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Erneuerbare Energien: Es gibt keine Ausreden mehr

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Von: Hans-Josef Fell

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Das Schweizer Wasserkraftwerk Eglisau liegt an der Grenze zum süddeutschen Hohentengen. Es produziert Strom aus Wasserkraft.
Das Schweizer Wasserkraftwerk Eglisau liegt an der Grenze zum süddeutschen Hohentengen. Es produziert Strom aus Wasserkraft. © imago images/Andreas Haas

Der rasche Umstieg auf die Komplettversorgung mit erneuerbaren Energien in allen Sektoren ist klimapolitisch notwendig, technisch machbar – und rechnet sich sogar ökonomisch. Ein Gastbeitrag.

Häufig haben sich große industrielle Veränderungen innerhalb von zehn Jahren durchgesetzt: so die Umstellung von Pferdekutschen hin zum Auto nach 1900 oder die Einführung von PCs, Laptops, Internet und Mobilfunk. Warum nur soll dies nicht auch für eine Transformation zu 100 Prozent erneuerbaren Energien gelingen?

Diese ist innerhalb von zehn Jahren nötig, denn bereits heute führt die Klimaerhitzung um bisher 1,2 Grad zu immer dramatischeren Katastrophen auf der ganzen Erde. Neueste Klimaforschung macht deutlich, dass schon im Jahr 2030 die Grenze von 1,5 Grad aus dem Pariser Klimavertrag überschritten sein wird.

Daher darf die Menschheit spätestens ab 2030 keine Emissionen mehr in die Atmosphäre entlassen und muss gleichzeitig möglichst viel CO2-Senken organisieren. Alles andere führt in eine unbeherrschbare irdische Heißzeit, in welcher es keine menschliche Zivilisation wie heute mehr geben kann.

Ökostrom wird für E-Mobilität, Wärmepumpen grünen Wasserstoff gebraucht

Eine Welt ohne Treibhausgasemissionen ab 2030 bedeutet vor allem eine Energieversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien ab 2030, denn die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle verursacht rund 60 Prozent der Treibhausgasemissionen.

Nicht nur der Strom, sondern die gesamte Energieversorgung, also auch Wärme, Verkehr und Industrie müssen bis 2030 auf 100 Prozent erneuerbare Energien umgestellt werden. Die meisten Analysten sind sich einig, dass dafür doppelt so viel Strom erzeugt werden muss wie heute. Denn Ökostrom wird dann auch für die E-Mobilität im Verkehr gebraucht, für Wärmepumpen im Gebäudesektor und für grünen Wasserstoff in der Industrie.

Hans-Josef Fell. Foto: privat
Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group. Als langjähriger Bundestagsabgeordneter der Grünen war er Mitautor des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von 2000 und einer der wichtigsten Vorantreiber der Energiewende in Deutschland und Europa. FR © privat

Die Energy Watch Group hat in diesem Frühjahr einen Plan vorgelegt, wie ganz Deutschland zu jeder Stunde des ganzen Jahres, also auch in Dunkelflautenzeiten und in allen Energiesektoren, zu 100 Prozent erneuerbar versorgt werden könnte.

Danach sind exponentielle Steigerungen der aktuellen jährlichen Ausbauraten um das bis zu Zwanzigfache notwendig. Allein der jährliche Solarausbau müsste im Mittel auf etwa 80 000 Megawatt gesteigert werden. Zum Vergleich: 2020 wurden gut 4800 Megawatt neu installiert.

Unzählige Fabriken für Solar- und Windkraft, Bioenergieanlagen, E-Mobile und Co. müssen gebaut werden

Auch hohe Investitionen in den Speicherbau sind erforderlich, wobei eine Vielzahl von Speichertechnologien angepasst an die örtlichen Verhältnisse notwendig ist, angefangen von Batterien. Auch die Batterien der Elektroautos müssen mit Hilfe von Ladestationen, die in zwei Richtungen funktionieren, in das Stromsystem eingebunden werden. Wichtig sind als Speicher auch grüner Wasserstoff, Wärmespeicher oder Pumpspeicher.

Daher ist die wichtigste direkt vor uns stehende Aufgabe eine industrielle Offensive für den Neubau vieler Solarfabriken, Windkraftfabriken, Bioenergieanlagenhersteller, Geothermieausstatter und Wasserkraftproduzenten, genauso wie neue Fabriken für Speicher, Wärmepumpen oder E-Mobile, damit die rasant steigende Nachfrage überhaupt gestillt werden kann.

Auch eine Handwerksoffensive ist erforderlich, um die Techniken auch an die Kundschaft zu bringen. Hierauf muss die neue Bundesregierung ein besonderes unterstützendes Augenmerk setzen.

Das private Investieren in Ökostromerzeugung muss massiv erleichtert werden

Zudem müssen die im letzten Jahrzehnt immer schlechter gewordenen gesetzlichen Rahmenbedingungen für das private Investieren in die Ökostromerzeugung und -speicherung wieder massiv verbessert werden. Stichworte dazu sind Bürokratieabbau, Genehmigungserleichterungen, moderne feste oder gleitende Einspeisevergütungen statt Ausschreibungen und die Kombikraftwerksvergütung zur Stimulation der Sektorenkopplung.

Denn wäre die vom ursprünglichen Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 angestoßene exponentielle Wachstumsdynamik weitergelaufen – ergänzt durch eine Systemintegration mit Speichern –, hätte möglicherweise schon um 2020 herum eine 100-prozentige Deckung mit Ökostrom erreicht werden können.

Leider wurde aber die Wachstumsdynamik bei der Photovoltaik bereits 2013 gebrochen, beim Biogas 2016 und bei der Windkraft ab 2018. Neben anderen gesetzgeberischen Fehlern waren die Hauptursachen die Umstellung von der festen Einspeisevergütung auf das Ausschreibungssystem sowie ein erheblicher Bürokratieaufbau, besonders in der Genehmigungspraxis.

Schon bald werden Erneuerbare-Energien-Anlagen günstiger sein als konventionelle

Doch es hat sich etwas geändert im Vergleich zum Jahr 2000. Denn die Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen ist heute wesentlich günstiger als die aus fossilen und atomaren Energien. Exponentielle Wachstumskurven anzustoßen, ist deshalb wesentlich leichter geworden.

Selbst lokale Investitionen in eine Vollversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien inklusive Speicher sind heute vielfach wettbewerbsfähig gegenüber dem Neubau konventioneller Anlagen. In einigen Jahren werden sie sogar günstiger sein als der Betrieb von Erdgas-, Kohle- oder Atomkraftwerken, wie eine aktuelle Kurzstudie der Energy Watch Group zeigt.

Beschleunigt wird diese Energietransformation zudem durch die jüngsten Preissteigerungen der Energierohstoffe Erdgas, Erdöl und Kohle.

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Es gibt also keine Ausreden mehr: Der Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare rechnet sich sogar ökonomisch und wird schon deshalb in den nächsten Jahren weiter Fahrt aufnehmen. Die wesentliche Voraussetzung in Deutschland ist das Ausräumen der unter den Merkel-Regierungen organisierten Ausbauhürden. Wenn die neue Regierung dieses im Sondierungspapier angedeutete Ziel umfassend in Politik umsetzt, werden wir 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 in Deutschland erreichen.

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