Unsere Spürnase: „Der Geruch ist eine ehrliche Information“

Ein Gespräch mit der Sozialpsychologin Bettina Pause über kluge Riechkolben, das Geheimnis der Chemo-Kommunikation und was die Nase mit unserem Bauchgefühl zu tun hat
Frau Pause, Sie erforschen seit 30 Jahren, wie die Nase unser Leben lenkt. Wie hat sich Ihr Blick auf die Welt verändert, seit Sie wissen, was sich zwischen Menschen alles abspielt – jenseits von Auge und Verstand?
Vor allem denke ich heute anders über das sogenannte Bauchgefühl. Viele Menschen berichten davon, dass sie hin und wieder so ein Gefühl haben, von dem sie sich leiten lassen oder eben nicht. Mir ist das Bauchgefühl inzwischen sehr vertraut, aber da viele eben nicht wissen, wo dieses Gefühl herkommt, ist es ihnen mitunter peinlich, wenn sie sich nach diesem Bauchgefühl richten.
Weil beim Bauchgefühl ja auch immer mitschwingt, dass es keine vernunftbasierte Entscheidung ist, die da eben getroffen wurde?
Uns Menschen zeichnet ja gemeinhin aus, dass wir kognitive Strategien entwickeln und anwenden können. Jetzt haben sich aber in den vergangenen Jahren die Hinweise verdichtet, dass im Zwischenmenschlichen bestimmte Informationen chemisch übermittelt werden, diese Informationen aber nicht anders wahrgenommen werden können als eben in Form dieses Bauchgefühls.
Die Information, die unser Gegenüber aussendet, nehmen wirauf: Angst, Stress, Entspannung, Erregung.
Auch Gerüche entziehen sich der kognitiven Wahrnehmung, wenn sie unter einer bestimmten Konzentration liegen. Aber die Information, die unser Gegenüber aussendet, nehmen wir trotzdem auf: Angst, Stress, Entspannung, Erregung. Es sind also viele komplexe Empfindungen und körperliche Vorgänge die Basis für dieses Bauchgefühl. Heute wissen wir nicht nur, dass das Bauchgefühl eine sehr fundierte biologische Basis hat und wie es sich zusammensetzt – wir wissen auch, dass es uns im Laufe der Evolution geholfen hat, das zu werden, was wir sind.
Es kann also nicht so verkehrt sein, darauf zu hören?
Nein, aber das heißt nicht, dass wir nur auf unser Bauchgefühl hören und unsere Kognition völlig ausschalten sollen. Wir sollten uns einfach bewusst halten, dass es ein intelligenter Prozess ist, der einen großen Teil zur Entwicklung unseres Gehirns beigetragen hat. Das hieße auch, den Geruch in sozialen Situationen als mindestens gleichwertigen Faktor anzuerkennen.
Was einfacher klingt als es ist, weil wir diese Vorgänge nicht bewusst steuern.
Aber das kann ja auch gut sein. Wir wissen inzwischen in der Psychologie, dass kognitive Strategien sehr fehleranfällig sind, soziale Kognitionen können selten das Ganze erfassen, sondern nur kleine Teile der sozialen Situation. Selbst wenn wir hier nur zu zweit zusammensitzen, prasseln so viele Informationen gleichzeitig auf mich ein – Sprachmelodie, Mimik und Gestik – die kann ich nicht alle zur gleichen Zeit erfassen. Folglich kommt es zu ganz vielen Verzerrungen dessen, was ich wahrnehme. Aber der Geruch gibt mir eine Gesamtschau dessen, was gerade wichtig ist. Wir nennen das Chemo-Kommunikation.
„Wir brauchen Gerüche“
Also: Kommunikation auf Geruchsbasis?
Wir versuchen, in diesem Zusammenhang den Begriff Geruch zu vermeiden, weil es eben nicht riecht. Es ist eine Kombination verschiedener Moleküle, die bestimmte Informationen übermitteln. Aber eben kein Geruch im eigentlichen Sinne.
Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass der Riechkolben, der Bulbus olfactorius, ganz zentral ist bei der Entwicklung des limbischen Systems, das auch als Gefühlshirn bezeichnet wird. Man könnte also sagen, wir riechen erst und fühlen dann?
Das ist stark verkürzt, aber trifft es ganz gut. Schauen wir uns die Entwicklung des limbischen Systems bei den ersten Wirbeltieren vor ungefähr 500 Millionen Jahren an. Als sie noch im Wasser leben, finden wir dort nur dieses reine Geruchshirn. Erst nach und nach entwickeln sich die anderen limbischen Bereiche, die verantwortlich sind für Gefühlsregulation, Aufregung, Stress, Angst, aber eben auch Gedächtnisbildung. Wenn Sie einen Physiologen fragen, was denn da wichtig ist, dann wird er sagen, der Bulbus olfactorius kontrolliert ganz viel. Er verarbeitet nicht nur Geruch, er kontrolliert auch die Verschaltung mit allen anderen limbischen Systemen.
