„Erbe für alle“: Yannick Haan fordert Finanzspritze für mehr Chancengleichheit

20.000 Euro für den Start ins Erwachsenenleben – der Publizist Yannick Haan über die Idee des „Gesellschaftserbes“.
Herr Haan, was finden Sie so schlimm daran, wenn Eltern ihr Geld zusammenhalten, um ihren Kindern richtig etwas zu hinterlassen und ein besseres Leben zu ermöglichen?
Das finde ich überhaupt nicht schlimm, sondern erst mal einen schönen Gedanken. Mich stört, dass das Vermögen in Deutschland auch durch Erbschaften mittlerweile extrem ungerecht verteilt ist. Ein Großteil der Bevölkerung erbt überhaupt nichts oder Schulden. Auf der anderen Seite werden Vermögen immer größer: Etwa 50 Prozent der Erbschaftssumme gehen an zehn Prozent der Personen, die überhaupt erben. Diese doppelte Ungerechtigkeit hat sich erst in den letzten Jahrzehnten so entwickelt. Der Staat hat eine Pflicht, einzugreifen, wenn die Chancengleichheit in der Gesellschaft nicht mehr gegeben ist. Das heißt nicht, dass man seinen Kindern nichts weitergeben soll.
Sie werben für die Idee, dass jeder Mensch im Alter von 21 Jahren vom Staat 20.000 Euro bekommen soll, um damit etwa die Ausbildung, Wohneigentum oder die Gründung eines Unternehmens zu finanzieren – das sogenannte „Gesellschaftserbe“.
Man kann es auch „Erbe für alle“ nennen. Die Idee, Erbschaften umzuverteilen, gibt es in unterschiedlichen Varianten ja schon länger. Und über Einzelheiten wie das genaue Alter kann man noch diskutieren. Es ist aber wichtig, dass die Menschen das Geld in jungen Jahren bekommen. Das ist die Zeit, in der sich der weitere Lebensverlauf entscheidet, in der sie mit der Ausbildung oder einem Studium anfangen, den ersten Job haben. Ich selbst habe während des Studiums ein unbezahltes sechsmonatiges Praktikum in den USA gemacht. Das ging nur, weil meine Eltern das mitfinanziert haben. In dieser entscheidenden Lebensphase zwischen 18 und 25 ist das Portemonnaie der Eltern sehr wichtig. So müssen die einen nebenher ganz viel arbeiten und können sich kaum auf das Studium konzentrieren, während andere entspannt vor sich hin studieren.
Wie soll das finanziert werden?
Die Idee ist, die Erbschaftssteuer zu erhöhen – nicht für kleine oder mittlere Erbschaften, sondern für die wirklich großen. Es werden Millionen und Milliarden vererbt, doch gerade bei diesen immer höher werdenden Summen ist die Erbschaftssteuer absurderweise fast am niedrigsten und die Schlupflöcher sind am größten – vor allem bei den Unternehmen. Hier die Steuer zu erhöhen, um das Geld dann wieder in den Wirtschaftskreislauf zu geben, ist eine Frage der Gerechtigkeit. Wenn alle erben, kommt das am Ende auch der Gesellschaft zugute, weil wir so soziale Mobilität und Chancen für viele Menschen schaffen.
Wenn es um eine Erhöhung der Erbschaftssteuer geht, kommt meist die Warnung, dies würde eigentümergeführte Unternehmen in ihrer Existenz gefährden, weil bei denen Betriebs- und Privatvermögen nicht zu trennen sei. Können Sie dem folgen?
Die Gefahr sehe ich nicht. Dass Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, kann man mit klugen Regulierungen verhindern, und meistens sind die Firmen ja auch nicht nur von ererbtem Vermögen abhängig. Es ist der übliche Reflex: Vor jeder Art der Steuererhöhung wird gewarnt, dass die Leute dann wegziehen aus Deutschland, dass man die Wirtschaft kaputtmacht oder Unternehmen pleitegehen. Aber das tritt nie ein. Wirtschaftlich betrachtet sollte man das „Gesellschaftserbe“ vielmehr als klugen Schachzug sehen, denn es ist ja eine Art Konjunkturprogramm. Die jungen Menschen würden das Geld ausgeben, Unternehmen gründen oder anders investieren. Bei den Superreichen, die eine Erhöhung der Erbschaftssteuer treffen würde, liegt das Geld dagegen meistens auf dem Konto rum.
Warum gerade 20.000 Euro?
Das beruht auf einer Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Es muss einerseits eine Summe sein, die durch eine höhere Erbschaftssteuer bezahlbar ist; andererseits muss sie denen, die nicht viel Geld haben, Möglichkeiten bieten, etwas zu verändern.
Sie sind Mitglied der SPD. Wie enttäuscht sind Sie, dass eine Steuererhöhung nicht im Programm der Ampel-Koalition vorkommt?
