Zweifache Heilung

Erneut ist es gelungen, mit einer Stammzelltransplantation bei einem HIV-infizierten Leukämiepatienten beide Erkrankungen zu therapieren.
Am Universitätsklinikum Düsseldorf ist es gelungen, einen an Leukämie erkrankten und zugleich HIV-infizierten Mann mit einer Stammzelltransplantation von beiden Erkrankungen zu heilen. Es ist weltweit das dritte Mal, dass Medizinerinnen und Mediziner diese Art der „Zwei in Einem“- Therapie mit Erfolg angewandt haben. Über ihren Ansatz, ihre Beobachtungen und die Wirkmechanismen berichten die Forschenden aus Düsseldorf in einem Artikel im Fachmagazin „Nature“. Sie diskutieren darin zudem Möglichkeiten, durch die Transplantation genetisch veränderter Stammzellen auch HIV-Infizierte ohne Krebs zu behandeln.
Der „Düsseldorf-Patient“ ist ein heute 53 Jahre alter Mann. Er hatte 2011 die Diagnose Akute myeloische Leukämie erhalten, drei Jahre zuvor war bei ihm eine HIV-Infektion festgestellt worden. Als Therapie gegen die Krebserkrankung bekam er 2013 unter anderen eine Stammzelltransplantation. Bei diesem Verfahren werden Blutstammzellen eines geeigneten Spenders oder einer geeigneten Spenderin übertragen. Blutstammzellen sind die „Mutterzellen“ aller Blutzellen, aus ihnen entwickeln sich im Knochenmark rote und weiße Blutkörperchen sowie Blutplättchen.
Wie bei den beiden vorigen Fällen, dem „Berliner Patienten“ (er wurde bereits vor mehr als 15 Jahren transplantiert, ist aber mittlerweile an einem Leukämie-Rückfall gestorben) und dem „Londoner Patienten“, verfügte die Stammzellspenderin über eine natürliche Genmutation namens CCR5-Delta 32 – und zwar homozygot. Das bedeutet, dass diese Mutation auf den zugehörigen Genorten beider Chromosomen des entsprechenden Paares vorhanden ist. (Wie alle anderen Körperzellen verfügen auch Blutzellen über einen doppelten Chromosomensatz). Das wiederum führt dazu, dass der sogenannte CCR5-Rezeptor auf der Zelloberfläche gänzlich fehlt. Da das HI-Virus an diesen Rezeptor andockt und ihn als Eintrittspforte in die Zelle nutzt, um sie zu infizieren, macht die Mutation so gut wie resistent gegen das Virus.
Tatsächlich half die Stammzelltransplantation bei dem Düsseldorfer Patienten nicht nur gegen die Leukämie, sondern bewirkte auch einen Rückgang der durch die HIV-Infektion ausgelösten Symptome. Sechs Jahre nach der Transplantation konnte der Mann deshalb die antiviralen Medikamente gegen das HI-Virus absetzen. Virologische und immunologische Analysen von Blut und Gewebe zeigten zwar noch Spuren des Erbguts des Erregers, berichten die Forschenden. Jedoch gab es keine Hinweise auf eine Wiederkehr des Virus (Rebound) oder darauf, dass das Immunsystem sich mit ihm auseinandersetzen musste. Das sei ein starker Hinweis für die Heilung von HIV. Bis heute soll es dem Mann gut gehen.
Auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse schlagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor, diesen Therapieansatz künftig auch auf HIV-Infizierte auszuweiten, die nicht gleichzeitig an einer schweren Krebserkrankung leiden. Ziel soll eine Heilung der HIV-Infektion sein, die somit auch das Absetzen der antiviralen Medikamente erlaubt.
Allerdings lässt sich das eben nur durch Stammzellen mit der beschriebenen CCR5-Delta 32-Mutation erreichen – die nur sehr wenige Menschen in sich tragen. Die Forschenden können sich aber vorstellen, die Mutation per Gentherapie in Stammzelltransplantate einzufügen und diese Therapie mit anderen Strategien zu kombinieren, die das Virus-Reservoir im Körper reduzieren. Für eine solche genetische Veränderung käme als Werkzeug die Genschere Crispr/Cas in Frage.
Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie am Universitätsklinikum Freiburg, dämpft allerdings die Hoffnung auf einen baldigen breiten Einsatz. Er geht davon aus, dass für eine erfolgreiche Behandlung „mindestens 50 Prozent der Immunzellen“ (verschiedene Arten weißer Blutkörperchen) mit der Mutation ausgestattet sein müssten. Er weist zudem darauf hin, dass heutzutage HIV-Infizierte „mit einer gut eingestellten Therapie eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie die Normalbevölkerung“ haben. „Das Risiko, das zurzeit mit einer Stammzelltransplantation verbunden ist, ist meines Erachtens für ,gesunde‘ HIV-Infizierte deshalb nicht vertretbar“, sagt der Wissenschaftler. Das könne sich aber in Zukunft ändern, wenn nebenwirkungsärmere Alternativen zur vorbereitenden Behandlung einer Stammzelltransplantation entwickelt würden. Bislang wird dieser meist eine Chemotherapie, zuweilen auch kombiniert mit einer Ganzkörperbestrahlung, vorgeschaltet. Eine Behandlung, die mit schweren Nebenwirkungen einhergehen kann.
Boris Fehse, Leiter der Forschungsabteilung Zell- und Gentherapie am Zentrum für Onkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, weist noch auf ein weiteres Risiko hin: „dass sich die transplantierten Immunzellen des Spenders gegen gesundes Empfängergewebe richten und eine gefürchtete Spender-gegen-Wirt-Krankheit auslösen“. Auch könne es noch andere schwere Spätfolgen der Therapie geben. All diese Risiken seien „vor dem Hintergrund einer unausweichlich tödlich verlaufenden Blutkrebserkrankung akzeptabel, nicht jedoch im Kontext einer Krankheit, die sich, wie die HIV-Infektion, heute gut kontrollieren lässt und in Deutschland mit einer weitgehend normalen Lebenserwartung assoziiert ist.“
Auch Jürgen Rockstroh, Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Bonn, spricht zwar von „vielversprechenden Ansätzen“ – sieht jedoch eine Ausweitung dieser Therapie bei HIV-Infizierten ohne Krebs „erstmals weiterhin“ als „unrealistisch“ an. Als einen der Gründe dafür führt er das Problem an, dass auch mit einer Gentherapie nicht zu erreichen sei, dass alle entsprechenden Zellen die wichtige Genmutation aufweisen. So bleibe immer ein „Reservoir“ von nicht veränderten Zellen, also solchen, die das Virus zur Vermehrung nutzen kann. Rockstroh bezweifelt deshalb, ob eine Gentherapie gegen HIV unmittelbar bevorsteht und zum „großen Durchbruch“ bei der HIV-Behandlung führt.