Schluss mit Steuertricks! Wie wir global dagegen angehen können

Billionen US-Dollar gehen jedes Jahr weltweit „verloren“ - dabei bräuchten gerade die Staaten des globalen Südens sie dringend. Das muss sich ändern. Ein Beitrag von Heidemarie Wieczorek-Zeul
Rund ein Jahr haben wir in einem von den United Nations (UN) berufenen Panel die Frage beraten, wie illegalen Finanzströmen, Steuerhinterziehung und anderen schädlichen Praktiken von großen Unternehmen global das Handwerk gelegt werden kann. Wir, das sind 17 Kolleginnen und Kollegen aus allen Regionen der Welt, viele aus afrikanischen Ländern, aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, manche von uns mit einem politischen Hintergrund. Wir arbeiteten virtuell als High Level Panel on International Financial Accountability, Transparency and Integrity for Achieving the 2030 Agenda (Facti). Nach einem Zwischenbericht im September 2020 haben wir jetzt unseren Abschlussreport vorgelegt.

Obwohl wir sehr unterschiedliche Hintergründe hatten: Uns eint die Empörung darüber, dass in dieser Welt Billionen US-Dollar oder Euro „verloren“ gehen, die alle Länder, zumal aber die Staaten des Globalen Südens, so dringend brauchen, um Bildung, Gesundheit, gleiche Chancen und den Kampf gegen den Klimawandel zu finanzieren. Und das in einer Phase, in der schon bisher die Nachhaltigkeitsziele, die in neun Jahren verwirklicht sein sollen, massiv im Verzug waren, in der jetzt die Länder des Globalen Südens dramatisch durch alle Folgen der Coronapandemie betroffen und weltweit rund 150 Millionen Menschen zusätzlich in extreme Armut gestürzt sind!
Rund 600 Milliarden werden armen Staaten jährlich vorenthalten
Da ist es ein Skandal, dass den Ländern, zumal Staaten im Globalen Süden, jährlich rund 600 Milliarden US-Dollar durch das „profit shifting“ von großen Unternehmen vorenthalten werden! Da dürfen wir es doch nicht mehr länger hinnehmen, dass jährlich in der Welt etwa 2,7 Prozent des globalen Bruttoinlandproduktes, also rund 2,3 Billionen Euro, durch kriminelle Aktionen „gewaschen“ werden. Geld, das für nachhaltige Entwicklung in großem Umfang konfisziert werden müsste.
Wir verlangen, dass es endlich eine globale Verantwortlichkeit in Fragen der Steuerpolitik geben muss. Erst als sich die internationale Gemeinschaft darüber klar wurde, dass die Gefahr der Klimakatastrophe nur durch internationale Kooperation und Verpflichtung zu bannen sein würde, gab es internationale Abkommen.
Kampf gegen Steuertricks muss auf globaler Ebene geführt werden
Der dramatische Abfluss von Finanzmitteln, das unheilige Agieren von multinationalen Unternehmen, das Verfehlen der Nachhaltigkeitsziele: Das alles schreit nach globaler Verantwortung, die dem Virus der wachsenden Ungleichheit entgegenarbeitet, und es schreit auch nach Regeln und Institutionen. Und es ist an der Zeit, auch die Entwicklungsländer an der Ausgestaltung dieser Regeln und Institutionen zu beteiligen.
Die acht wichtigsten Forderungen des Facti- Panels der UN:
Erstens: Innerhalb der UN soll eine Initiative von Ländern, gestartet werden, die einen Prozess zur Entwicklung einer UN- Steuerkonvention einleiten soll. Es braucht einen inklusiven Mechanismus mit universeller Beteiligung für internationale Steuernormen.
