Ketogene Diät bei Krebs: Es gibt keinen Grund, davor zu warnen

Die Ketogene Diät soll die gesunden Körperanteile unterstützen, die kranken Zellen nicht. Es gibt keine Gründe, Krebspatienten davor zu warnen. Ein Gastbeitrag.
In einem Interview in der Frankfurter Rundschau vom 24. Juli zum Thema „Krebs und Ernährung“ bezeichnet die Onkologin Jutta Hübner von die Ketogene Diät bei Krebs als „schädlich“. Da ich seit vielen Jahren im Labor und mit klinischen Studien dazu forsche, möchte ich die wissenschaftlichen Kenntnisse zu dieser Ernährungsform kurz darstellen.
Die Ketogene Diät ist eine sehr fettreiche, streng kohlenhydratarme, eiweißbilanzierte Ernährung. Sie wird klinisch unter anderem bei Epilepsie schon seit 100 Jahren erfolgreich eingesetzt. Die Ketogene Diät führt dazu, dass der Energiestoffwechsel der Zellen auf die überwiegende Nutzung von Fettsäuren anstelle von Glukose umgestellt wird. Zur optimalen Versorgung des Gehirns wandelt die Leber einen Teil der Fette in leichter „hirngängige“ Ketone um. Sind Ketone in Blut oder Urin nachweisbar, befindet man sich in Ketose.
Körper nimmt bei Ketogener Diät immer ausreichend Energie auf
Die zur Ketonbildung nötigen Fettsäuren können aus körpereigenen Fettpolstern stammen (das geschieht zum Beispiel beim Fasten) oder aus der Nahrung. Anders als beim Fasten nimmt man bei einer korrekt durchgeführten Ketogenen Diät immer ausreichend Energie auf. So tritt kein ungewollter Gewichtsverlust ein. Bei einer Ketogenen Diät sinken Blutzucker- und Insulinspiegel, was erwünscht ist, und bleiben dabei im Normbereich. Nach einer Umstellungsphase, die zu leichten Befindlichkeitsstörungen (Müdigkeit, Kopfschmerzen) führen kann (nicht muss), fühlen sich viele Patienten fitter und weniger müde.
Ulrike Kämmerer ist Professorin an der Universitäts- Frauenklinik Würzburg. Ihre Schwerpunkte sind Reproduktionsimmunologie und Tumormetabolismus.
Mit Blick auf Krebs gilt es, den ganzen Menschen zu sehen – nicht nur den Tumor! Aktive Krebserkrankungen verändern den Stoffwechsel: Entzündungen und Botenstoffe des Tumors bewirken, dass gesunde Zellen (im Gegensatz zu den Krebszellen) Glukose nicht mehr gut aufnehmen können. Auch werden Muskeln abgebaut. Betroffene spüren es deutlich am Energiemangel. Körperzellen können jedoch weiterhin sehr gut Energie aus Fett und Ketonen gewinnen, sofern davon genug zur Verfügung steht. Der hohe Fettanteil in einer Ketogenen Diät versorgt also Muskeln und Organe, die Ketone das Gehirn mit Energie. So kann eine Ketogene Diät zur Verbesserung der Energieversorgung der Patienten beitragen und helfen, wertvolle Muskelmasse zu erhalten.
Ketogene Diät: Fett ist nicht per se gefährlich
Fett ist nicht per se gefährlich! Es gibt in der wissenschaftlichen Fachliteratur keine Evidenz dafür, dass von Natur aus fettreiche Lebensmittel oder ein hoher Anteil natürlicher Fette im Essen per se das Herz-Kreislaufsystem gefährdet; dies gilt auch für die oft „gescholtenen“ gesättigten bzw. tierischen Fette. Unter einer Ketogenen Diät verbessern sich sogar auf lange Zeit diverse Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zum Beispiel hohe Blutfette, schlechte Cholesterinwerte und hoher Blutdruck.
Risiko Nährstoffmangel? Ausreichend Ballaststoffe für die Darmgesundheit liefern kohlenhydratarme Gemüse und Blattsalate, Beerenobst, Samen und Nüsse, die in jeder korrekten ketogenen Mahlzeit vorkommen. So kommen auch ausreichend Vitamine und Mineralstoffe ins ketogene Essen. Und natürlich muss bei Krebspatienten eine gute Eiweißversorgung sichergestellt sein, was über tierische und pflanzliche Quellen möglich ist. Eine gut zusammengestellte Ketogene Diät ist schmackhaft und abwechslungsreich. Sie kann problemlos über Jahre beibehalten werden, wie Langzeitstudien an Gesunden und Menschen mit Epilepsie ergaben. Langzeitstudien an Krebspatienten stehen noch aus.
Macht die Ketogene Diät Tumorzellen gefährlicher?
Kann die Ketogene Diät Tumorzellen gefährlicher machen? Krebszellen passen sich durch Mutationen ständig an ihre Umgebung an, können so resistent gegenüber den Standardtherapien werden. Bisher gibt es keine belastbaren Daten dazu, ob Ketone die Mutationsfähigkeit von Tumorzellen beeinflussen. In Zellkulturen und Tiermodellen zeigte sich, dass viele Tumorzellen in Anwesenheit von Ketonen entweder unverändert oder deutlich sensibler auf medizinische Therapien reagieren. Einige Krebszellarten können auch Fette und Ketone zur Energiegewinnung verwerten; für Zellteilung und Wachstum benötigen sie aber zwingend Glukose.
Mögliche Vorteile einer Ketogenen Diät bei Krebs: Kein seriöser Forscher würde im Zusammenhang mit Ketogener Diät von Krebsheilung oder vom „Aushungern“ sprechen. Für ersteres gibt es keine Belege und letzteres ist nicht möglich. Es entfallen bei einer Ketogenen Diät hohe Blutzuckerspitzen, wie sie nach kohlehydratreichen Speisen und zuckerhaltigen Getränken auftreten; der Blutzucker bleibt aber niedrig stabil. So steht also weniger (aber nicht null) Glukose als Treibstoff für das Krebswachstum zur Verfügung als durch eine „ausgewogene Ernährung“ mit „hauptsächlich Kohlehydraten“.
Ketogene Ernährung: Wie wirkungsvoll ist die Diät und wie gefährlich kann sie werden?
Ketogene Diät soll die gesunden Körperanteile unterstützen
Die Ketogene Diät soll folglich vor allem die gesunden Körperanteile bestmöglich unterstützen und die kranken Zellen nicht. Darüber hinaus hofft man auf pharmakologische Effekte der Ketone, die stark antientzündlich und hemmend in Zellteilungsvorgänge eingreifen, ähnlich wie moderne „targeted therapies“.
Fazit: Aus wissenschaftlicher Sicht sind noch viele Fragen offen. Es gibt aber keine Gründe, vor einer wohl formulierten Ketogenen Diät zu warnen – denn „schaden“ tut sie nicht. Und: Es gibt keinerlei Evidenz für einen Nutzen einer Ernährung aus „hauptsächlich Kohlenhydraten“ wie im Interview empfohlen. Patienten, die eine Ketogene Diät ausprobieren möchten, sollten sachlich darüber informiert, und von erfahrenen Fachkräften begleitet werden, um Diätfehler zu vermeiden und eventuellen Nebenwirkungen gegenzusteuern.
Eine Liste mit Links zu Studien und weiterführender Literatur zum Thema Ketogene Diät kann per E-Mail mit dem Stichwort „Ketogene Diät“ bei der Redaktion unter online(at)fr(punkt)de angefordert werden.
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