Wie sich Schwerelosigkeit auf die Gesundheit von Menschen auswirkt

Längere Aufenthalte im Weltall können die Knochenstruktur laut einer aktuellen Studie irreparabel schädigen. Erkenntnisse, die genutzt werden sollen.
Frankfurt – Wird es der Menschheit jemals gelingen, ferne Welten zu erkunden, wie es in der Science Fiction so selbstverständlich erscheint? Auf absehbare Zeit dürften der Sehnsucht, ins große Unbekannte vorzudringen, nicht nur die enorme technische Herausforderung, sondern vor allem die menschliche Physis Grenzen setzen. Das betrifft bereits eine Reise zum Mars, die mindestens drei Jahre in Anspruch nehmen würde, und sogar längerfristige Aufenthalte auf der geplanten Mondstation, an der die Weltraumorganisationen arbeiten und die noch in diesem Jahrzehnt Realität werden soll.
Es ist bereits einiges bekannt über die Risiken, die das All für die Gesundheit birgt. Eines der großen Probleme stellt dabei der Verlust von Muskel- und Knochenmasse dar – kein Wunder, denn der menschliche Körper ist perfekt auf die Verhältnisse auf der Erde samt ihrer Anziehungskraft ausgerichtet. In der Schwerelosigkeit wird keine Kraft mehr benötigt, um etwas zu tragen oder zu bewegen, Muskeln und Knochen bauen deshalb schnell ab. Auch die Astronautinnen und Astronauten auf der Internationalen Raumstation (ISS) haben damit zu kämpfen und versuchen, mit straffem Training entgegenzuwirken.
Länger Aufenthalte im Weltall können Knochenstruktur irreparabel schädigen
Die Folgen könnten allerdings noch schwerwiegender sein als gedacht. So haben Forschende aus Deutschland, Kanada und den USA festgestellt, dass längere Aufenthalte im Weltall die Knochenstruktur irreparabel schädigen können und Teile des Skelettsystems um bis zu zehn Jahre vorzeitig altern lassen. Ihre Erkenntnisse haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature Scientific Reports“ veröffentlicht. Gleichwohl gehen sie nicht davon aus, dass die entdeckten Risiken das Aus für weitere Pläne zur Erforschung des Alls bedeuten.
Vielmehr setzen sie darauf, dass dieses Wissen als Basis für ein angepasstes Trainingsprogramm und eine medikamentöse Behandlung dienen kann, um Raumfahrerinnen und Raumfahrer besser zu schützen. Die Studienergebnisse sollen zudem für die Behandlung rheumatologischer Erkrankungen im klinischen Alltag auf der Erde genutzt werden.
Langzeitstudie: Wie sich die Knochenstruktur im Weltall verändert
Das internationale Forschungsteam untersuchte in einer Langzeitstudie, wie sich die Knochenstruktur im Weltall verändert – und wie sie sich später auf der Erde wieder erholt. Dafür wurden 17 Astronauten und Astronautinnen – 14 Männer und drei Frauen – jeweils vor dem Start ihrer Missionen sowie sechs und zwölf Monate nach ihrer Rückkehr untersucht. Neben der Knochendichte wurde unter anderem auch der Knochenumsatz gemessen. Dafür setzten die Forschenden eine neue Generation von Computertomographen am Universitätsklinikum Erlangen ein, die in der Lage sind, die innere Knochenstruktur in hoher Auflösung direkt abzubilden.
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Ergebnisse der Studie klingen besorgniserregend
Die Ergebnisse klingen selbst vor dem Hintergrund der bekannten Folgen der Schwerelosigkeit für den Skelettapparat besorgniserregend: So hatten sich selbst zwölf Monate nach dem Flug neun der 17 Raumfahrerinnen und Raumfahrer nicht vollständig erholt und wiesen eine um bis zu zwei Prozent reduzierte Stärke und Mineraldichte ihrer Knochen auf: „Das klingt nicht spektakulär, aber es entspricht einem altersbedingten Knochenverlust von mindestens einem Jahrzehnt“, erklärt Studienautorin Anna-Maria Liphardt, Sportwissenschaftlerin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wo sie die Auswirkungen rheumatisch-entzündlicher Erkrankungen auf das Skelettsystem erforscht.
Die Konsequenz dieses Knochenverlustes sei, „dass die Betroffenen mit deutlich früher beginnender Osteoporose und Anfälligkeit für Brüche rechnen müssen“, sagt die Wissenschaftlerin. Im Unterschied zu Alterungsprozessen auf der Erde sei bei den Astronautinnen und Astronauten weniger die Knochenhülle, sondern vielmehr die innere Knochenstruktur betroffen.
WELTRAUM UND GESUNDHEIT
Die größten Risiken für die Gesundheit gehen von Strahlung und Schwerelosigkeit aus. So ist die Strahlung bereits auf der Internationalen Raumstation in 400 Metern Kilometern Entfernung 250-Mal höher als auf der Erde.
Die erhöhte Strahlung , vor allem wenn man ihr über einen längeren Zeitraum ausgesetzt ist, birgt das Risiko für Mutationen im Genmaterial und somit auch für die Entstehung von Krebs. Außerdem kann die Augenerkrankung Grauer Star begünstigt werden.
Auch die Schwerelosigkeit kann sich negativ auf die Sehkraft auswirken. Blut und Wasser fließen vom Körper Richtung Kopf, was zu einem aufgedunsenem Gesicht, zu einer Verformung der Augäpfel und einem Anschwellen des Sehnervenkopfs führen kann. Der Fachbegriff dafür heißt Spaceflight associated neuroocular syndrome.
