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"Unsere Schulen sind doch nur Zweckbauten"

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Gerald Hüther leitet die Zentral-stelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der Uni Göttingen.
Gerald Hüther leitet die Zentral-stelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der Uni Göttingen. © Privat

Mit Hilfe des zweiten Konjunkturpaketes müssen Schulen sinn- und fantasievoll umgestaltet und Erfahrungsräume geschaffen werden, fordert der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther.

Herr Hüther, welchen Einfluss hat die Schularchitektur auf die Bildungsqualität auf den Bildungserfolg eines Kindes?

Unsere Schulen sind Zweckbauten. Viele gleichen Containern, in denen Kinder mit Wissen abgefüllt werden sollen. Doch Container sind keine einladenden Orte, an denen sich Kinder wohlfühlen, wo sie gerne lernen. Wer jedoch nicht gerne lernt, lernt wenig.

Wie müssen Schulen aus Sicht des Hirnforschers aussehen?

Sie müssen anregende Orte sein, die Kinder inspirieren und ihnen Gelegenheit bieten, ihren natürlichen Forscher- und Entdeckerdrang befriedigen zu können. Derzeit werden unsere Schüler in einem viel zu engen Stall groß, in dem sie wenig gestalten können. Sie brauchen Erfahrungsräume.

Warum sind diese Erfahrungsräume so wichtig?

Lernen funktioniert nicht allein durch das Vermitteln von Wissen. Wichtiger sind die Erfahrungen, die ein Mensch sammelt - und zwar sowohl die kognitiven wie die emotionalen. Sie prägen seine Einstellung und seine Haltung. Erfährt der Jugendliche also durch die Enge des Raumes, dass Eigeninitiative nicht gefragt ist, wird er keine entwickeln. Er wird bestenfalls das über sich ergehen lassen, was Lehrer vortragen.

Was muss sich ändern?

Der Geist, der in unseren Schulen herrscht. Das Klima und damit der Geist der Schule prägen am nachhaltigsten die Erfahrung, die Kinder und Eltern mit Schule machen. Unsere gegenwärtigen Zweckbauten, die wir Schulen nennen, wecken keine Lust auf Lernen, sondern nur auf das Erreichen von Ergebnissen in Form von Zensuren und Abschlüssen.

Und mit dieser Haltung gehen Kinder dann in die Schule?

Sie gehen zumeist nicht dorthin, um für sich zu lernen. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass allein Resultate wichtig sind. Sie lernen für die Prüfung, für die Note, für den Lehrer, die Eltern und die Chance auf einen guten Job.

Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen?

Das aus dem letzten Jahrhundert stammende und an der Funktionsweise von Maschinen orientierte Denken hat uns dazu verleitet, auch Menschen wie Maschinen zu betrachten. Dazu zählen auch die Lehrer. Sie wurden auf ihr Funktionieren optimiert: In der Lehrerausbildung und durch Fortbildungsmaßnahmen - mit dem Ziel, sie mit dem für ihre Funktion erforderlichen Wissen und Können auszustatten.

Und die Schüler sind auch Maschinen?

Auch sie wurden als durch geeignete Maßnahmen zu optimierende Maschinen betrachtet. Deshalb gab es immer neue Bildungspläne, Beschulungsvorgaben, Unterrichtsgestaltungsvorschriften, Lernzielvereinbarungen und unzählige andere Maßnahmen, die dazu führen sollten, dass diese Schüler gebildet wurden. Pisa lässt grüßen.

Sie sprechen von nutzlosen Maßnahmen zur Steigerung der Bildungsqualität?

Das Dumme an all diesen Maßnahmen ist, dass sie keine Haltungen verändern - weder auf Seiten der Lehrer noch auf den Seiten derjenigen, die von diesen Lehrpersonen beschult werden. Jedenfalls nicht die Haltungen, derer es bedürfte, damit das Lehren und Lernen gelingen kann. Wir Hirnforscher wissen, dass das Gehirn immer lernt. Allerdings nicht immer das, was es soll. Es lernt vor allem durch am eigenen Leib gemachte Erfahrungen. Man kann sich ausmalen, was Schüler und Lehrer empfinden, wenn sie sich als Objekte irgendwelcher, von oben verordneter Maßnahmen erleben. Sie werden geprägt sein von einem Verwaltungsgeist, einem Pflichterfüllergeist und einem Klagegeist.

Wie können diese bösen Geister denn vertrieben werden?

Wir brauchen liebevoll gestaltete Räume, in den sich Schüler frei bewegen dürfen, in denen sie forschen und entdecken - natürlich begleitet und unterstützt von kompetenten Pädagogen. Räume, die einladen, inspirieren und ermutigen. Mauern setzen Grenzen, darum sollte es möglichst wenige von ihnen geben. Und: Wir brauchen eine neue Fehlerkultur. Nur wer Fehler machen darf, kann aus seinen Fehlern lernen. Wir brauchen Schulen, die Zugehörigkeit signalisieren und Aufgaben für die Kinder bieten, an denen sie wachsen und ihre Potenziale entfalten können.

Und das in architektonisch veränderten Schulen ?

Erforderlich ist ein Kulturwandel. Schulen müssen zu Inseln des gelingenden Lehrens und Lernens umgestaltet werden. Nur so kann dort endlich das geschehen, was Bildung in Wirklichkeit ausmacht: begeisterte Selbstbildung. Nicht die passive Aneignung von Wissen, sondern das Wecken eines Geistes, der neue Erkenntnisse und Wissen aktiv hervorbringt.

Interview: Stephan Lüke

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