Der sogenannte Warburg-Effekt besagt, dass Tumorzellen besonders gerne Zuckermoleküle verstoffwechseln. Das ist bei fast allen Zellen so, denn auf diese Weise können sie wunderbar Energie gewinnen. Tumorzellen sind dabei sehr ineffektiv, sie brauchen relativ viel Zucker, um eine gewisse Energiemenge zu generieren. Daher rührt die Idee, dass man Krebszellen aushungern kann, wenn man ihnen den Zucker wegnimmt. Das funktioniert aber nicht. Denn auch über gesunde Kohlenhydrate nehmen Zellen Glukose auf. Und selbst wenn die Tumorzellen überhaupt keinen Zucker mehr bekommen, können sie Fettsäuren, Aminosäuren und sogar die Ketonkörper, die bei dieser Kost gebildet werden, genauso gut nutzen, um Energie zu gewinnen.
Der postulierte Effekt verpufft also.
Genauso ist es.
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Auch Fasten, vor allem Intervallfasten, wird häufig eine positive Wirkung bei Krebs zugeschrieben. Ebenfalls zu Unrecht?
Fasten ist eine alte Heilsgeschichte, auch hier steht der Gedanke dahinter, Krebszellen aushungern zu können – den ich für einen Fehlgedanken halte. Für Krebspatienten ist das Intervallfasten, also der Verzicht auf Nahrung während festgelegter Zeiten, nicht verboten. Aber sie müssen sehr darauf achten, dass sie auf eine ausreichende Nährstoffmenge kommen. Ihnen wird im Allgemeinen eher empfohlen, mehrere kleine Mahlzeiten am Tag zu essen, denn die meisten schaffen keine großen Portionen und vertragen viele Nahrungsmittel auch nicht so gut. Intervallfasten kann da ganz schnell gefährlich werden, weil es zur Gewichtsabnahme führen kann.
Sie sagen eher: Finger weg...
Ganz eindeutig.
Es gibt auch die These, dass Intervallfasten die Verträglichkeit der Chemotherapie verbessern kann.
Der beste Weg, um Nebenwirkungen zu vermeiden, besteht nicht im Fasten, sondern darin, mit dem Arzt über die Nebenwirkungen zu reden und wirksame Medikamente dagegen zu geben.
Können Nahrungsergänzungsmittel etwas bringen? Der Markt ist ja riesig.
Über eine ausgewogene Ernährung bekommen auch Krebspatienten fast alle nötigen Mikronährstoffe, also Vitamine, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe. Es gibt allerdings zwei Ausnahmen: Vitamin D und Selen. Vitamin D kann nur in Vorstufen über die Ernährung aufgenommen werden, es muss in der Haut aktiviert werden. Dafür ist Sonnenlicht nötig. Für Krebspatienten ist es allerdings noch wichtiger als für andere Menschen, sich vor UV-Strahlung zu schützen, denn ihre Haut ist durch die Therapien meist empfindlicher. Deshalb müssen sie in besonderem Maße mit Vitamin-D-Mangel rechnen. Es gibt Hinweise aus vielen großen Untersuchungen, dass ein guter Vitamin-D-Spiegel sich positiv auf den Behandlungserfolg auswirken kann Deshalb ist es sinnvoll, ihn im Blut bestimmen zu lassen. Man muss aber einräumen, dass es auch sein könnte, dass der Vitamin-D-Spiegel selbst nicht den Behandlungserfolg beeinflusst, sondern nur ein Marker für Aktivität im Freien ist – und eigentlich die Bewegung für den positiven Effekt sorgt. In den USA laufen dazu derzeit Studien. Außerdem gibt es noch einen weiteren Aspekt, der die Bewertung der wissenschaftlichen Ergebnisse schwierig macht: Vitamin D wird über Rezeptoren aufgenommen, die bei Menschen unterschiedlich aktiv zu sein scheinen. Möglicherweise gibt es nicht den einen gültigen Richtwert. Darüber weiß man bis heute noch nicht sehr viel.
Und welche Wirkung hat Selen?
Selen ist ein Spurenelement, das in Enzyme eingebaut wird, die für den Abbau von Giftstoffen wichtig sind. Diese Eigenschaft könnte dafür sorgen, dass Selen sowohl bei der Krebsprävention als auch in der –therapie einen positiven Effekt haben könnte.
Zur Zeit wird auch die Wirkung von hochdosiertem Vitamin C auf Tumore untersucht. Wie ist da der Stand der Forschung?
Die Wirkung ist noch nicht ganz klar. Grundsätzlich ist es eine spannende Idee: In Zellexperimenten hat man beobachtet, dass Tumorzellen absterben, wenn man hochdosiertes Vitamin C in ein Reagenzglas kippt, gesunde Zellen jedoch überleben. Wir wissen aber noch nicht, ob das auch im menschlichen Körper funktioniert.