Ein Bandscheibenvorfall ist neben dem Verlust von Knochen- und Muskelmasse eine weitere Begleitererscheinung, die ein Aufenthalt im All mit sich bringen kann. Die Bandscheiben dehnen sich aus, der Körper wächst um mehrere Zentimeter und schrumpft auf der Erde wieder.
Die Körpertemperatur steigt bereits auf der ISS um ein bis zwei Grad, also auf etwa 38 Grad, was nach irdischen Maßstäben als Fieber gilt. Das ist auf Dauer anstrengend für den Körper und nicht sehr gesund.
Die Isolation bei einem längeren Aufenthalt im All ist ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Faktor, der sich auf die Psyche, aber auch nachweisbar auf das Gehirn auswirkt. So hat eine Studie aus Deutschland gezeigt, dass sich die Gehirne von fünf Männern und vier Frauen, die über ein Jahr lang isoliert auf einer Forschungsstation in der Antarktis lebten, in bestimmten Bereichen des Hippocampus verkleinert hatte, die für räumliches Denken und Gedächtnis zuständig sind. pam
Einige Studienteilnehmende haben bereits irreparable Schäden
Einige der Teilnehmenden hätten sogar bereits „irreparable Schädigungen der stäbchenförmigen Trabekel“ aufgewiesen, berichtet Anna-Maria Liphardt. Trabekel sind Stützstrukturen, in diesem Fall kleine „Bälkchen“ aus Knochengewebe, aus denen der schwammartige Innenraum der Knochen aufgebaut ist. „Wir konnten zeigen, dass die Regeneration umso schwieriger war, je länger die Astronautinnen und Astronauten im Weltall waren.“
Das klingt nicht spektakulär, aber es entspricht einem altersbedingten Knochenverlust von mindestens einem Jahrzehnt.
Die größten Probleme mit der Regeneration der Knochen hatten insbesondere jene Raumfahrer:innen, bei denen vor dem Flug ein höherer Knochenumsatz festgestellt wurde. „Knochenumsatz bedeutet, dass Zellen abgebaut und wieder neu gebildet werden“, erklärt die Sportwissenschaftlerin. Menschen, die körperlich besonders aktiv seien, hätten einen höheren Knochenumsatz – „die Schwierigkeit besteht darin, diese Aktivität während der Weltraummission aufrecht zu erhalten“.
Training auf der Internationalen Raumstation muss an „inidivuelle Bedürfnisse“ angepasst werden
Nun gibt es auf der ISS ja verschiedene Angebote für sportliche Betätigung, Weltraumbegeisterte kennen die Bilder von Astronautinnen und Astronauten auf dem Laufband, dem Ergometer oder bei Kraftübungen. Allerdings, so Anna-Maria Liphardt, sei es „entscheidend“, das Trainingsprogramm während des Fluges besser an die „individuellen Bedürfnisse“ anzupassen. Zu diesem Zweck müssten neue Geräte entwickelt werden, „die in der Schwerelosigkeit funktionieren und wenig Platz beanspruchen“. Das sei eine „besondere Herausforderung“.
Weltraumflug: Astronaut:innen müssen Medikamente einnehmen, um Langzeitschäden zu verringern
Die Studienautorinnen und –autoren gehen davon aus, dass zusätzlich zu einem personalisierten Sportprogramm die Einnahme von Medikamenten das Risiko von Langzeitschäden am Skelettapparat verringern kann. Mittel, die dafür in Frage kämen, sind bereits seit Jahrzehnten auf dem Markt. Dazu zählen insbesondere Bisphosphonate, die den Knochenabbau hemmen sollen und millionenfach zur Therapie und Vorbeugung von Osteoporose verschrieben werden. Auch die US-Weltraumbehörde Nasa setzt sie bereits ein. Allerdings wisse man „noch zu wenig darüber, wie sie in der Mikrogravitation genau wirken“, sagt Liphardt. Das gilt im Übrigen nicht allein für Bisphosphonate, sondern auch für andere Medikamente: Da sich in der Schwerelosigkeit die Körperflüssigkeiten ganz anders verteilen, verläuft auch die Aufnahme von Arzneistoffen nicht so wie auf der Erde; ob und welche Folgen das hat, weiß man nicht. Das Forschungsteam der aktuellen Studie empfiehlt, die Kombination aus medikamentöser Therapie und körperlichem Training weiter systematisch zu untersuchten.
Ein Vorurteil, mit sich die Weltraumagenturen hin und wieder konfrontiert sehen, ist die vermeintlich fehlende Relevanz ihrer Aktivitäten für das Leben auf der Erde. Dieser Vorwurf allerdings greift zu kurz: So dient zum Beispiel vieles, was die Astronautinnen und Astronauten unter den besonderen Bedingungen auf der ISS erforschen, dazu, die Medizin weiterzubringen. Auch die Erkenntnisse der aktuellen Studie sollen nicht allein dazu beitragen, dass die Knochen künftig längere Aufenthalte im Weltraum einigermaßen schadlos überstehen. Auch auf der Erde stellen Muskel- und Knochenschwund aufgrund von Bewegungsmangel auch ein großes gesundheitliches Problem dar, trotz Schwerkraft. „In der Rheumatologie ist nicht immer klar, welche Schäden durch die Entzündung und welche durch Immobilität verursacht werden“, sagt Anna-Maria Liphardt: „Unsere Studie könnte deshalb auch den Grundstein für neue oder angepasste Therapien legen.“ (Pamela Dörhöfer)