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Klima: Schaffen wir die Wende?

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Von: Joachim Wille

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FR-Vize-Chefredakteurin Karin Dalka, der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir, Energieökonomin Claudia Kemfert, „Fridays“-Sprecherin Annika Rittmann, FDP-Politiker Konrad Stockmeier und FR-Klimaredakteurin Friederike Meier. (v.l.) Rolf Oeser (5)
FR-Vize-Chefredakteurin Karin Dalka, der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir, Energieökonomin Claudia Kemfert, „Fridays“-Sprecherin Annika Rittmann, FDP-Politiker Konrad Stockmeier und FR-Klimaredakteurin Friederike Meier. (v.l.) © Rolf Oeser

Von der Revolution im Heizungskeller bis zum Tempolimit: Auf dem FR-Podium wird klar, dass der Weg zur Klimaneutralität weit ist.

Der Zeitplan für die „Netto Null“ steht. Im Jahr 2045 soll die Bundesrepublik unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Das ist kein Wunsch, sondern Gesetz, vom Bundestag verabschiedet. Doch bis dahin bleiben nur noch 22 Jahre. Was liegt, da näher, als die Frage zu stellen: „Schafft Deutschland seine Klimaziele?“

Wir sind dafür verantwortlich, wenn Pakistan unter Wasser steht.

Annika Rittmann, „Sprecherin von „Fridays for Future“

Mit dieser Frage startete die Podiumsdiskussion „Schafft Deutschland die Klimawende?“, die die „Frankfurter Rundschau“ am Freitagabend im Frankfurter Historischen Museum gemeinsam mit der Karl-Gerold-Stiftung veranstaltete. Zu Gast: Energieexpertin Claudia Kemfert, Hessens Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir (Grüne), der FDP-Bundestagsabgeordnete Konrad Stockmeier und Annika Rittmann von „Fridays for Future“. Doch zuerst war nicht das Podium gefragt, sondern das Publikum. Und von den über 150 Vor-Ort-Teilnehmer:innen senkte die übergroße Mehrheit der Daumen. Denn nur 13 erwarten, dass die Netto-Null bis 2045 erreicht wird, also keine zehn Prozent. Es war offensichtlich: Die heftigen Debatten, die die Ampel-Bundesregierung über zentrale Themen wie Gasheizungen und Wärmepumpe, Tempolimit und Autobahnbau führt, hinterlassen ihre Spuren.

Es braucht Alternativen wie die Wärmepumpe, denn die Zeiten von billigem russischem Erdgas sind vorbei.

Tarek Al-Wazir, hessischer Wirtschaftsminister (Grüne)

Die renommierte, zudem streitbare Energieexpertin Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin erklärte, warum die Wogen nun so hochschlagen: „Wir haben 15 Jahre verloren.“ Jahre, in denen die Merkel-Regierungen in den Feldern Wärme- und Verkehrswende, die nun ihre CO2-Ziele verfehlen, „fast nichts“ für den Klimaschutz getan habe. Und das, obwohl die Risiken der Strategie, auf Russland als Gaslieferant zu setzen, offensichtlich gewesen seien. Das führe nun zu einem enormen Handlungsdruck. Dass die Bürger etwa wegen des Umbaus im Heizungssektor verunsichert seien, können sie nachvollziehen, sagte die Professorin. „Ich verstehe auch die Wut.“ Trotzdem dürfe man den Bürger:innen nicht weismachen, es könne alles so bleiben wie bisher. „Es wird immer teurer, je länger wir mit dem Umbau warten.“

Es ist doch irre, dass wir 2023 noch darüber diskutieren, ob es ein Tempolimit braucht.

