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Wenn Schimpansen töten

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Von: Pamela Dörhöfer

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Nur scheinbar friedlich? Eine Schimpansengruppe, die möglicherweise auch ganz anders könnte...
Nur scheinbar friedlich? Eine Schimpansengruppe, die möglicherweise auch ganz anders könnte... © PantherMedia

Forschende haben erstmals beobachtet, dass die Primaten andere Menschenaffen angreifen – die Opfer waren Gorillas.

Dass Schimpansen nicht ganz so friedlich sind, wie man sich das für die nächsten Verwandten des Menschen vielleicht wünschen würde, ist schon länger bekannt. So weiß man, dass Schimpansen neben anderen Tieren auch kleinere Affen jagen, um sie anschließend zu fressen. Und die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall berichtete gar von einem vier Jahre dauernden „Schimpansenkrieg von Gombe“, bei dem sich zwei rivalisierende Gruppen im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania von 1974 bis 1978 erbittert bekämpften.

Aber dass Schimpansen andere Menschenaffen angreifen, scheinbar ohne handfesten Grund? Wer das unserer Verwandtschaft nicht zugetraut hätte, unterschätzt offenbar deren Gewaltpotenzial. Denn Forschende der Universität Osnabrück und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie Leipzig haben jetzt erstmals beobachtet, wie Schimpansengruppen in freier Wildbahn Gorillas überfallen und dabei auch vor dem Töten nicht zurückschrecken. So berichtet das Team um die Verhaltensbiologin Simone Pika und den Primatologen Tobias Deschner von zwei tödlichen Angriffen einer zahlenmäßig überlegenen Schimpansenbande auf eine Gruppe von Gorillas im Loango-Nationalpark Gabun. Die Forschenden untersuchen in dem Gebiet seit Jahren das Verhalten von rund 45 Schimpansen, wobei der Schwerpunkt auf sozialen Beziehungen, Interaktionen mit Nachbargruppen, Jagdverhalten, Werkzeuggebrauch und Kommunikation liegt.

„Interaktionen zwischen Schimpansen und Gorillas galten bislang als entspannt“, sagt Simone Pika. Tödliche Begegnungen zwischen beiden Menschenaffenarten seien noch nie dokumentiert worden. Die Anführer bei den Attacken gegen die Gorillas sollen zwei erwachsene Männchen gewesen sein, die Opfer zwei Gorillakinder, von denen eines hinterher verspeist wurde, allerdings nicht von einem der Täter, sondern von einem Schimpansenweibchen. Die genauen Motive für die Bluttaten sind noch unklar.

Die im Fachmagazin „Scientific Reports“ erschienene Studie liest sich stellenweise wie ein Polizeibericht. Zwischen 2014 und 2018 beobachteten die Forschenden „neun direkte Interaktionen“ zwischen Schimpansen und Gorillas, die stets friedlich verliefen. 2019 jedoch kam es zu zwei Vorfällen mit fatalem Ausgang. An der ersten „tödlichen Begegnung“ am 6. Februar 2019 waren 27 Schimpansen und fünf Gorillas beteiligt. Laut Bericht soll die Schimpansen-Gruppe gegen 11.50 Uhr ihr Territorium verlassen haben. Um 17.01 Uhr sei es dann zur Konfrontation mit einer Gruppe von Gorillas gekommen, bestehend aus einem Silberrücken, drei erwachsenen Weibchen und einem Säugling. Nun war auch der Silberrücken nicht ganz unschuldig, denn er stieß ein junges Schimpansenweibchen in die Luft. Daraufhin – es war 17.15 Uhr – umzingelte eine Gruppe von neun männlichen und einem weiblichen Schimpansen den Silberrücken, sprang an ihm herunter, alles unter lautem Schreien und Getöse. Die Aktion zeigte Wirkung: Der Silberrücken und die anderen Gorillas suchten das Weite.

Wenige Minuten später allerdings beobachteten die Forschenden dann einen männlichen Schimpansen bei grausamem Tun. Was sie schildern, klingt selbst im nüchternen Wissenschaftsjargon entsetzlich. Der Schimpanse hielt einen Gorillas-Säugling vor sich, legte ihn auf den Boden und schlug auf das wimmernde Baby ein. Eine Viertelstunde später war das Weinen verstummt. Dafür sahen die Forschenden nun, wie ein Schimpansenweibchen mit dem inzwischen leblosen Körper des kleinen Gorillas spielte.

Am 11. Dezember 2019 brach die Schimpansengang erneut zu den Grenzen ihres Territoriums auf. „Heimliches Verhalten“ und „häufiges Schnüffeln“ wurde beobachtet. Wieder kam es zu einer verhängnisvollen Begegnung mit Gorillas, wieder war das Opfer ein Säugling, der anschließend von einer Schimpansenfrau names „Greta“ gefressen wurde. Um 13 Uhr wurde sie beobachtet, wie sie „kleine Fleischstücke“ aus den Extremitäten riss und verzehrte. Zwei Weibchen sahen ihr dabei zu, aber: „Greta teilte kein Fleisch.“ Erstaunt waren die Forschenden, dass die Mehrheit der anderen Schimpansen „kein Interesse an dem Kadaver“ zeigten. „Nur geringe Mengen Fleisch“ seien zwischen „niedrigrangigen Individuen ausgetauscht“ worden.

Warum haben die Schimpansen die Gorillas angegriffen? Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt ein Zusammenhang mit dem Kampf um Essbares nahe. „Es könnte sein, dass das Zusammenleben von Schimpansen, Gorillas und Waldelefanten im Loango Nationalpark in Gabun zu stark erhöhter Konkurrenz um Nahrung geführt hat, die sich in Extremfällen in tödlichen Konflikten zwischen den beiden Menschenaffenarten entlädt“, sagt Tobias Deschner. Bei Gorillas und Schimpansen gebe es große Überschneidungen bei der Nahrung.

Ein durch den Klimawandel bedingter „Rückgang der Produktivität des Regenwaldes“ könnte diese Situation noch verschärfen. Beide tödlichen Begegnungen hätten sich in Monaten ereignet, in denen sich Schimpansen und Gorillas ein jahreszeitlich eingeschränktes Angebot an Nahrung teilen müssen. In künftigen Studien sollen die Muster solcher Überfälle und deren mögliche Abhängigkeit von ökologischen Zwängen weiter untersucht werden.

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