Mann mit Mission

So arbeitet der Wissenschaftler Hans Joachim Schellnhuber gegen den Klimawandel. Ein Porträt von Joachim Wille
Der Mann ist fast 60. Für viele die Zeit, sich langsam auf die Rente einzustellen. Bald kein Stress mehr, ein geruhsamer Alltag, vielleicht eine Weltreise, wenn das Geld dafür reicht.
Bei Hans Joachim Schellnhuber ist es anders. Nicht nur wegen des Jobs. Der Wissenschaftler ist voriges Jahr Vater geworden. Er hat einen kleinen Sohn. "Der Junge verändert alles", sagt der Professor, ein schmaler, distinguierter, asketisch wirkender Mann, der sein Büro in einem Observatorium aus der Kaiserzeit auf dem Telegrafenberg in Potsdam hat, wo in den 1920er Jahren auch Albert Einstein arbeitete. Ein Ort für Welterklärung, nun für Weltrettung. Zwischen Einsteinturm und Supercomputer.
Schellnhuber erforscht seit zwei Jahrzehnten, was mit dem Globus wird, wenn wir ihm weiter einheizen. Er ist Klimafolgen-Forscher, der Chef des renommierten Klima-Instituts in Potsdam, das er 1991 mit gegründet hat und seither leitet. Sein kleiner Sohn hat wie alle jetzt Geborenen gute Chancen, über 90 zu werden, wenn die Welt nicht aus den Fugen gerät - und damit das Jahr 2100 zu erleben, das die Klimaforscher im Blick haben.
Die eigene Arbeit, sagt der Physik-Professor, gewinnt da eine neue Dimension. "Unsere Generation hat es in der Hand, die Erde lebenswert und einigermaßen stabil zu erhalten", sagt Schellnhuber. Was, sagt er, nütze es, für ein Kind alles zu tun, was man als Eltern so tut, ihm Liebe geben, Stabilität, eine möglichst gute Ausbildung, und dann stürzt die Welt in Bürgerkriege um die versiegenden fossilen Energien, weil die Elterngeneration es nicht schaffte, global umzusteuern.
In den letzten Wochen ist Schellnhuber noch mehr gefragt als sonst. Vor und während des Kopenhagen-Klimagipfels geht es rund. Er gibt Interviews, sitzt bei TV-Talkerin Maybrit Illner auf dem Sessel, schreibt über die "sieben größten Gefahren für unseren Planeten" für die Bild-Zeitung, die den Umweltberater der Bundesregierung als "Deutschlands größten Experten" zwischen "Fährtenhund rettet vermissten Rentner" und "Angriffe mit Laserpointern auf Flugzeuge" platziert. Schelln-huber zieht alle Register.
Er scheut sich nicht, populär zu werden, was für Wissenschaftler und ihre Reputation früher zumindest gefährlich war. Das löst bei manchen Kollegen Missgunst aus, den notorischen "Klimaskeptikern" aber treibt es die Zornesröte ins Gesicht, die ihm, zum Beispiel, "scheinwissenschaftliches Katastrophengeschrei" vorwerfen. Schellnhuber steckt das weg. Beruft sich darauf, dass die wissenschaftliche "Beweisaufnahme" zu den Ursachen des Klimawandels den "Störfeuern" zum Trotz praktisch abgeschlossen sei. Dass es nun dringend darum gehen müsse, den Wandel "in beherrschbaren Grenzen zu halten".
Wenn Schellnhuber über die Gefahren redet, die in einer überhitzten - das heißt, um mehr als zwei Grad erwärmten - Treibhaus-Welt drohen, kann es dem Zuhörer in der Tat anders werden. Überflutete Küstenmetropolen, Hurrikane, Klimaflüchtlinge massenhaft, Trinkwasser-Knappheit durch abgeschmolzene Gletscher, auftauende Permafrostböden, die sogar einen "galoppierenden Treibhauseffekt" erzeugen könnten. Der Klima-Professor hat das Konzept der "Kipp-Elemente" des Klimas in die Debatte eingeführt: Veränderungen im "Erdsystem", die unumkehrbar wären und verhindert werden müssen, weil sie dem Planeten ein neues, grausames Gesicht geben würden.
Nicht "Apocalypse Now", aber "Apocalypse Soon", Weltuntergang bald: abschmelzende Grönland-Eismassen, Meeresspiegel auf dem Weg zu sieben Metern plus, ausgetrockneter Amazonas-Regenwald, destabilisierter Monsun. Ist der Schalter einmal umgelegt, sagt Schellnhuber, ist es zu spät. Denn: "Mit der Natur kann man nicht verhandeln."
Ein Eiferer, wie man angesichts solcher Vokabeln vermuten könnte, ist Schellnhuber nicht. Ganz im Gegenteil. Der Mann mit dem schütteren Haar und den leicht zusammengekniffenen Augen trägt seine Erkenntnisse, Mahnungen, Forderungen zwar eloquent, aber nüchtern, fast zurückhaltend vor. Vielleicht hilft es ihm, dass er nicht wie ein geborener Grüner auftritt, der glaubt, die Welt mit Joghurtbecher-Spülen retten zu können. Sein Vorteil ist aber auf jeden Fall: Der hochintelligente gebürtige Passauer, der als 16-Jähriger Kant, Einstein und Marx parallel las, mit 30 seinen Doktor in theoretischer Physik (über Elektronen im Magnetfeld) machte, in Kalifornien das Forschungsfeld nichtlineare Systeme für sich entdeckte und mit 39 Professor in Oldenburg wurde, kann auch einfach. Will sagen: volkstümlich und verständlich.
Er ist Direktor eines Instituts mit mehr als 200 Mitarbeitern, Forscher - und eben Öffentlichkeitsarbeiter. Die Bandbreite ist groß. Er spricht auf Kongressen etwa der National Academy of Sciences der USA, deren Mitglied er ist, und er organisiert Nobelpreisträger-Treffen. Er hält Vorträge vor CSU-Parlamentariern, geht zur SPD. Er lädt Prinz Charles nach Potsdam ein, mit dem er freundschaftlich verbunden ist. Und er besucht die Vorstände von Stromkonzernen. Oder fährt nach Schwäbisch-Hall, um dort in der Bausparkassen-Zentrale vor der Belegschaft zu reden. Da erläutert er griffig den Zusammenhang von Millionen Jahren Klimageschichte, der Elbeflut von 2002 und der nötigen "großen Transformation" der Wirtschaft. Da geht es um die "dritte industrielle Revolution", von der die Bausparberater gerne ein Teil sein könnten, indem sie nämlich ihren Kunden zu Passivhäusern, Solaranlagen und LED-Leuchtmitteln raten.
Der Professor weiß, wie langsam die Politik arbeitet. Er hat 1997 den Kyoto-Gipfel beobachtet, war "Klimaberater" von Kanzlerin Angela Merkel für den G8-Gipfel in Heiligendamm, nun ist er Mitglied in der deutschen Delegation beim Kopenhagen-Gipfel.
Es treibt ihn die Sorge um, dass die Politiker die Fingerzeige wie Hurrikan Katrina, schmelzende Gletscher oder Hitzewellen nicht richtig interpretieren und weiterlavieren wie bisher. Er hofft auf eine Art Nelson Mandela der Klimapolitik: "Die spannende Frage ist, ob es heute Persönlichkeiten gibt, die mit vergleichbarer Entschlossenheit den Klimaschutz auch gegen größere Widerstände durchsetzen." Ende der nächsten Woche, nach Kopenhagen, wird er es wissen.