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Marode Schaltstelle

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Lebererkrankungen
Lebererkrankungen © FR/Galanty

Gut zehn Millionen Deutsche sind von der ernährungsbedingten Krankheit betroffen. Sie essen zu fett, zu süß und trinken zu viel Softdrinks oder Fruchtsäfte.

Von Frauke Haß

Butter war noch nie ein Thema für Marie-Louise Ditzel. Die 62-jährige Niederländerin sagt freimütig: „Ich war schon als Kind ein Pummelchen. Offensichtlich verbrenne ich sehr schlecht.“ Butter und andere Fette strich sie deshalb schon früh vom Speiseplan. Und doch nahm sie stetig zu. „Als Frau hat mich das natürlich nicht gefreut, ich ließ Alkohol ganz weg, aß keine Soßen und nahm doch immer weiter zu.“

Und das, obwohl ihr Arzt ihr geraten hatte, auf keinen Fall weiter Gewicht zuzulegen. Vor zehn Jahren hatte er per Zufall eine ernährungsbedingte Fettleber bei ihr diagnostiziert. Dabei galt die 1,59 Meter kleine Frau mit ihrem Spitzengewicht von 73 Kilogramm noch nicht einmal als adipös ? fettsüchtig, wie rund 20 Prozent der Deutschen. Adipös ist, wer einen Body Mass Index von über 30 hat (Gewicht in Kilogramm dividiert durch das Quadrat der Körpergröße in Metern). Ditzel brachte es auf 29.

Wer deutlich zu dick ist, riskiert seine Gesundheit. Bluthochdruck, hoher Blutzucker, Fettstoffwechselstörungen, Arterienverkalkung können die Folge sein: man spricht dann vom Metabolischen Syndrom, das Herz-/Kreislauferkrankungen begünstigt.

Auch die sogenannte Fettleber ist häufig eine Begleiterscheinung der Adipositas ? dabei haben sich Fette, vor allem sogenannte Triglyceride, in die Leberzellen eingelagert. „Früher haben die Hausärzte die Fettleber oft nicht ernst genommen“, sagt Frank Tacke, Oberarzt an der Uniklinik Aachen. „Inzwischen wissen wir, dass sie die Sterblichkeit innerhalb von zehn Jahren deutlich erhöht.“

Falsche Ernährung ? zu fett und zu süß ? ist Tacke zufolge der Hauptgrund für eine nicht-alkoholisch bedingte Fettleber. Vor allem vor fruchtzuckerstrotzenden Softdrinks sei zu warnen: „Die sind sehr ungünstig“, sagt Tacke, „da Fett die Speicherform von Zucker ist und der Fruchtzucker aus den Getränken sehr schnell zur Verfügung steht, reichert sich der Zucker in Form von Fett in der Leber an.“

Marie-Louise Ditzel trank also Wasser und ungesüßten Tee, zwang sich vier mal die Woche zum schweißtreibenden Step-Aerobic und nahm immer noch zu. Ihre Blutwerte waren bei den halbjährlichen Untersuchungen „nie in Ordnung. Ich habe so wenig gegessen, dass mein Mann scherzte, ich würde bald durch ein Loch im Kanaldeckel fallen.“ Ein Scherz, den sie nur mit schiefem Lächeln quittierte, denn dünner wurde sie ja gerade nicht. Da half nicht mal die Diätberaterin, die an ihrem Speiseplan ohnehin wenig auszusetzen fand.

Die Leber ist die zentrale Schaltstelle im Stoffwechsel: Sie baut schädliche Substanzen ab, stellt lebenswichtige Eiweiße bereit, sorgt für die Blutgerinnung und verwertet die Nahrung: Nährstoffreiches Blut aus dem Darm wird hier weiterverarbeitet.

Zu Fett zum Beispiel. Vor Jahrmillionen war es noch sinnvoll, wenn der Körper Fett als Energiereserve anreicherte ? normalerweise im Fettgewebe. Bei sehr übermäßigem Nahrungsangebot laufen aber auch die Leberzellen voll Fett. Doch der moderne Mensch bräuchte diese Funktion angesichts voller Supermärkte in den Industrienationen eigentlich gar nicht mehr. Lebensmittel sind reichlich vorhanden und er verbraucht nicht einmal nennenswert Energie, um sie zu beschaffen. Zu Zeiten der jagenden und sammelnden Urahnen war das noch anders.