Claudia Kemfert, Ökonomin, Expertin für Energie und Klima

Kemfert spielte damit, natürlich, auch auf die FDP an, die in der Ampel etwa für weiteren Autobahnbau oder die Nutzung von grünem Wasserstoff fürs Heizen und Autofahren streitet. „Wasserstoff ist der Champagner unter den Energieträgern“, sagte sie. Ihn dort zu nutzen, wo es billigere und vor allem effizientere Möglichkeiten gebe, sei die falsche Strategie, warnte die Expertin, die Vize-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung ist. FDP-Mann Stockmeier verteidigte den Ansatz, selbstredend. Es gehe seiner Partei darum, zum Beispiel die „Wärmewende für alle bezahlbar zu machen“. Die Preise für Wärmepumpen zum Beispiel gingen durch die Decke, und das sei auch nicht durch bessere, sozial gestaffelte Förderung auszugleichen, wie die Grünen es jetzt vorschlagen. Um grünen Wasserstoff herzustellen, gebe es „unglaubliche Potenziale“, sagte der FDP-Politiker, etwa mit Blick auf Afrika. Zudem böten sich vielen Ländern in dem Nachbarkontinent dadurch große Wohlstandsperspektiven. Er sei da „zuversichtlich“.

Auch Stockmeiers Ansichten zur Verkehrswende trafen auf Widerspruch, auf dem Podium, aber auch in Publikum. Auf die Frage der Co-Moderatorin, FR-Vize-Chefredakteurin Karin Dalka, wieso die FDP ein Tempolimit auf Autobahnen ablehne, das schnell und kostenlose CO2-Reduktion bringe, sagte er: „Weil es intelligentere Lösungen gibt.“ Etwa die 45 Milliarden Euro, die sein Parteifreund, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), für die Bahn-Sanierung losgeeist habe, und das neue 49-Euro-Ticket. Bei den Zuschauer:innen brachte ihm das Nein zum Tempolimit deutlich vernehmbare Unmutsäußerungen ein. Aber auch die drei anderen auf dem Podium äußerten ihr Unverständnis. „Es ist wie 1977 bei der Einführung der Gurtpflicht“, sagte etwa Al-Wazir. Damals hätten die Gegner das als „Vorstufe zum Kommunismus“ gebrandmarkt. Heute sei das Normalität, genauso wie das Glühbirnenverbot oder das Rauchverbot in Kneipen. So werde es mit dem Tempolimit auch kommen.

Allen nur den gleichen CO2-Ausstoß zuzubilligen, ist in einem freiheitlichen Land undenkbar.

Konrad Stockmeier, FDP-Bundestagsabgeordneter

Der Grünen-Minister hatte in der Diskussion trotzdem keinen leichten Stand. Extrem gespannt war das Publikum zu erfahren, wie er sich zu dem von der Ampel beschlossenen Turbo-Autobahn-Ausbau positioniert, über den die Länder, also auch Hessen, final entscheiden müssen. Doch Al-Wazir sagte: „Da kann ich Sie nicht glücklich machen.“ Man sei mit dem Koalitionspartner CDU noch in der Abstimmung. Man konnte freilich ahnen, wie das wohl ausgeht. Er betonte, die Grünen regierten eben mit „Autobahn-Parteien“, und um das zu ändern, brauche es eine Bewusstseinsänderung in der Bevölkerung. Hier müsse noch einiges geschehen. „Jedes Jahr haben wir mehr zugelassene Autos.“ Es sei das Verdienst der Grünen, unter solchen Bedingungen noch weitergehende Pläne der FDP gebremst und im vorigen Jahr das Neun-Euro-Ticket durchgesetzt zu haben.

Kein Wunder, so viel „Realitätssinn“ traf bei der jungen Hamburger Klimaaktivistin Rittmann auf Kritik. Die Wärmewende dürfe keinesfalls gebremst werden, und es sei der Job gerade einer SPD-geführten Bundesregierung, sie sozial gerecht umzusetzen, sagte die „Fridays“-Sprecherin. Und klare Kante auch zu den Autobahn-Projekten: „Wir können keine neuen Straßen mehr bauen.“ Jede Erweiterung des Straßennetzes führe unweigerlich zu mehr CO2-Austoß, und das könne sich Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität einfach nicht mehr leisten. Vielsagend, dass Rittmann mit diesen Positionen volle Unterstützung gerade bei der Wissenschaftlerin Kemfert fand. Und dass die Moderatorinnen, neben Dalka noch FR-Klima-Redakteurin Friederike Meier, am Ende auf eine erneute Abstimmung zu der Frage „Schafft Deutschland die Klimaziele“ verzichteten. Angesichts der offensichtlich gewordenen Hindernisse für die Klimawende wäre sie wohl kaum günstiger ausgefallen. Eher im Gegenteil.

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