Nach Schlaganfall: Wie eine App bei Sprachlosigkeit helfen soll

Die App von Tina Hillebrecht und Dennis Stritzke gibt Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall ihre Stimme zurück.
- Von den rund 255 000 Menschen mit Schlaganfall im Jahr in Deutschland haben 155 000 mit einer Spracheinschränkung zu kämpfen.
- Die App Eliah soll Patientinnen und Patienten mit Sprachstörung ihre Stimme wiedergeben.
- Derzeit testen Kliniken in Düren und Braunfels die App und auch die Frankfurter Uniklinik ist interessiert.
Frankfurt – Alles begann beim gemeinsamen Frühstück an einem Sonntagmorgen: Tina Hillebrecht, Logopädin, erzählte ihrem Partner vom Thema ihrer Bachelorarbeit: Kommunikative Hilfen für Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall. Und siehe da: Ein paar Stunden später hatte Dennis Stritzke, Softwareentwickler, schon einen Prototypen gebaut, nachdem die beiden ein paar Skizzen für zentrale Inhalte der App angefertigt hatten. Mittlerweile haben sie sich mit dieser Geschäftsidee selbstständig gemacht und ihr zertifiziertes Medizinprodukt wird bereits in Kliniken getestet.
Mit der App Eliah können Patienten und Patientinnen mit Schlaganfall beschwerdefrei kommunizieren.
Die zwei verfolgen eine gemeinsame Vision: Sie wollen Menschen im Krankenhaus, die in Folge eines Schlaganfalls nicht mehr sprechen können oder weil sie beatmet werden, eine Stimme geben. Und zwar digital mittels einer symbolbasierten App mit Sprachausgabe. Patientinnen und Patienten mit Sprachschwierigkeiten können dabei auf einem Tablet ein Symbol auch einhändig berühren; wahlweise eine männliche oder weibliche Stimme sagt dann etwa: „Ich habe Schmerzen.“
Über mehr als 150 Symbole verfügt die App Eliah derzeit; geordnet nach Bereichen wie Therapie, Visite, Besuch oder Essen und Trinken. Eine tolle Idee - warum gibt es denn das noch nicht? „Genau das habe ich mich auch gefragt“, sagt Dennis Stritzke und schmunzelt. „Ich war verwundert, denn mit einfachen Mitteln lässt sich so viel erreichen.“
Tina Hillebrecht hat selbst im Krankenhaus gearbeitet und kennt die Situation gut, wenn sich das medizinische Personal mittels analoger Bild- oder ABC-Tafeln mit den Patientinnen und Patienten zu verständigen versucht. „Manchmal muss ein Patient seine Frage durch Zeigen buchstabieren.“ Kein einfaches Unterfangen, wenn ein Mensch gerade einen Schlaganfall erlitten hat und sich plötzlich damit konfrontiert sieht, gar kein Wort mehr hervorbringen zu können, Wörter unfreiwillig zu vertauschen oder so verwaschen zu sprechen, dass andere nicht verstehen, was gemeint ist.
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WAS TUN: Menschen, die in entsprechenden Klinken oder Reha-Einrichtungen arbeiten, sind herzlich eingeladen sich an die App-Entwickler zu wenden, um Eliah in Patientenhände zu bringen.
WEITERLESEN: Mehr Infos zum Thema Schlaganfall unter www.schlaganfall-hilfe.de
Nach einem Schlaganfall: Die App Eliah unterstützt Patienten und Patientinnen mit Spracheinschränkungen.
Bei einem Schlaganfall ist die Durchblutung des Gehirns gestört, was häufig zu einem Sauerstoffmangel führt. Wichtige Gehirnfunktionen können dadurch für einige Zeit oder in schweren Fällen für immer beeinträchtigt sein, es kann unter anderem zu Sprach- und Sehstörungen, Lähmungen, Gefühls- und Schluckstörungen kommen. „Von den rund 255 000 Menschen mit Schlaganfall im Jahr in Deutschland haben 155 000 mit einer Spracheinschränkung zu kämpfen“, berichtet die 28-jährige Hillebrecht. „Hinzu kommt, dass diejenigen, die nicht mehr sprechen können, auch oft nicht mehr schreiben können, weil die Zentren für die Sprache und Motorik im Gehirn direkt nebeneinander liegen.“ Viele Funktionen kommen in den ersten Wochen wieder, manchmal dauert es allerdings Jahre oder im schlimmsten Fall bleiben die Einschränkungen für das restliche Leben bestehen. Der 27-jährige Dennis Stritzke ist tief beeindruckt von seinen Begegnungen mit diesen Menschen, mit denen er sonst „nie in Berührung gekommen wäre.
Auch die Uniklinik in Frankfurt ist an der Schlaganfall-App interessiert
„Die Betroffenen sind im Schnitt nach einem Schlaganfall zunächst elf Tage im Krankenhaus und im Anschluss für 31 Tage in einer Rehaklinik“, sagt Hillebrecht. Die von Eliah Semiotics entwickelte App ist für diesen Zeitraum von vier bis sechs Wochen gedacht. „Am besten funktioniert es, wenn ein Patient jeweils ein Tablet hat, um damit bei Bedarf mit dem Pflegepersonal, den Ärztinnen und Ärzten sowie den Therapeutinnen und Therapeuten zu kommunizieren.“ Kostenpunkt: 98 Euro pro Lizenz für ein Gerät pro Monat. Getestet wird die App derzeit in Kliniken in Düren und Braunfels. Zudem laufen Gespräche mit der Frankfurter Uniklinik.
Das Gründerpaar freut sich schon riesig auf den Moment, wenn ihr Produkt zur Regelversorgung gehören wird; zumal sie bereits einige Hürden überwinden mussten. Im vergangenen Jahr gründeten sie die Unternehmergesellschaft Eliah Semiotics. Doch dann stellte sich heraus, dass für die App die EU-Medizinprodukteverordnung gilt, der beispielsweise auch Magnetresonanztomografen oder Spritzen unterliegen. „Wir fragten uns anfangs, wie wir das schaffen sollen. Das Gesetz hat sehr, sehr viele Seiten, die wir erstmal verstehen mussten“, berichtet Stritzke. Nach vier Monaten, die mit viel Aufwand verbunden waren, hatten sie die Hürde genommen. „Zum Glück war keine Studie erforderlich, die mit deutlich mehr Zeit und Kosten verbunden gewesen wäre“, sagt Tina Hillebrecht.
Im Austausch mit anderen Gründern in Frankfurt: Die App Eliah profitiert vom „Netzwerk-Effekt“.
Die beiden sind übrigens ausgesprochen happy, dass sie ins Lab-Programm für Start-Ups von „WeWork“, einem Coworking-Space mitten im Frankfurter Bankenviertel, aufgenommen wurden: Die Arbeitsatmosphäre gleicht dort einer Mischung aus Wohnzimmer im modernen Design und Office. Neben Konferenzräumen gibt es viel Platz für Begegnungen. Hillebrecht schwärmt vom „Netzwerk-Effekt“, sie würden sehr vom Austausch mit anderen Gründerteams profitieren. Ihr Eliah-Logo, ein geschwungener Schriftzug, ist von so einer helfenden Hand kreiert worden.
Noch arbeiten die beiden nebenher in ihren früheren Jobs, sie hoffen aber, „dass sich Eliah einst selbst tragen wird“. Verkaufen wollen sie ihre Firma auf keinen Fall - schließlich haben sie noch viel vor: Die App auch im Ausland verbreiten - die nächste Etappe ist der englisch- und spanischsprachige Raum in Europa. (Von Franziska Schubert)