„Ist die Leberzelle erst einmal mit Fett angefüllt, kann es sehr leicht zu einer Entzündung der Leber kommen“, sagt Tacke. Experten sprechen dann von einer Nash, einer nicht-alkoholischen Steatohepatitis, einer Leberentzündung also. Und die kann, wenn sie in eine Leberzirrhose mündet, gefährlich werden. Geschätzte drei Millionen Nash-Patienten gibt es in Deutschland. „Ein Drittel von ihnen ist stark gefährdet, eine Zirrhose zu entwickeln und an Leberversagen zu sterben.“

Längst ist die Fettleber eine Volkskrankheit, möglicherweise immer noch eine unterschätzte. Ein Problem bei ihrer Diagnose ist laut Tacke, dass die meisten Patienten lange beschwerdefrei sind, ein bisschen müde und schlapp vielleicht. Doch im Ultraschall ist sie leicht zu erkennen, weil die verfettete Leber heller erscheint als sonst.

Erkannt werden kann sie auch beim Bluttest, wenn die sogenannten Leberwerte einen bestimmte Schwelle überschreiten, dazu gehören die Enzyme GammaGT, das ein Signal für eine Erkrankung der Leber ist und ALT (GPT), das freigesetzt wird, wenn Leberzellen zugrunde gehen.

„Die Ship-Studie, bei der 4000 Mecklenburg-Vorpommer über zehn Jahre regelmäßig untersucht wurden, hat gezeigt, dass ein erhöhter Gamma-GT-Wert kein harmloser Befund ist, sondern statistisch mit einer erhöhten Sterblichkeit an Herz-/Kreislauferkrankungen zusammenhängt“, sagt Tacke. Ein hoher ALT-Wert erhöhe danach das Risiko, an einer Lebererkrankung zu sterben. Während der Gamma-GT-Wert für die Diagnose der Fettleber wichtig sei, gebe der ALT-Wert einen Hinweis darauf, wie weit die Erkrankung schon fortgeschritten ist.

Was tun? Vitamin E ist einer aktuellen Studie zufolge ein aussichtsreicher Kandidat für eine medikamentöse Behandlung. Die Wissenschaftler um Arun Sanyal von der Virginia Commonwealth University in Richmond beobachteten deutliche Verbesserungen der Krankheitssymptome bei 43 Prozent der mit Vitamin E behandelten Patienten im Vergleich zur Placebo-Gruppe (19 Prozent). Das berichteten die Forscher im New England Journal of Medicine (2010, Band 362, Seiten 1675-1685).

„Abnehmen“, sei allerdings das A und O, sagt Frank Tacke. Leicht gesagt, wird sich seine Patientin, Marie-Louise Ditzel, mehr als einmal gedacht haben. Der Durchbruch kam für sie, als sie im März dieses Jahres eine Woche lang eine fettfreie Krankenhausdiät durchhielt und dabei zwei Kilo verlor. „Anschließend habe ich alles geändert: Ich esse so gut wie keine Kohlenhydrate mehr, außer morgens mal ein Knäckebrot. Mittags Quark mit Gurke oder Tomate oder eine heiße Tasse Suppe und abends Huhn, Pute, Fisch oder Rindfleisch mit Salat oder Gemüse ? ohne Soße.“ Keine Kartoffeln, keine Nudeln, kein Reis. Für ihren Mann ? ein Nudelfan ? kocht sie extra. „Und manchmal nehme ich mir auch mal einen Esslöffel gekochter Nudeln oder ich nasche ein Stück Pommes Frites. Dann habe ich den Geschmack mal wieder gehabt und dann ist gut“, sagt sie tapfer.

Inzwischen hat sie neun Kilo abgenommen und die Leber freut sich: „Gestern war ich zur Untersuchung und die Blutwerte sind wieder in Ordnung“, jubelt sie. Ein Grund zum Feiern ? mit Wasser und Salat.

Die Fettleber ist ein Schwerpunktthema auf der Jahrestagung Viszeralmedizin 2010, vom 15. bis 18. September in Stuttgart.

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