Keine Zukunft - keine Kinder: Warum Frauen in der Klimakrise auf Nachwuchs verzichten

Kinderkriegen - ja oder nein? Was für die meisten Privatsache ist, wird inmitten der Klimakrise zu einem gesellschaftspolitischen Thema.
Ich habe viele Gründe für meine Entscheidung gegen Kinder […] Während ich diese Zeilen schreibe, leben aktuell circa 7,5 Milliarden Menschen auf diesem Planeten und in jeder Sekunde kommen 2,5 Menschen dazu. Die Erde reicht nicht mehr aus, um eine solch große Anzahl zu beherbergen und ich möchte nicht zu dieser Entwicklung beigetragen haben.“ Diese Worte schreibt Luise, 20 Jahre alt, Studentin. Sie schreibt es auf der Website des Vereins Selbstbestimmt steril. Und auch wenn die junge Frau die Hilfe eines Vereins braucht, um ihren Wunsch, sich sterilisieren zu lassen, durchzusetzen, ist sie nicht alleine mit ihrer Entscheidung, keine Kinder in die Welt zu setzen.
2019: Ein regelrechtes Boomjahr für Frauen, die gegen Babyboom sind. Sängerin Blythe Pepino nutzt in England ihre Bekanntheit und gründet Birthstrike (engl. Gebärsteik). In Interviews erklärt sie, dass sie zwar den Traumpartner gefunden habe, aber keine Kinder wolle. Doch das stimmt so nicht ganz. Eigentlich wünscht sie sich Kinder. Sehr sogar, wie sie immer wieder betont.
Doch sie begründet ihren Gebärstreik mit der „Schwere der ökologischen Krise.“ Im gleichen Jahr veröffentlicht in Deutschland Verena Brunschweiger ihr Buch „Kinderfrei statt kinderlos“ und sagt Sätze wie: „Ein Kind ist das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann“, oder: „Ich empfinde es fast als meine Pflicht als ökologisch bewusster Mensch, dass ich mich nicht selber reproduziere.“ Die Reaktionen reichen von: „Endlich spricht es jemand aus“ bis: „Wir brauchen genau das Gegenteil, wer soll sonst später die Rente zahlen?“
Klimawandel, steigende soziale Ungerechtigkeit: Wer will da noch Kinder kriegen?
In Kanada formiert sich derweil im Rahmen der Klimastreiks eine Gruppe, die die Regierung wissen lässt: „No Future, No Children“ – Wenn ihr nichts ändert, bekommen wir keine Kinder. Und in den USA hat sich das Netzwerk „Conceivable Future“ gegründet, in dem Amerikanerinnen fragen, ob man Kinder bekommen sollte, solange Amerika etwa noch den Verbrauch fossiler Brennstoffe fördere. Auf der Homepage heißt es: „Unsere Generation befindet sich in einer einzigartigen, gefährlichen und mächtigen Position. Es betrifft nicht zukünftige Generationen, es betrifft uns gerade jetzt.“
Frauen, die auf der Plattform zu Wort kommen, sagen Dinge wie: „Ich arbeite im Umweltbereich, doch an den meisten Tagen habe ich das Gefühl, ich schiebe auf dem Deck der Titanic die Liegestühle herum.“ Eine anderes Mitglied schreibt: „Jedes Mal, wenn jemand verkündet, dass er oder sie ein Baby erwartet, bin ich von Traurigkeit und Hilflosigkeit überwältigt. Ich weiß, dass ich Glückwünsche aussprechen soll, aber ich bin nicht glücklich.“
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Und schenkt man Verena Brunschweiger Glauben, sind es nicht nur Frauen, die so denken. In einem Interview gegenüber der Welt, erzählt sie, sie habe vor allem Zuspruch von Männern erhalten. Auch Mann, Ehemann, Promi und Prinz Harry äußerte sich – nicht der deutschen Auorin gegenüber, sondern der „Vogue“. Dort verkündete er, der Umwelt zuliebe wollten er und Meghan nur zwei Kinder haben. Nicht royal, aber radikaler gibt sich Landsmann Gregory Hamilton aus der Gegend von Bristol. Er zieht bewusst nur ein Kind auf. „Wenn weniger Babies in die Welt zu setzen der bei weitem größte Faktor ist, deinen ökologischen Fußabruck zu minimieren, dann hast du gar keine andere Wahl“, sagt er. Mit seiner Partnerin war er sich schnell einig, doch außerhalb der eigenen vier Wände habe das Thema oft zu Konflikten geführt. „Über die Bevölkerungsdichte zu sprechen ist ein Tabu.“ Nur selten spräche er mit dem Freundeskreis über das Thema, mit Sätzen wie: Überbevölkerung bedeutet Aussterben sei er schon angeeckt.
