Mit Magnetfeldern das Gehirn stimulieren

Christian Grefkes-Hermann ist seit Jahresbeginn Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Er will dort eine neue Schlaganfall-Therapie etablieren.
Personalisierte Therapien, die nicht nur allgemein auf ein bestimmtes Krankheitsbild zielen, sondern die individuelle Situation der einzelnen Patientin, des einzelnen Patienten einbeziehen, nehmen in der Medizin immer breiteren Raum ein. Das soll, nach Krebs oder Herzerkrankungen, in Zukunft auch verstärkt für die Behandlung von Schlaganfällen gelten. Das Universitätsklinikum Frankfurt will dabei eine Vorreiterrolle in Deutschland einnehmen. Zum Jahresbeginn hat dort der renommierte Schlaganfall-Experte Christian Grefkes-Hermann die Leitung der Klinik für Neurologie übernommen. Als wichtigen Baustein einer an individuelle Bedürfnisse angepassten Therapie sieht er neue nicht-invasive Verfahren zur Gehirnstimulation an.
Der 46 Jahre alte Mediziner war zuvor als Professor für Schlaganfall und Neurorehabilitation Leitender Oberarzt an der Uniklinik Köln; zusätzlich leitete er eine Arbeitsgruppe am Institut für Neurowissenschaften und Medizin des Forschungszentrums Jülich. Grefkes-Hermann ist außerdem designierter Präsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung. Sein Ziel für Frankfurt ist es, den Standort zu einem „deutschen Spitzenzentrum“ der Neurologie auszubauen. Auch bei der Therapie anderer Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Entzündungen des Gehirns oder des peripheren Nervensystems will der Neurologe neue Verfahren an der Frankfurter Uniklinik etablieren.
In Deutschland erleiden jedes Jahr rund 270 000 Menschen einen Schlaganfall, Ursachen sind verschlossene Arterien im Gehirn durch einen Blutpfropfen oder eine Gefäßverkalkung sowie ein geplatztes Gefäß direkt im Gehirn. Da Schlaganfälle vor allem im höheren Alter auftreten, ist angesichts der demographischen Entwicklung in den nächsten zehn bis 20 Jahren mit einer steigenden Zahl von Patientinnen und Patienten zu rechnen.
Vor allem durch eine verbesserte Akut-Behandlung in den Stroke-Units der Kliniken hat sich die Sterblichkeit in den vergangenen 25 Jahren nahezu halbiert. Gleichwohl bleibt der Schlaganfall in Deutschland die häufigste Ursache für eine erworbene Behinderung. Denn häufig geht er mit dem Funktionsverlust bestimmter Regionen im Gehirn einher, was die davon abhängigen Fähigkeiten schwer beeinträchtigen kann. Mögliche Folgen sind deshalb Sprach- und Sehstörungen sowie Lähmungen.
Obwohl der Schlaganfall eine so häufige Erkrankung ist, sind die Vorgänge, die sich währenddessen und danach im Gehirn abspielen, bis heute nicht vollständig verstanden. Christian Grefkes-Hermann hat in den vergangenen Jahren intensiv erforscht, wie sich die Netzwerke im Gehirn neu formieren und andere Regionen die Aufgaben geschädigter Areale übernehmen. In diesem Zusammenhang ging der Neurologe auch der Frage nach, welche Therapien das Gehirn dabei unterstützen können, die Folgen eines Schlaganfalls bestmöglich auszugleichen.
Das schnelle Handeln nach einem Schlaganfall hat zwar dazu geführt, dass die Beeinträchtigungen heute oft geringer ausfallen als noch vor einigen Jahrzehnten. Gleichwohl bleiben Defizite oft dauerhaft. „Da gibt es bis jetzt nur relativ wenige Möglichkeiten, wie man das behandeln kann“, sagt Christian Grefkes-Hermann. Einen Weg aus dieser unbefriedigenden, für die Betroffenen sehr belastenden Situation sieht er in einer nicht-invasiven Hirnstimulation mit Magnetfeldern, wie man sie von der Magnetresonanztomographie (MRT) kennt. Von außen am Schädel angesetzt, erzeugt das Magnetfeld kurzzeitig einen schwachen elektrischen Strom in der Hirnrinde, eine Erregung des Gewebes findet statt. „Wenn man das in bestimmten Rhythmen macht, kann man Nervenzellen aktivieren oder auch dämpfen“, erklärt der Neurologe. Ein Dämpfen von Regionen kann deshalb sinnvoll sein, weil die „überschießende Aktivität“ einiger Areale den Prozess der Funktionserholung zu stören vermag, wie Grefkes-Hermann erklärt.
Die Magnetfelder sorgen dafür, dass sich die Kommunikation in verbundenen Hirnregionen verändert. In den Nervenzellen würden dabei Stoffe freigesetzt, die „von alleine dafür sorgen, dass sich die Zentren besser vernetzen“, erläutert der Neurologe. Das entspreche dem natürlichen Prozess der Erholung des Gehirns nach einem Schlaganfall. „Mit der Hirnstimulation unterstützen wir das.“ Zudem wirke das Verfahren nicht nur dort, wo man es appliziert, sondern auch in anderen Regionen.
Wichtig sei es aber, mit der Behandlung relativ frühzeitig einzusetzen, sagt der Mediziner, bis zu zwei Wochen nach einem Schlaganfall. Die Behandlung selbst dauert nur kurz, etwa jeweils drei Minuten und werde drei bis sechs Wochen lang dreimal die Woche stattfinden, sagt Grefkes-Hermann. Auch könne die Hirnstimulation den Effekt von Therapien, etwa zur Verbesserung der Motorik oder Sprachfähigkeit, optimieren, wenn sie direkt im Anschluss, binnen zehn Minuten, beginnen würden.
Allerdings reagieren nicht alle Patientinnen und Patienten gleich gut auf das Verfahren – so wie auch die Verläufe nach einem Schlaganfall trotz ähnlichen Alters und ähnlicher Lokalisation im Gehirn sehr unterschiedlich sein können. Mit Hilfe von MRT oder Elektroenzephalografie (EEG) versuche man, diese Varianz besser zu verstehen, sagt Grefkes-Hermann. So wolle man herausfinden, welche Faktoren sich auf das individuelle Ansprechen auf die Therapie auswirken und jene Patientinnen und Patienten identifizieren, die von einer Hirnstimulation profitieren. Nach heutigem Stand nicht geeignet ist das Verfahren für Menschen mit Epilepsie. Bei ihnen könne es möglicherweise einen Anfall auslösen, sagt der Neurologe. Auch Metall im Körper in unmittelbarer Nähe des Magnetfeldes ist ein Ausschlusskriterium. Dazu gehört auch die Hörprothese Cochlea-Implantat.
Christian Grefkes-Hermann sagt, er wolle das Verfahren der nicht-invasiven Hirnstimulation in der Versorgung fest etablieren, nicht nur an den Kliniken, sondern auch in den Praxen. „Ich gehe davon aus, dass wir dieses Verfahren in den nächsten fünf Jahren deutlich häufiger antreffen werden.“ Beim Jahreskongress der Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie im März sollen erstmals Kurse für niedergelassene Neurologinnen und Neurologen angeboten werden.