschützerin, die im Hambacher Forst auf Bäume klettert, um Konzernen wie RWE die Stirn zu bieten. Ihre Strategie ist subtiler – und verspricht mehr Erfolg: Sie nähert sich ihrem „Herzensthema“, dem Wirtschaften in einer vom Klimawandel beeinflussten Welt, auf wissenschaftlicher Ebene. Gemeinsam mit ihrem Lebens- und Gründungspartner von „Right. Based on Science“, Sebastian Müller, hat sie die „X-Degree Compatibility“, kurz XDC, entwickelt. Was kompliziert klingt, ist im Prinzip ganz einfach. Es geht darum, den Beitrag eines Unternehmens zur menschengemachten Klimaerwärmung zu beziffern.

Mit dem Modell errechnet das Start-up auf Grundlage der aktuellen Bruttowertschöpfung eines Konzerns, dessen Emissionsdaten und einem vorher festgelegten Szenario, um wie viel Grad sich die Erde bis zu einem bestimmten Datum erwärmen würde, wenn die ganze Welt so wirtschaften würde wie das betrachtete Unternehmen.

„Das Ziel ist, den Unternehmen eine Berechnung an die Hand zu geben, mit der sie herausfinden können, welchen Risiken sie ausgesetzt sind“, erklärt Helmke. Es geht um Regulationsrisiken, wie eine Erhöhung des CO2-Preises, Marktrisiken – etwa durch neue Technologien, die alte, klimaschädliche ersetzen –, Reputationsrisiken oder auch Klagerisiken – man denke nur an Volkswagen. Und alle diese Risiken wirken negativ auf die Finanzstabilität eines Unternehmens und damit auch auf die Investitionen der Geldgeber. Je höher also die XDC, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen sein Geschäftsmodell überdenken muss.

„Insofern ist die XDC eine sehr gefährliche Zahl“, sagt Helmke nicht ohne Stolz. Denn von den Unternehmen wird die Arbeit von „Right. Based on Science“ häufig als Bedrohung empfunden. Gerade mit emissionsintensiven Unternehmen hat die gebürtige Baden-Badenerin einschlägige Erfahrungen gemacht. „Da wird erst mal richtig viel Energie reingesteckt, diese Zahl zu denunzieren. Man will nicht wissen, dass man sechs-Grad-kompatibel ist.“

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WAS TUN: Sie sind Aktionärin oder Aktionär? Fragen Sie doch mal auf der nächsten Hauptversammlung, wie es um ihr Unternehmen in Sachen Klima bestellt ist.

WEITERLESEN: Wie die Dax- Konzerne im Klimatest von Right. Based on Science abschneiden, lesen Sie auf unserer Website: www.fr.de/daxstudie

Die Gründerin erzählt von einem Gespräch mit dem Nachhaltigkeitschef eines großen deutschen Pharmakonzerns. „Der sagte: ‚Eigentlich muss ich es wissen, aber wenn ich es weiß, kann ich es nicht mehr ignorieren.‘ Das ist doch bezeichnend.“ Inzwischen haben auch sogenannte Klimaskeptiker versucht, die XDC auseinanderzunehmen, um den Unternehmen Gegenargumente zu verschaffen. Ohne Erfolg. Denn das Rechenmodell ist völlig frei von politischen oder sozialen Zielen. „Das ist reine Klimaphysik, das lässt keinen Raum für Interpretationen“, sagt die Gründerin.

Der Startschuss für „Right. Based on Science“ fiel 2016. Zwei Jahre zuvor war Hannah Helmke nach dem Ende ihres BWL-Studiums in Köln nach Bonn gekommen, um einen Job bei der Deutschen Post/DHL anzutreten. Ein halbes Jahr lang beschäftigte sie sich mit dem Energieeinkauf des gelben Riesen, organisierte Nachhaltigkeits-Workshops und hielt Vorträge zum Thema. „Damals wurde mir klar, dass Nachhaltigkeit an sich keinen interessiert. Die Leute hören einem erst dann zu, wenn es um die Finanzen geht“, erzählt Helmke.

