Verstehen wir das Universum falsch? Fachleute staunen über neue Ergebnisse

Eine neue Studie wirft die Frage auf, ob die Forschung das Universum womöglich falsch verstanden hat. Es geht um die Basis für das gesamte Verständnis der Physik.
Lausanne – Das Universum dehnt sich aus, das haben die Forscher Georges Lemaître und Edwin Hubble bereits in den 1920er Jahren entdeckt. Nur die Frage, wie schnell sich das Universum ausdehnt, ist bis heute nicht eindeutig beantwortet. Die Antwort hängt nämlich davon ab, wie man die Expansion des Universums misst. Verwendet man zur Ermittlung der sogenannten Hubble-Konstante die kosmische Hintergrundstrahlung, erhält man einen anderen Wert, als wenn man aktuelle Sterne und Galaxien dafür heranzieht. Dieses Problem – die sogenannte Hubble-Spannung, beschäftigt die Kosmologie und Astrophysik seit Jahren.
Nun hat ein Forschungsteam von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) ein neues Puzzleteil zu dem Rätsel rund um die Expansion des Universums hinzugefügt. Die Forschungsgruppe um Richard Anderson hat die bisher genaueste Messung von Cepheiden vorgenommen und ihre Ergebnisse im Fachjournal Astronomy & Astrophysics publiziert. Cepheiden sind ein spezieller Typ variabler Sterne, die zur Abstandsmessung im Weltall herangezogen werden. Die Helligkeit von Cepheiden gilt als erste Sprosse der „kosmischen Abstandsleiter“, mit deren Hilfe die Expansion des Universums gemessen wird.
Expansion des Universums: Neue Studie veröffentlicht
Das Ergebnis des Teams um Anderson hat diesen Wert nun noch einmal bestätigt: Nutzt man die „kosmische Abstandsleiter“, um die Ausdehnung des Universums zu ermitteln, kommt man für die Hubble-Konstante auf einen Wert von 73,0 ± 1,0 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec (km/s/Mpc). Ein Megaparsec sind 3,26 Millionen Lichtjahre – der Wert bedeutet, dass zwei Punkte, die ein Megaparsec voneinander entfernt sind, mit 73,2 Kilometern pro Sekunde auseinanderstreben. Nutzt man dagegen die kosmische Hintergrundstrahlung, um die Hubble-Konstante zu ermitteln, liegt der Wert bei 67,4 ± 0.5 km/s/Mpc.
Die Hubble-Spannung dreht sich um die Diskrepanz von 5,6 km/s/Mpc, die die Forschung nicht erklären kann. Die Kosmologie geht davon aus, dass die Messungen für beide Methoden korrekt sind – was im Umkehrschluss bedeuten müsste, dass unser Verständnis für die grundlegenden physikalischen Gesetze des Universums möglicherweise falsch ist.
Je mehr wir die Bestätigung erhalten, dass unsere Berechnungen korrekt sind, desto mehr können wir daraus schließen, dass die Diskrepanz bedeutet, dass unser Verständnis des Universums falsch ist, dass das Universum nicht ganz so ist, wie wir dachten.
Hubble-Konstante: Sind die Annahmen über das Universum falsch?
„Diese Diskrepanz hat eine große Bedeutung“, sagt Forscher Anderson in einer Mitteilung. Warum das Thema so wichtig ist, erklärt er mit einem irdischen Vergleich: „Angenommen, Sie wollen einen Tunnel bauen, indem Sie in zwei gegenüberliegende Seiten eines Berges graben. Wenn Sie die Art des Gesteins richtig verstanden haben und Ihre Berechnungen korrekt sind, dann werden sich die beiden Löcher, die Sie graben, in der Mitte treffen.“
Sei das nicht der Fall, habe man einen Fehler gemacht: Entweder seien die Berechnungen falsch oder man habe sich in der Art des Gesteins geirrt, erläutert Anderson und bezieht seinen Vergleich nun auf das Problem mit der Expansion des Universums: „So verhält es sich auch mit der Hubble-Konstante. Je mehr wir die Bestätigung erhalten, dass unsere Berechnungen korrekt sind, desto mehr können wir daraus schließen, dass die Diskrepanz bedeutet, dass unser Verständnis des Universums falsch ist, dass das Universum nicht ganz so ist, wie wir dachten.“
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Es geht der Forschung um ganz grundlegende Dinge: Um dunkle Energie, das Raum-Zeit-Kontinuum und Schwerkraft, heißt es in der Mitteilung der EPFL. Anderson fügt hinzu: „Das bedeutet, dass wir die grundlegenden Konzepte überdenken müssen, die die Basis für unser gesamtes Verständnis der Physik bilden.“ (tab)