Zweitens: Länder sollen ein zentrales öffentlich zugängliches Register einrichten, das Aufschluss über die realen Besitzer und Besitzerinnen von Firmen etc. gibt und das damit den Inhalt anonymer Unternehmenshüllen offenlegt (Beneficial Ownership Register). Durch die Vernetzung und Transparenz dieser nationalen Register, würden illegale Transaktionen und Geldwäsche in großem Umfang verhindert.
Drittens: Steuertransparenz soll durch öffentliche länderbezogene Berichterstattung multinationaler Unternehmen über ihre Steuerleistungen geschaffen werden (Country-by-Country Reporting). Die Besteuerung dieser Unternehmen soll auf ihrem globalen Konzerngewinn basieren. Steuervermeidung und Steuerhinterziehung sollen durch die Festlegung einer globalen Mindestkörperschaftssteuer bekämpft werden.
Wer spricht hier?
Heidemarie Wieczorek-Zeul (78) war von 1998 bis 2009 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Pädagogin ist seit 1965 Mitglied der SPD. Sie war Jusovorsitzende und von 1993 bis 2005 Vizechefin der Sozialdemokraten.
Als Entwicklungspolitikerin setzt sie sich seit Jahrzehnten für eine gerechte Globalisierung ein. Als einer der größten Erfolge Wieczorek-Zeuls gilt ein erster umfassender Schuldenerlass für die ärmsten Entwicklungsländer 1999. Auch nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag ist sie weiter engagiert - unter anderem im Verein „Freunde des Globalen Fonds Europa“, der gegen die Verbreitung von HIV, Tuberkulose und Malaria kämpft. FR
Viertens: Es soll einen automatischen Informationsaustausch zu Steuerfragen geben, der die bisherige Ausklammerung von Entwicklungsländern, etwa der afrikanischen Länder beendet.
Fünftens: Das Übereinkommen der UN gegen Korruption soll gestärkt werden, so dass eine stärkere Möglichkeit für die wechselseitige Überprüfung von Ländern geschaffen wird.
Sechstens: Die internationale Gemeinschaft wird aufgefordert, Mindeststandards zum Schutz von Whistleblowern und Menschenrechtsverteidigern zu schaffen. Das sind die Menschen, die in vielen Fällen erst Licht ins Dunkel illegaler Geschäfte gebracht haben.
Siebtens: Entwicklungsländern sollen technische und finanzielle Unterstützung zum Aufbau eigener Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Achtens - ein bisher hochumstrittener Punkt: Wir sprechen uns für die Schaffung einer Institution zu Steuerfragen bei den Vereinten Nationen aus. Eine zwischenstaatliche Institution, mit der ein jetzt schon bestehendes Expertengremium der UN (UN Tax Committee) deutlich aufgewertet werden soll. Denn zu Recht beklagen – zumal die ärmeren – Entwicklungsländer, dass sie sich in den vorhandenen Gremien, die innerhalb der OECD zu Steuerfragen arbeiten, nicht repräsentiert sehen. Und in der Tat: Sie müssen schließlich bei der Festlegung von Regeln, die sie selbst umsetzen sollen, auch beteiligt sein.
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Die Industrieländerorganisation OECD hat in den vergangenen Jahren wichtige Arbeit geleistet. Wichtig wäre es deshalb, dass wir ihre bestehenden Initiativen und Programme enger mit den neuen Strukturen für Steuergerechtigkeit bei den Vereinten Nationen verknüpfen. UN und OECD sollten kein unfruchtbares Gegeneinander praktizieren. Unser Schlussbericht ist aus meiner Sicht auch ein Anfang: Regierungen, die willens sind zu gestalten, sollten sich mit Nichtregierungsorganisationen verbünden, um die Initiativen umzusetzen, die wir vorgeschlagen haben. Und die Parteien in Deutschland, die gerade ihre Wahlprogramme formulieren, sollten sich klar zu den Forderungen für mehr Steuergerechtigkeit positionieren.
In der Rubrik „Speakers Corner“ haben Fortschrittmacherinnen und Neugierige selbst das Wort.