Bis in die Pubertät hinein entwickeln sich wichtige Bereiche im Gehirn
Nase und Geruchshirn steuern also unser ganzes Empfinden und Verhalten?
Weitestgehend. Und das Besondere an diesem Geruchsgehirn ist, dass es ein hochplastisches System ist, das die Fähigkeit zur Nervenzellen-Neubildung hat. Wir brauchen aber Gerüche, die an die Nase kommen, um diese Nervenzellen-Neubildung immer wieder zu aktivieren. Wenn wir also im schlimmsten Fall immer nur mit Maske unterwegs sind, kann das dazu führen, dass kaum noch Gerüche verarbeitet werden, womit auch eine Verkümmerung der Nervenzellen-Neubildung einhergehen kann.
Diese Sorge wird ja nicht nur von jenen geäußert, die dem Maskentragen skeptisch gegenüberstehen.
Durchaus. Wir wissen inzwischen aus der Depressionsforschung, dass man bei depressiv Erkrankten ganz deutlich sehen kann, dass das Geruchshirn und das Gefühlshirn eine reziproke, also wechselwirkende Verbindung haben. Und dass eine Reduktion der Funktion im Geruchshirn auch eine Veränderung im Gefühlshirn nach sich zieht - und zwar eine verstärkte Aktivität im Angstzentrum. Und wir können leider nur spekulieren, wie sich das auf ein Gehirn auswirkt, das noch in der Entwicklung begriffen ist. Denn bis in die Pubertät und die frühe Adoleszenz hinein entwickeln sich noch wichtige Bereiche im Gehirn. Es gibt einige Forschende, die sagen, diese Entwicklung des kindlichen Gehirns über sozialen Entzug zu beeinträchtigen ist ähnlich schädigend wie sieben Jahre sozialer Entzug für ein Erwachsenengehirn.
Klingt beunruhigend.
Absolut, und die Frage ist, wie können wir das beheben? Wir wissen ja, wie wichtig Geruch und Berührung gerade für ganz kleine Kinder sind. Wenn das entzogen wird, zusätzlich zur erschwerten Erkennung von Mundpartie und Gesicht, das könnte problematisch werden. Die Gesichtserkennung entwickelt sich ja auch erst postnatal. Und wenn wir diese Entwicklung so beeinträchtigen, dann kann das schwerwiegende Konsequenzen haben. Die meisten Befunde dazu sind allerdings aus der Erwachsenenforschung.
Zur person
Bettina Pause (60) ist Professorin für Biologische Psychologie und Sozialpsychologie an der Universität Düsseldorf. Ihr Forschungsschwerpunkt ist der Zusammenhang von Geruch und Emotion, ein Thema zu dem sie auch habilitierte.
In ihrem Buch „Alles Geruchssache“ (2020 erschienen im Piper Verlag) hat die Wissenschaftlerin ihre Forschungs- ergebnisse rund um den Riecher zusammengefasst. FR/ Foto: privat
Das wiederum klingt nach einem Hoffnungsschimmer…
Hoffnung ist ein elementares psychisches Gut, das wir brauchen, um gesund zu bleiben. Und wir brauchen vor allem andere Menschen, um glücklich zu sein. In diesem Zusammenhang ist der Geruch wohl elementar. Menschen, die gut riechen können, haben ein größeres Netzwerk, sind empathischer. Soziale chemische Wahrnehmung hilft uns auch, uns in einer sozialen Welt optimal zu verhalten: Freunde gewinnen, Betrüger rausfiltern. Wenn ich da meiner Nase vertraue, ist das die sicherste Variante, soziale Kontakte aufzubauen. Weil der Geruch eben auch eine Ehrlichkeitsinformation ist.
Inwiefern ehrlich?
Manchmal merke ich ja nicht, wenn jemand latent aggressiv ist, weil diese Person ein nettes Lächeln aufgelegt hat oder sich auch sprachlich gut verstellen kann. Da aber geruchliche Information nicht bewusst verfälscht werden kann, registriere ich also unterbewusst, dass diese Person latent aggressiv ist, und bin ihr gegenüber eher vorsichtig. Das funktioniert aber auch anders herum: Bin ich mit jemandem zusammen, der positiv gestimmt ist und Freude oder Entspannung aussendet, dann kann auch ich mich entspannen.
Sie sagen, geruchliche Information lässt sich nicht bewusst verfälschen. Aber bis zu einem gewissen Grad müsste ich die Signale, die ich aussende, doch auch über mein Gefühl beeinflussen können, oder nicht?
Im Grunde schon. Woran denken Sie?

Wenn ich in einem Zug stehe voller Menschen, die alle nach Hause wollen und mit jeder weiteren Minute Verspätung gereizter werden, könnte es da helfen, wenn ich mir sage: Ich lasse mich jetzt nicht von der chemisch übermittelten schlechten Laune anstecken, sondern ich sende über meine bewusst entspannte Haltung chemische Signale aus, die bei anderen den Stress reduzieren?
