Ukraine-Krieg: US-Geheimdienste versorgen Ukraine mit Flut an kommerziellen Satellitenbildern

Private Satelliten-Unternehmen liefern scharfe Aufnahmen aus dem Ukraine-Krieg. Nun stellt sich heraus: Die US-Geheimdienste haben ihre Hände im Spiel.
Update vom Donnerstag, 07.04.2022: Im Ukraine-Krieg stehen deutlich mehr Satelliten-Aufnahmen zur Verfügung als in bisherigen Konflikten. Das liegt zum einen daran, dass seit einiger Zeit zahlreiche Satelliten von Privatunternehmen im Erdorbit aktiv sind (s. Erstmeldung). Wie sich nun herausstellt, haben dabei jedoch auch US-Geheimdienste ihre Hände im Spiel. Wie das Fachportal SpaceNews berichtet, haben die US-Geheimdienste die Beschaffung kommerzieller Satellitenbilder aus der Ukraine mehr als verdoppelt.
„Wir arbeiten mit über 100 Unternehmen zusammen, wir nutzen derzeit Bilder von mindestens 200 kommerziellen Satelliten und wir haben etwa 20 verschiedene Analysedienste in der Pipeline“, berichtete demnach David Gauthier, ein Mitarbeiter der National Geospatial-Intelligence Agency (NGA, nationale Behörde für geografische Aufklärung) bei einer Podiumsdiskussion auf dem 37. Space Symposium in den USA. „Als Russland sich auf die Invasion vorbereitete, haben wir und das NRO [National Reconnaissance Office] aus diesem Grund mehrere kommerzielle Bemühungen verstärkt und beschleunigt“, so Gauthier weiter.
Die NGA ist die zentrale US-Behörde, die für kartografische Auswertungen und Aufklärung zuständig ist – sowohl militärisch und geheimdienstlich wie auch kommerziell. Das NRO ist der Militärgeheimdienst der USA und für das militärische Satellitenprogramm des Landes verantwortlich.
Krieg in der Ukraine: Geheimdienste versorgen Ukrainer mit Satellitenaufnahmen
Wie SpaceNews berichtet, sprach Gauthier weiterhin darüber, dass der tägliche Fluss von Informationen, die zuvor nur aus Regierungsquellen stammten und nur selten an die Öffentlichkeit gelangten, kein Zufall sei. „Dieser Moment wurde durch harte Arbeit vieler Unternehmen und der Regierung herbeigeführt.“ Im Vorfeld des Ukraine-Kriegs „haben wir die kommerziellen elektro-optischen Bilder, die über der Ukraine gekauft wurden, mehr als verdoppelt“, so der NGA-Mitarbeiter. Das Bildmaterial der privaten Satellitenbetreiber „konnte direkt an diejenigen weitergeleitet werden, die es brauchten, an das US European Command, die Nato und direkt an die Ukrainer“.

Zum Einsatz kam auch eine Technologie, die sich eigentlich noch im Test befindet: kommerzielles SAR. Dabei handelt es sich um Radarsatelliten, die die Wolkendecke durchdringen und auch nachts Bilder aufnehmen können. „Wir haben kommerzielles SAR, das sich in unserer Test- und Evaluierungspipeline befand, direkt in den Betrieb übernommen“, so Gauthier. „Und wir haben unsere Kaufkraft verfünffacht und damit begonnen, SAR-Fähigkeiten auf dem gesamten Schlachtfeld zu kaufen.“ Hauptgrund dafür sei das schlechte Wetter in der Ukraine gewesen.
Die NGA und NRO gingen sogar noch einen Schritt weiter: Über ein Webportal wurden die kommerziellen Satellitenbetreiber „direkt mit den Analysten in der Ukraine verbunden“, zitiert SpaceNews Gauthier. „Das war der schnellste und direkteste Weg, dies zu tun. Selbst bei schlechtem Wetter halfen kommerzielle SAR-Bilder den ukrainischen Streitkräften, herauszufinden, wo sie ihre Verteidigung verstärken mussten und wo ihre Infrastruktur litt.“ Das Ausmaß, in dem die kommerziellen Satellitendaten eingesetzt werden, sei „bei diesem Einsatz beispiellos“, ordnet Gauthier die Entwicklung im Ukraine-Krieg ein.
Raumfahrt-Newsletter
Welche Themen bewegen die Raumfahrt? Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter und bleiben Sie auf dem Laufenden!
Ukraine-Krieg: Satelliten-Unternehmen liefern Daten, die früher nur Geheimdienste hatten
Erstmeldung vom Freitag, 11.03.2022: Frankfurt – Die Bilder sind gestochen scharf und beinhalten möglicherweise strategisch wichtige Informationen im Ukraine-Krieg: Satelliten-Aufnahmen der Ukraine. So gibt es beispielsweise Bilder, die den kilometerlangen Konvoi russischer Militärfahrzeuge vor der ukrainischen Hauptstadt Kiew zeigen, andere Bilder zeigen das Atomkraftwerk Tschernobyl oder zerstörte Brücken, Flughafengebäude oder Flugzeuge. Fotografiert wurden diese Bilder nicht etwa von Satelliten staatlicher Stellen wie der CIA, sie unterliegen – wie man angesichts ihrer strategischen Bedeutung vermuten könnte – auch nicht der Geheimhaltung.
Hinter den Satelliten-Aufnahmen aus dem Ukraine-Konflikt stehen private Satelliten-Firmen, wie beispielsweise das Unternehmen Planet Labs. Die US-Firma hat eigenen Angaben zufolge mehr als 200 Satelliten im Erdorbit, die auf die Erde herabschauen und unseren Planeten fotografieren. Die Bilder sind teilweise im Internet abrufbar und werden Medien zur Verfügung gestellt – und sie sind offenbar so wertvoll, dass der ukrainische Vizepräsident Mychajlo Fedorow mehrere Satellitenunternehmen öffentlich auf Twitter darum bat, ihre Satelliten-Aufnahmen mit dem ukrainischen Militär zu teilen. Zuvor hatte Fedorow SpaceX-Gründer Elon Musk per Twitter um Zugang zum „Starlink“-Internet aus dem All gebeten.