Um welche Menge an Vitamin C geht es bei diesen Versuchen?
Hochdosiertes Vitamin C entspricht nicht der Menge, die in Deutschland als hochdosiert bezeichnet wird. Es steht heute fest, dass es bis zu 1,5 Gramm pro Kilo Körpergewicht keinen positiven Effekt gibt. In Deutschland ist nur ein Produkt erhältlich, das 7,5 Gramm Vitamin C erhält. Das würde bedeuten, dass man einem Leichtgewicht von 50 Kilogramm bereits zehn Fläschchen davon infundieren müsste, um auf eine Tagesdosis von 75 Gramm zukommen, die immer noch nicht ausreichen würde. Die Amerikaner testen gerade höhere Dosierungen. Dabei darf man jedoch auch nicht außer Acht lassen, dass Vitamin C Ascorbinsäure ist und bei solchen Mengen die Gefahr einer Nierenschädigung besteht. Die in Deutschland erhältlichen Mengen wirken dagegen als Antioxidans – und das ist sogar kontraproduktiv, wenn es während einer Chemo- oder anderen Krebstherapie gegeben wird. Denn Antioxidantien schützen Tumorzellen.
Das heißt, man sollte während einer Krebstherapie grundsätzlich auf Antioxidantien verzichten?
Über die Ernährung scheint sich der Körper so viel Antioxidantien zu holen, wie er braucht. Aber zusätzliche Präparate bewirken bei Krebs eher das Gegenteil. Eine aktuelle Studie hat langfristig schlechteres Überleben bei jenen Brustkrebspatientinnen ergeben, die während der Strahlentherapie Antioxidantien eingenommen haben. Solche Präparate sollte man während einer Krebstherapie auf keinen Fall nehmen, auch wenn sie einem in der Apotheke empfohlen werden.
Krebs hat etwas damit zu tun, dass die entarteten Zellen vom Körper nicht erkannt werden. Man könnte daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass es gut ist, das Immunsystem zu pushen ...
Präparate wie Umckaloabo und Echinacin oder die Misteltherapie aktivieren zwar Immunzellen, aber diese richten sich nicht gegen Tumore. Nur die neuen Immuntherapien können auf diese hochkomplexen Vorgänge zielen.
Hat man als Krebspatient überhaupt eine Möglichkeit, Krankheitsverlauf und Heilungschancen positiv zu beeinflussen?
Ja, das geht. Das Geheimnis ist ganz schlicht und besteht in einer Kombination aus ausgewogener Ernährung und Bewegung.
Was genau verstehen Sie unter ausgewogener Ernährung?
Hier gilt die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: hauptsächlich Kohlenhydrate, natürlich nicht permanent Schokolade, sondern Vollkornprodukte, Gemüse, Obst, dazu gesunde Eiweiße. Wozu durchaus auch tierische Eiweiße zählen. Gerade Krebspatienten brauchen sie für den Muskelaufbau. Bei Fetten sind pflanzliche Fette besser.
Was Fleisch angeht, sind viele Menschen gerade im Hinblick auf Krebs verunsichert. Die Weltgesundheitsorganisation stufte Fleisch- und Wurstprodukte als potenziell krebserregend ein.
Ich rede von einem vernünftigen Fleischkonsum, von Geflügel, Rindfleisch. Es gibt keine Studie, die belegt, dass rotes Fleisch an sich schädlich ist. Nicht gut sind Wurstprodukte mit hohem Fettgehalt und Nitritpökelsalz – oder wenn etwas beim Grillen anbrennt. Das gilt allerdings nicht nur für die Bratwurst, sondern auch für Paprika.
Kann man über die beschriebene Ernährung auch das Risiko einer Krebserkrankung senken?
Ja, aber es ist umstritten, wie ausgeprägt der Effekt ist. Einige Studien gehen von 20 bis 30 Prozent Risikosenkung aus, andere von zwei bis drei Prozent. Ich glaube, die entscheidende Botschaft ist ein gesunder Lebensstil. Dazu gehört auch Bewegung sowie das Einschränken des Alkoholkonsums und der Verzicht auf das Rauchen.
Was halten Sie von vermeintlichen Superlebensmitteln, die Krebs vorbeugen sollen?
Auch die Wissenschaft unterliegt Moden. Exotik zieht dabei immer mehr und lässt sich besser vermarkten. Sekundäre Pflanzenstoffe hemmen Krebs, aber sie sind untereinander austauschbar und zum Beispiel in der deutschen Petersilie genauso enthalten wie in einem afrikanischen Kraut.
Interview: Pamela Dörhöfer
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