Das ist auf jeden Fall denkbar. Was Sie da machen würden, nennt sich kognitive Umstrukturierung. Sie sagen sich, das ist nicht so wild und sowieso nur für eine begrenzte Zeit – und ich denke jetzt eben an was Schönes. Das kann man auch trainieren und über verschiedene Techniken gut in den Griff bekommen. Dann würde man nicht noch zusätzliche Stresshormone in diese Situation absondern und eben auch selbst nicht so gestresst sein. Trotzdem ist und bleibt das sogenannte Crowding immer Stress. Über Jahrtausende war es so, dass wir wussten, wenn die anderen, mit denen ich zusammen bin, mir über den Geruch signalisieren, hier ist Stress, dann sollte ich schauen, dass ich hier wegkomme. Im Zug geht das leider nicht.
Der Geruch beeinflusst unsere Partnerwahl in hohem Maße
Nun fordern Lockdowns, Abstandsgebote und Hygienekonzepte uns im Alltag viel Disziplin und Gleichmut ab. Abgesehen von den Masken: Welche Sorgen haben Sie noch beim Blick auf die Folgen der Pandemie fürs Zwischenmenschliche?
Ich forsche ja zu einem Nähesinn, was beinhaltet, dass wir den Dingen nahe kommen müssen, um sie zu riechen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist also alles, was wir seit knapp zwei Jahren machen, dem nicht förderlich. Zum einen, weil es die Geruchswahrnehmung an sich reduziert, zum andern aber eben auch die soziale Geruchswahrnehmung. Das kann viele negative Konsequenzen haben. Vor diesem Hintergrund ist vieles von dem, was ich in meinem Buch über die positiven Effekte chemischer Kommunikation geschrieben habe, derzeit nur sehr eingeschränkt gültig.
Worauf könnte es sich besonders negativ auswirken, dass wir so auf Distanz gehen?
Der Geruch beeinflusst unsere Partnerwahl in hohem Maße, weil es immunogenetisch ganz wichtig ist, über den Geruchssinn herauszufinden, wer zu uns passt. Aber auch auf Freundschaften bezogen ist der Geruchssinn eine wichtige Komponente, weil sich Freunde ebenfalls über den Geruchssinn finden. Eine Studie, die wir gemacht haben, hat gezeigt, dass die genetische Ähnlichkeit von Freunden – und zwar überall auf der Welt – auch auf der Ähnlichkeit der Geruchssinneszellen basiert.
Wir wissen aber heute, dass der Mensch auch ein sehr leistungsfähiges Geruchssystem hat und da den Tieren in keiner Weise nachsteht.
Freundschaften sind also auch Geruchssache?
Ja. Wir haben zwar alle eine sehr individuelle Ausstattung mit Geruchssinneszellen, aber es hat sich gezeigt, dass Freunde die Welt nicht nur geruchlich ähnlich wahrnehmen, sondern oft auch ein ähnliches Bauchgefühl haben. Was zur Folge haben kann, dass sie sich von bestimmten Menschen gemeinsam distanzieren oder eben zu diesen hingezogen fühlen. Wenn wir heute sagen, Freundschaft ist das, was uns als Menschen ausmacht, dann meinen wir damit, dass soziale Fähigkeiten, soziale Intelligenz, die Bildung von Koalitionen und flexiblen Netzwerken uns in der Menschwerdung extrem geholfen haben. Und wenn wir den Geruch, unser wichtigstes Kommunikationsmittel im sozialen Bereich, zurückschrauben, dann bremsen wir uns aus. Denn all das fußt auf unserer geruchlichen Kompetenz.
Die aber – und damit wären wir wieder beim Anfang – ein unbewusster Prozess ist.
Dieses Problem hat die Psychologie insgesamt bei der Beschreibung des Verhaltens. Wir wissen in der Sozialpsychologie, dass die Dinge, die unser Sozialverhalten und also auch unsere Gefühle, unsere Selbstsicht und unsere Selbsterkenntnis bestimmen, zum allergrößten Teil implizit und unbewusst sind. Es ist nachvollziehbar, dass Menschen immer versuchen, sich und ihr Verhalten über das zu beschreiben, was sie sehen und fassen können. Aber das ist, wie Freud schon gesagt hat, nur die Spitze des Eisberges. Andererseits haben wir in der Forschung in den letzten 20 Jahren bedeutende Fortschritte gemacht und wissen heute, dass das Geruchsystem – und damit auch die Analyse der sozialen Gerüche im Körper – ein hochsensibles System ist und hochsensitiv auf den anderen reagiert.
Und also auch das soziale Verhalten stark steuert?
So wie bei allen anderen Tieren auch. Lange war man der Ansicht, dass sich nur Makrosmaten, also Lebewesen mit einem hochentwickelten Geruchssinn, ganz stark nach dem Geruch orientieren. Wir wissen aber heute, dass der Mensch auch ein sehr leistungsfähiges Geruchssystem hat und da den Tieren in keiner Weise nachsteht. Was ja auch evolutionsbiologisch betrachtet absurd erscheint: Warum sollte beim Geruchssinn das, was für alle Tiere und zum Teil auch für Pflanzen gilt, nur beim Menschen anders sein? (Interview: Boris Halva)