Ukraine-Krieg: Private Satelliten-Unternehmen steuern Aufnahmen aus der Kriegsregion bei
„Wir brauchen dringend die Möglichkeit, die Bewegung russischer Truppen zu beobachten, vor allem nachts“, schrieb Fedorow in einem offenen Brief an die Satelliten-Unternehmen und fuhr fort: „Dies ist der erste große Krieg, in dem kommerziell verfügbare Satellitenbilder eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Informationen über Truppenbewegungen, militärische Aufrüstung in den Nachbarländern, Flüchtlingsströme und vielem mehr spielen können.“
Wie die Washington Post berichtet, stellen mittlerweile mindestens fünf Satelliten-Unternehmen ihre Daten einem Unternehmen zur Verfügung, das der Ukraine bei der Verarbeitung der Daten hilft. Die Namen der Unternehmen sind nicht bekannt, wie es in dem Zeitungsbericht weiter heißt. Das dürfte Gründe haben.
Krieg in der Ukraine: Satelliten liefern wertvolle Informationen vom Boden
Seit Jahrzehnten werden Satelliten genutzt, um andere Länder auszuspionieren. An die Öffentlichkeit dringen solche Informationen nicht häufig – oft geht es dann um Themen wie das Atomprogramm des Iran oder die Lage in Nordkorea. Doch in den vergangenen Jahren gab es nahezu eine Revolution in der Satellitentechnologie: Die Sonden, die die Erde in verschiedenen Höhen umkreisen und Aufnahmen von der Erde machen, sind mittlerweile deutlich kleiner und damit einhergehend auch günstiger geworden, gleichzeitig sind sie leistungsfähiger. Und auch der Transport der Satelliten ins Weltall ist dank privater Raumfahrtunternehmen wie SpaceX günstiger und einfacher geworden.
Ukraine-Krieg: Was passiert, wenn ein privates Unternehmen Satelliten-Daten zur Verfügung stellt?
Doch was passiert eigentlich, wenn ein privates US-Unternehmen einer fremden Regierung Daten zur Verfügung stellt, die diese dann für einen Angriff nutzt? Diese Frage hat keine einfache Antwort. Die Washington Post berichtet beispielsweise von einer Senatsanhörung des Armed Services Committee in den USA, bei dem es um dieses Thema gegangen sein soll. Konkret war die „Starlink“-Megakonstellation von SpaceX Thema, die mittlerweile in der Ukraine zur Internetkommunikation eingesetzt werden kann.
Offenbar gab es bereits Versuche, die Satellitensignale zu blockieren, was zu einer wichtigen Frage an den Kommandanten des US Space Command, James Dickinson führte: Wie sieht der „rechtliche Rahmen“ aus, „wenn private Akteure in strittige Situationen verwickelt“ werden? Eine direkte Antwort konnte Dickinson offenbar nicht geben, er verwies der Washington Post zufolge darauf, dass die „Starlink“-Satelliten gezeigt hätten, „was eine Megakonstellation oder eine erweiterte Architektur in Bezug auf Redundanz und Leistungsfähigkeit bieten kann“.
Wie der Experte Jack Beard gegenüber der Washington Post erklärt, wird das Stören von Satellitensignalen im Allgemeinen nicht als „Gewaltanwendung“ betrachtet. Es bleibe jedoch unklar, wie die USA oder andere Länder reagieren würden, wenn ein kommerzieller Satellit angegriffen würde. „Es ist nicht erwiesen, ob der Angriff auf einen kommerziellen Satelliten einen bewaffneten Angriff rechtfertigt“, zitiert die Zeitung ihn. „Es ist einfach zu sagen, dass viele dieser Dinge ungeklärt sind, weil sie es sind. Aber sie werden mehr und mehr relevant“.
Ukraine-Krieg: Russland verfügt über Anti-Satelliten-Waffen – und weiß sie einzusetzen
Brian Weeden vom Thinktank Secure World Foundation fürchtet, dass kommerzielle Satelliten in den Ukraine-Konflikt hineingezogen werden könnten. Gegenüber der Washington Post erklärt er: „Wenn ein kommerzielles Unternehmen Daten an einen Krieg führenden Akteur in einem bewaffneten Konflikt verkauft und dieser diese Daten für gezielte Zwecke verwendet, ist es sehr wahrscheinlich, dass der kommerzielle Akteur eine Konfliktpartei ist. Eine andere Möglichkeit wäre, dass dieser kommerzielle Satellit ein legitimes militärisches Ziel ist.“ Dass Russland Anti-Satelliten-Waffen besitzt, hat zuletzt ein sogenannter Anti-Satelliten-Test (ASAT) im November 2021 gezeigt.
Wie die Washington Post weiter berichtet, haben mehrere der US-Satelliten-Unternehmen Verträge mit dem Pentagon oder Geheimdiensten – es sei also gut möglich, dass diese die Aufnahmen sehen, bevor sie online gestellt werden. Kritik an der Veröffentlichung der Daten gibt es jedoch auch – und sie kommt aus den Reihen der US-Satelliten-Unternehmen: „Ich wünschte, sie würden die Daten nicht an die großen Medienorganisationen weitergeben, denn alles, was sie veröffentlichen, sehen auch die Russen, was den Zweck der Nachrichtendienste zunichtemacht“, betont Marc Bell von Terran Orbital gegenüber der Zeitung. (tab)