Keine Zukunft - keine Kinder: Frauen entscheiden sich gegen Nachwuchs als Protest gegen aktuelle Klimapolitik
Es sind dramatische Szenen, die sich draußen abspielen – Klimawandel, Artensterben, Tausende Menschen auf der Flucht. Und es sind dramatische Szenen, die sich drinnen abspielen. Frustrierte Partner, traurige Frauen im Omaalter, die vergeblich auf Enkelkinder warten, massive Anfeindungen Frauen gegenüber, die keine Kinder wollen.
So hat sich Brunschweiger, die eigentlich als Lehrerin ihr Geld verdient, nach ihrem ersten Buch erst einmal beurlauben lassen, weil sie in ihrem schulischen Umfeld heftigen Gegenwind spürte. Blythe Pepino erteilt einer Interviewanfrage eine Absage: „Birthstrike wurde eingestellt, da das Thema rassistische Vorurteile entfachte und dazu neigte, falsch verstanden zu werden.“ Bereits auf ARTE berichtete sie 2020 von sexualisierten Beleidigungen, denen sie nach öffentlichen Auftritten ausgesetzt war. „Wir haben uns zurückgezogen und eine neue Gruppe gegründet, um alle zu unterstützen, die sich fragen: Kinder ja oder nein? Das ist eine sehr schwere Entscheidung.“
Dabei ist das Thema Gebärstreik nicht neu. Bereits 1989 beschreibt der Autor Klaus Kordon im Jugendbuch „Ich möchte eine Möwe sein“ einen jungen Mann, der sich gleich nach Tschernobyl sterilisieren kässt, prompt verlässt ihn die Freundin.
Doch selbst vor 1989 war das Thema Antinatalismus nicht neu, wobei der Aufruf zum Gebärverzicht unterschiedlich begründet wurde und in verschieden Philosophien und Religionen thematisiert.
Gebärstreik für das Klima: Keine Kinder bekommen für einen besseren CO“-Fußabdruck?
In China galt zwischen 1979 und 2015 die sogenannte Ein-Kind-Politik, um dem Bevölkerungswachstum entgegenzuwirken. Alleine in der Volksrepublik leben heute rund 1,4 Milliarden Menschen, weltweit sind es knapp 7,9 Milliarden. Auf der Website der britischen Organisation „Population Matters“ kann man der Menschheit beim Wachsen förmlich zusehen. Die zehnstellige Zahl erhöht sich im Sekundentakt, die Ziffern springen ständig um. Bis 2050 soll die Bevölkerung auf 9,7 Milliarden angewachsen sein. Zum Vergleich: Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung waren es 1950 noch rund 2,7 Milliarden.
Eine Forderung des Club of Rome lautet deswegen, Frauen in den Industrienationen, die bis zum 50. Lebensjahr kein Kind oder nur eines bekommen haben, 80 000 Dollar Belohnung auszuzahlen, als Anreiz, den ökologischen Fußabdruck klein zu halten. Den veranschlagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der schwedischen Universität Lund mit rund 59 Tonnen CO2 pro Jahr pro Baby in der westlichen Welt.
2019 gab das Statistische Bundesamt bekannt., dass derzeit ein Fünftel aller Frauen in Deutschland kein eigenes Kind bekommt. Grund hierfür ist laut der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen in 46 Prozent aller Fälle der Faktor Zukunftssicherheit: Knapp die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger sorge sich um die künftige gesellschaftliche Entwicklung, dazu zähle auch der Klimawandel.