Lungenarzt warnt: „Armut und Krieg sind Mutter und Vater der Tuberkulose“

Aus der Ukraine Geflüchtete sollten auf Tuberkulose untersucht werden, rät ein Experte.
Frankfurt - Millionen Menschen sind nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine bereits aus dem Land geflohen – viele nach Deutschland. Sie brauchen gesundheitliche Fürsorge. Dazu gehört nach Überzeugung von Lungenarzt Torsten Bauer die Untersuchung auf Tuberkulose, die in der Ukraine viel häufiger auftritt als in Deutschland. Sonst könnten gefährliche Resistenzen entstehen. Auch bestehe die Gefahr von Ansteckungen, etwa in Schulen oder Kindergärten, mahnt Bauer.
Ukraine-Krieg: Lungenarzt im FR-Interview
Professor Bauer, in der Ukraine ist die Tuberkulose weit verbreitet, häufig verursacht durch multi-resistente Keime. Jetzt flüchten viele Menschen vor dem Krieg dort, auch zu uns. Was bedeutet das?
Resistente Tuberkulosen entstehen dadurch, dass Therapien abgebrochen werden. Armut und Krieg sind, wenn man das so sagen will, Vater und Mutter der Tuberkulose. Jetzt besteht in dieser Kriegs- und Fluchtsituation die Gefahr, dass viele Behandlungen nicht fortgeführt werden. Was wir also vor allem tun müssen ist dafür zu sorgen, dass Therapien nicht länger als zwei Monate unterbrochen werden.
Ist es in der aktuellen Lage überhaupt möglich und sichergestellt, dass dies geschieht? Zunächst muss ja einmal die Erkrankung beziehungsweise die begonnene Behandlung festgestellt werden. Es kommen doch sehr viele auf einmal, häufig traumatisiert, verängstigt, mit unvollständigen Unterlagen. Diese Menschen haben vielleicht anderes im Kopf als eine Therapie.
Man kann nicht davon ausgehen, dass die Erkrankung überall festgestellt wird. Es gibt ja auch keine zentrale Erfassung der hier Ankommenden. Diese gibt es nur, sobald das Infektionsschutzgesetz greift. Und das greift nur bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft.
Lungenarzt mahnt, Geflüchtete aus der Ukraine auf Tuberkulose zu untersuchen
Viele Geflüchtete kommen aber bei Bekannten, Verwandten und Freunden unter oder bei Gastfamilien, die sie für eine Zeit aufnehmen wollen.
Das ist richtig. Überall dort, wo Menschen in Privathaushalten und eben nicht in Sammelunterkünften untergekommen sind, müssen sie einmal dem jeweiligen Hausarzt vorgestellt werden. Wir appellieren an die Ärzteschaft, bei den Untersuchungen auch an die Tuberkulose zu denken.
Das geschieht nicht automatisch?
Eine Krankheit gilt als selten, wenn sie weniger als 50 mal bei 100.000 Menschen vorkommt. Die Tuberkulose kommt in Deutschland aber nur bei fünf je 100.000 Menschen vor. Deshalb ist das nicht selbstverständlich im Blick.
Gefährliche Krankheit
4000 Menschen sterben weltweit täglich an der Tuberkulose – so viele wie an keiner anderen bakteriell verursachten Erkrankung. In Deutschland erkranken nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) fünf von 100.000 Menschen an Tuberkulose. Sie zählt damit zu den seltenen Krankheiten. 2021 wurden dem RKI 3896 Neuerkrankungen gemeldet.
In der Ukraine liegt die Zahl laut RKI bei 73 je 100.000 Personen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO meldete für 2019 rund 28.500 Fälle. Etwa jeder neunte Erkrankte starb an der Tuberkulose. Bei rund 27 Prozent waren multi-resistente Keime der Auslöser.
Übertragen wird Tuberkulose meist per Tröpfcheninfektion über die Lungen, selten ist auch eine Ansteckung über den Verdauungstrakt oder Verletzungen der Haut möglich.
Symptome der Erkrankung können Nachtschweiß, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Schwäche, Fieber, später auch anhaltender oder blutiger Husten sein.
Behandelt wird die Tuberkulose mit Antibiotika, meist mit einer Kombination mehrerer Mittel. Die Diagnose erfolgt mittels Blutuntersuchung oder Röntgen der Luft. Sie ist eine meldepflichtige Krankheit.
Einen ausführlichen Ratgeber zum Umgang mit Tuberkulose gibt auf den Seiten des Robert Koch-Instituts unter www.rki.de. pam/pgh
Tuberkulose ist deutlich weniger ansteckend als beispielsweise Omikron
Wird denn in den Gemeinschaftsunterkünften systematisch auf Tuberkulose untersucht?
Der Anspruch ist der, dass alle Menschen, die in solchen Unterkünften ankommen, auf ansteckende Krankheiten untersucht werden. Ob der aktuell immer eingelöst werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Wir haben 2015/2016 gut geübt. Wahrscheinlich ist es aber so, dass es in der jetzigen Situation aus Kapazitätsgründen nicht immer sofort geschehen kann.
Ein anderer Anspruch ist, dass die Kinder und Jugendlichen schnell in eine Kindertagesstätte gehen oder die Schule besuchen können. Wie groß ist da die Ansteckungsgefahr?
Tuberkulose ist deutlich weniger ansteckend als beispielsweise Omikron. Ein Risiko für eine Ansteckung besteht, wenn jemand mit einer ansteckenden Person vier bis acht Stunden ohne Maske in einem geschlossenen Raum verbringt.
Das ist in Kitas oder Schulen der Fall.

Bei Kindern und Jugendlichen sind die Zahlen der Infizierten auch in der Ukraine nicht so hoch, es werden vielleicht einige wenige hundert sein, die der Behandlung bedürfen. Natürlich gibt es ein Risiko der Ansteckung, aber man kann dieses durch regelmäßiges Lüften, wie wir es ja auch eingeübt haben, deutlich mindern. Wir halten deshalb das Risiko einer Ansteckung für gering, es gibt sicher keinen Grund zur Panik. Wir empfehlen dennoch, die Kinder und Jugendlichen vor dem Besuch von Kita und Schule auf Anzeichen einer Tuberkulose wie etwa hartnäckiges Husten oder auch Gedeihstörungen hin zu untersuchen.
Andere ansteckende Krankheiten sind etwa Polio, also die Kinderlähmung, Masern oder eben Covid-19. Auch da ist der Impfschutz in der Ukraine nicht sehr hoch.
Deshalb ist es ja auch so wichtig, dass die Impfungen komplettiert werden, bevor die Kinder und Jugendlichen in eine Kindertagesstätte oder in die Schulen kommen. Das sollte man schon beherzigen. Die Menschen, die Geflüchtete aufgenommen haben, sollten mit diesen zu ihrem Hausarzt gehen. Und diese sollten unter anderem auch auf Tuberkulose achten. So wäre das perfekt.
Interview: Peter Hanack