Der tödliche Fußabdruck am Meeresboden

In der immerwährenden Dunkelheit der Tiefsee wird Schwerstarbeit zum Erhalt des Ökosystems Erde geleistet.
Der Schutz der Tiefsee hat bei der Erhaltung der globalen Artenvielfalt eine außerordentliche Bedeutung. Die Wissenschaft geht davon aus, dass bis zu 90 Prozent der Arten in den Ozeanen noch nicht entdeckt oder benannt wurden. Bei der jetzt in New York stattfindenden UN-Konferenz über ein Hochseeabkommen sollen Regeln entwickelt werden, die den Schutz internationaler Gewässer und damit auch der Tiefsee ermöglichen sollen.
„Wir wissen über die Tiefsee nur sehr wenig. Die meisten Arten kennen wir nicht und können sie somit nicht ausreichend schützen“, sagt Professor Angelika Brandt, Leiterin der Abteilung Marine Zoologie am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt. „Ihr Schutz ist aber dringend notwendig. Der Mensch hinterlässt selbst in der Tiefsee seinen Fußabdruck. Die Arten dort sind zunehmend der Verschmutzung und der Zerstörung ihres Lebensraums ausgesetzt.“ Ihre Kollegin Stephanie Kaiser fügt hinzu: „Die Tiefsee, die sich zwischen 200 und 11 000 Metern Tiefe erstreckt, ist der weltweit größte Lebensraum und umfasst mehr als die Hälfte der Erdoberfläche. Sie gehört weltweit zu den artenreichsten Lebensräumen.“
Im Dezember 2022 hatte die Weltnaturkonferenz in Montreal beschlossen, bis zum Jahr 2030 jeweils 30 Prozent der Erd- und der Meeresfläche unter Schutz zu stellen, um das Artensterben zu stoppen. Die Küstenstaaten haben allerdings nur in der 200-Seemeilen-Zone Hoheitsrechte. Mehr als 60 Prozent der Ozeanfläche sind internationale Gewässer außerhalb der Zuständigkeit der Küstenstaaten. Somit müssen Vereinbarungen getroffen werden, wie Schutzgebiete auf internationaler Ebene geschaffen werden können.
Die Tiefsee beginnt dort, wo das Kontinentalschelf endet. Das kann bereits in Küstennähe sein, der größte Teil der Tiefsee ist aber internationales Gewässer. Die meisten Publikationen nehmen 200 Meter als Beginn der Tiefsee, manche auch 150 Meter. Das Meer zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe ist eine Dämmerlichtzone, weiter unten bis zu einer Tiefe von mehr als 11 000 Metern reicht kein Sonnenlicht hin.
2,2 Millionen Arten
Trotz ihrer Bedeutung sind die Tiefseeökosysteme am wenigsten erforscht. „Vielfalt in der Finsternis – wirksamer Meeresschutz braucht mehr Wissen über Arten“ überschrieben Forschende des Senckenberg-Instituts und weiterer internationaler Forschungsinstitutionen im Dezember 2022 einen Aufruf an die Staatengemeinschaft, die Erforschung der Tiefsee zu unterstützen und damit einen wirksamen Schutz der Meere zu gewährleisten. Danach sind rund 28 000 Tiefseearten derzeit beschrieben und benannt. Schätzungen gingen jedoch davon aus, dass wahrscheinlich zwischen einer und 2,2 Millionen Arten im Meer einschließlich der Tiefsee leben.
Die Tiefsee spielt nach Aussage der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Schlüsselrolle für die Ökosystemleistungen des Meeres, für Nahrungsversorgung und die globale Klimaregulierung durch Aufnahme von Wärme und Kohlendioxid aus der Atmosphäre. „Insbesondere die globale Erwärmung, die Ozeanversauerung und der Ressourcenabbau können zu dramatischen Veränderungen der Tiefseebiodiversität führen, mit noch nicht abschätzbaren Folgen auch für uns Menschen“, sagt Angelika Brandt. Öl- und Gasförderung, Fischerei und Tiefseebergbau können dort Lebensraum zerstören, mahnen die Fachleute.

Die Weltnaturschutzunion IUCN hat zahlreiche Tiefseetiere auf die Rote Liste der bedrohten oder stark gefährdeten Arten gesetzt, so die Schuppenfußschnecke, die wegen des Risikos des Tiefseebergbaus als gefährdet eingestuft wurde. Die Wissenschaftler:innen fordern einen effektiven Schutz der Tiefsee, um den „Verlust von Hunderttausenden wertvollen und faszinierenden Arten“ durch menschliche Aktivitäten zu verhindern.
Die Stellungnahme lenkt den Blick unter anderem auf den Tiefseebergbau. Die 1982 gegründete Internationale Seebodenbehörde (ISA) regelt auch den Tiefseebergbau in internationalen Gewässern. Die deutsche Stiftung Meeresschutz warnt, der Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee werde „eine uns weitgehend unbekannte Welt irreversibel zerstören“.
Fossiler Wettlauf
Das Interesse an Tiefseebergbau wird durch die Nachfrage nach Rohstoffen gefördert, da es im Meeresboden nicht nur Öl und Gas gibt, sondern auch Mineralien, die für die Batterieproduktion infrage kommen, etwa Manganknollen oder Kobaltkrusten.
Greenpeace legt jetzt anlässlich der UN-Verhandlungen über ein Hochseeabkommen eine Studie zum Tiefseebergbau vor. Metalle aus der Tiefsee würden für den Übergang hin zu E-Mobilität und grünen Technologien nicht benötigt. Zentrale Batterie-Rohstoffe wie Lithium und Graphit können aus Manganknollen nicht gewonnen werden, sondern nur Kobalt, Nickel und Mangan. Der Trend für Batterien aber entwickele sich weg von Kobalt und Nickel und bei Mangan sei keine Knappheit zu erwarten.
International wachsen die Vorbehalte gegen Tiefseebergbau. So hat sich Deutschland im November 2022 in Kingston „bis auf weiteres“ gegen den Tiefseebergbau ausgesprochen. Die Bundesregierung forderte eine „vorsorgliche Pause“ beim Tiefseebergbau und teilte mit, dass sie vorerst keine Anträge auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee unterstützen werde. Der jetzige Stand der Forschung reiche nicht aus, um ernsthafte Umweltschäden durch Tiefseebergbau auszuschließen. Nach Angaben der Stiftung Meeresschutz haben mehr als ein Dutzend Staaten Verbote oder Moratorien für Tiefseebergbau erlassen.