„Wenn ich aus Freital wegziehe, wer bleibt denn dann?“

Nochmal fliehen will er nicht: Mohammad Mohammad engagiert sich in der sächsischen Provinz. Doch sein neues Zuhause macht es ihm nicht einfach
Mein Name ist Mohammad, ich bin palästinensischer Syrer und lebe in Freital.“ Das sagt der junge Mann während einer Vorstellung des Stücks „Das Blaue Wunder“ im Dresdner Schauspielhaus, an dem er als Mitglied des sächsischen Bündnisses gegen Rassismus mitwirkt. Von der Bühne aus fordert er in den dunklen Saal hinein: „Ich will, dass die Leute mich respektieren, einfach weil ich ein Mensch bin.“
Ein Mensch sein. Was bedeutet das für einen jungen Mann, der sein Leben lang mit der Zuschreibung „Geflüchteter“ gelebt hat? „XXX“. Das ist die Identität, die Mohammad Mohammad gegeben wurde. Drei Kreuze. So steht es auf seinen Dokumenten. Staatenlos heißt das. Das macht Grenzübertritte schwierig, schränkt die Bewegungsfreiheit ein. Welche Bürgerrechte hat jemand, der nirgends „Bürger“ ist?
Diese Frage stellt sich für ihn nicht erst, seit er 2016 nach seiner Flucht aus Syrien im sächsischen Freital gelandet ist. Sie stellt sich seit seiner Kindheit. Aufgewachsen ist Mohammad in Yarmouk – einem Viertel von Damaskus, das 1957 als Camp für Geflüchtete aus Palästina errichtet wurde. Ob an der Uni oder im Beruf – überall wurde ihm deutlich gemacht, dass er als palästinensischer Syrer für die meisten syrischen Menschen keinen Platz in der Gesellschaft hat. In Syrien ist Mohammad ein Palästinenser. In Palästina gilt er als ausländisch. „Ich habe gemerkt, dass ich nichts bedeute. Deswegen habe ich beschlossen, mich zu engagieren, um meine Identität zu finden.“ Im Teenageralter schließt er sich einer NGO an, die sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt auseinandersetzt.
Und auch als der Krieg in Syrien beginnt und Yarmouk bald darauf abgeriegelt und bombardiert wird, beschließt Mohammad zunächst, zu bleiben. Gemeinsam mit anderen nimmt er die Versorgung mit Lebensmitteln selbst in die Hand. „Das war die schönste Zeit meines Lebens“, beschreibt er paradoxerweise die eineinhalb Jahre, in denen er in seinem Stadtviertel in Damaskus eingesperrt war. „Wir haben viel gelacht, geliebt und gelebt.“ Ihm sei bewusst geworden, was durch persönlichen Einsatz alles erreicht werden könne.
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„Viele Leute sind auch meinetwegen am Leben.“ Mohammad zieht an seiner Zigarette. Eine von vielen selbstgedrehten Zigaretten, die er während des Gesprächs in einem Dresdner Park rauchen wird.
Wer seine Geschichte hört, versteht besser, warum Mohammad sich heute auch in Freital engagiert. Ausgerechnet Freital. Dieser Ort, der in den vergangenen fünf Jahren viel durch die Schlagzeilen der Republik kursierte. Ein ehemaliges Hotel in der kleinen Stadt unweit der sächsischen Landeshauptstadt wurde im Sommer 2015 zur Unterkunft für Geflüchtete – und damit zum Hassobjekt für viele Rechtsextreme aus der Region. Rechtsterroristen der sogenannten Gruppe Freital verübten Anschläge gegen Zuwanderer und Andersdenkende. Die AfD bekam bei der Bundestagswahl 2017 rund 35 Prozent der Stimmen, mehr als die CDU.
Mohammad ist seit 2016 in Freital. Nach einer Zeit in einer Sammelunterkunft hat er heute eine eigene Wohnung und fühlt sich angekommen. Aus Freital wegziehen, das möchte er nicht. Genug sei er geflohen. Und deswegen setzt er sich in der sächsischen Kleinstadt gegen Rassismus ein. Mohammad kämpft um die Akzeptanz der Geflüchteten in der Provinz.
Früh lernte er dort den Verein Deutsche Jugend in Europa kennen. Mit dessen Unterstützung gründete Mohammad die Initiative „Refugees and Friends“, eine Fußballmannschaft, die in Freital spielt und mit der er auch bei Turnieren antritt. „Das war wie eine Challenge für mich. Ich wollte den Menschen in der Stadt zeigen, dass es möglich ist, sich uns gegenüber zu öffnen“, meint er.

Mit der Initiative spielt Mohammad auch Theater. Dazu mussten zunächst Räume gefunden werden – in Freital nicht gerade leicht. Die Stadt bot zwar einen Raum an, aber nur unter der Auflage, dass sie ihre Gruppe auch für Kinder und Jugendliche ohne Fluchterfahrung öffneten. Dabei hatte Mohammad nach einem sicheren Ort für junge Geflüchtete gesucht, an dem sie für eine Weile frei von Diskriminierung sein konnten. Erst durch die Hilfe eines anderen Vereins fand er dann doch noch einen Raum.
Bremsen lässt sich Mohammad von der mangelnden politischen Unterstützung nicht. In naher Zukunft will er in Dresden Soziale Arbeit studieren. Und seit kurzem arbeitet er in einem Bildungsprojekt, das sich gegen Antisemitismus einsetzt. Längst hat er ein Verantwortungsgefühl für sein neues Zuhause entwickelt. „Wenn ich wegziehen würde“, fragt er, „wer bleibt dann noch?“
Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit dem Magazin „Veto“, das sich der engagierten Zivilgesellschaft widmet. Mehr unter www.veto-mag.de