Nach einem halben Jahr, in dem sie sich mit dem Energieeinkauf der Post befasst hatte, wechselte sie zu dem IT-Servicedienstleister Bridging IT. Dort sollte sie als Beraterin für Nachhaltigkeitsprojekte eingesetzt werden. „Das hat aber nicht wirklich geklappt. Ich wurde mit Projekten betraut, die wenig oder gar nichts mit meinem Herzensthema zu tun hatten. Ich war total unzufrieden.“ Damals sei dann die Entscheidung gefallen, selbst zu gründen: „Ich habe zu Sebastian gesagt: Wenn es kein Unternehmen gibt, das den passenden Job für mich hat, dann muss ich mir halt selbst dieses Unternehmen schaffen.“

Inzwischen residiert „right. based on science“ in einem schicken Loft mit Start-up-Atmosphäre wie aus dem Bilderbuch in der Nähe der Hanauer Landstraße. Dort wohnen und arbeiten Helmke und Müller. Mit dabei ein etwa 25-köpfiges Team aus Naturwissenschaftlern, Mathematikern, Juristen, IT-Spezialisten sowie Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlern. Man will ein ernstzunehmender, objektiver Informationsanbieter sein. Für wen auch immer diese Information relevant ist.

Das ist sie vor allem auch für Investoren und Geldgeber der Realwirtschaft. Insbesondere Banken zeigen sich äußerst interessiert an dem Rechenmodell der Frankfurter. Denn es hilft ihnen, die Unternehmen, sprich: Kunden, zu identifizieren, die unter Klimagesichtspunkten zukunftsfähig sind – ein Faktor, der für das Risikomanagement der Kreditinstitute immer wichtiger wird. Allerdings gibt es dazu bislang nur wenig bis gar keine zuverlässigen Daten.

Für gewöhnlich verweisen die Firmen, durchaus selbstbewusst, auf ihre CSR-Berichterstattung, die seit 2017 für börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigen gilt. Doch Helmke wischt das beiseite. CSR steht für Corporate Social Responsibility, für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Berichtet werden muss über Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Korruptionsbekämpfung. „Wenn es um die Finanzstabilität geht, braucht man Präzision. Da kann man nicht mehr Umwelt, Soziales und Unternehmensführung in einem Faktor betrachten.“

Der Erfolg gibt ihr recht. Die Kundenliste von „Right. Based on Science“ wird immer länger. Dazu gehört zum Beispiel der Hannoveraner Autozulieferer Continental, Deutschlands größte Nachhaltigkeitsbank GLS oder der Online-Modehändler Zalando, der bereits in seinem Geschäftsbericht für das Jahr 2018 auf das XDC-Modell verweist. Viele Namen darf das Start-up allerdings auf Wunsch seiner Kunden noch nicht nennen.

Und auch die Wissenschaft zeigt großes Interesse. Im Sommer vergangenen Jahres haben die Frankfurter ihr Rechenmodell unter dem Titel „Right.Open“ der Forschung zugänglich gemacht. Nach Angaben von „Right. Based on Science“ laufen an deutschen Hochschulen akademische Projekte, in denen Masterstudenten verschiedene Klimafragen anhand der Formel bearbeiten. Und in Finnland hat sich ein ganzes Forscherteam in ein XDC-Projekt gestürzt.

Bleibt nur die Frage: Warum dieser sperrige Name? „Dafür werden wir regelmäßig gescholten“, amüsiert sich Helmke. „‚Based on Science‘ ist klar: Wir arbeiten wissenschaftsbasiert. Das ‚Right‘ stammt aus der Zeit meines BWL-Studiums.“ Damals habe sie sich sehr über die Arbeitseinstellung ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen geärgert. „Die haben immer nur so viel gemacht, dass es gerade so reicht.“ Sie dagegen habe sich voll reingekniet. „Ich habe mir einen Job gewünscht, hinter dem ich zu hundert Prozent stehen kann. Ich wollte es richtig machen!“

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