Insgesamt bin ich zufrieden mit dem Koalitionsvertrag, aber gerade zu Umverteilung, Gerechtigkeit und Steuern steht leider wenig bis gar nichts drin, auch nicht zu Erbschaften. Vor allem die FDP muss noch überzeugt werden, dass das Thema wichtig ist. Dass eine gerechte Gesellschaft auch an Leistung orientiert ist, ist ja eigentlich eine urliberale Vorstellung.
Zur Person
Yannick Haan, geb. 1986, ist Publizist und engagiert sich in der Digitalpolitik. Derzeit arbeitet er als Policy Advisor beim unabhängigen Thinktank iRights Lab, der Ideen für eine digitale Welt entwickelt. Haan ist Vorsitzender der SPD Berlin-Mitte und Autor des Buches „Gesellschaft im digitalen Wandel – ein Handbuch“. FR
20.000 Euro sind im Einzelfall sicher viel Geld, aber wiederum doch nicht so viel, als dass sich damit die gesellschaftliche Schieflage wirklich begradigen ließe. Entscheidet nicht trotzdem das Elternhaus über die Zukunft?
Es ist ja auch nicht nur Geld, was man vom Elternhaus mitbekommt. Es sind soziale Kontakte, ein Umfeld. Ich zum Beispiel war in der Schule nicht so gut, aber meine Eltern haben mit mir gelernt und mir Nachhilfeunterricht organisiert. Viele haben kein Elternhaus, das Zeit und Möglichkeit hat, sich zu kümmern. Klar, mit dieser einen Idee löst man nicht die gesamte Problematik. Für die junge Generation würde sie trotzdem einen großen Unterschied machen.
Könnten die 21-Jährigen das Geld auch etwa mit Reisen verjuxen, oder muss es in etwas „Vernünftiges“ investiert werden?
Es sollte schon für die Zukunft ausgegeben werden; im Unterschied etwa zum bedingungslosen Grundeinkommen, bei dem man völlig frei über das Geld verfügen kann. Andererseits darf es auch nicht so bürokratisch und kompliziert sein, dass man erst Geld bekommt, wenn man 17 Formulare ausgefüllt hat. Sonst haben wir wieder eine soziale Spaltung: Die gut Informierten erhalten das Geld, und die anderen nicht. Das ist nicht Sinn der Sache.
Was hätten Sie mit den 20.000 Euro gemacht im Alter von 21 Jahren?
Das ist bei mir leicht zu beantworten, weil ich studiert habe, und damals Studiengebühren zahlen musste. Dafür habe ich einen Kredit aufgenommen, den habe ich vor ein, zwei Jahren abbezahlt. Ich hätte also das Geld genommen, um zu studieren.
Wie treiben Sie die Idee voran?
Es gibt unterschiedliche Initiativen, die hinter diesem Vorschlag stehen, zum Beispiel „Tax me now“, in der Millionäre fordern, die Erbschaftssteuer zu erhöhen und sagen: Besteuert uns doch endlich ordentlich! Ich will das Thema aber auch parteipolitisch weitertreiben und schauen, ob sich dafür parlamentarische Mehrheiten finden lassen.
Sehen Sie dafür in absehbarer Zukunft eine Chance?
Das Thema Erbschaft ist in der Bevölkerung immer recht unbeliebt, man dringt damit sehr ins Private ein. Deshalb sind alle Parteien da sehr vorsichtig. Aber die Bereitschaft in der Gesellschaft, vor allem in der jüngeren Generation, darüber zu diskutieren und nach Alternativen zu suchen, ist da, das merke ich an den Reaktionen auf meinen Vorschlag. Erben ist eine soziale Frage, und sowohl Grüne als auch SPD haben zumindest die Erbschaftssteuer in ihrem Wahlprogramm. Mit der Ampel-Koalition ist die Chance da, das Erben wieder anzugehen. Die jetzt verjüngten Fraktionen im Bundestag könnten das Thema voranbringen.
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Sie sagen, das Innovative an der Idee vom „Gesellschaftserbe“ sei, „dass sie Vertrauen in Menschen hat“. Ist dieses Vertrauen wirklich verbreitet? Werden nicht viele Leute sagen, die sollen einfach arbeiten, ich hatte mit 21 auch nicht so viel Geld?
Das empfinde ich nicht so. Ich sehe auch bei der älteren Generation die Bereitschaft, der jüngeren Möglichkeiten zu bieten, die sie selbst auch hatte. Die Arbeitsverhältnisse, die soziale Mobilität, die Gelegenheit, Vermögen aufzubauen – es hat sich etwas grundlegend gewandelt. Die junge Generation lebt mit einem großen Unsicherheitsfaktor. Sie hangelt sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten, die Mietpreise in den großen Städten explodieren. Wir haben hier ein gesellschaftliches Problem, das angegangen werden muss. Ich glaube nicht, dass es da eine Art Neiddebatte gäbe.
Interview: Sabine Hamacher