1. Startseite
  2. Wissen

Insekt des Jahres 2022: ein „Lebendes Fossil“, so alt wie die Dinosaurier

Erstellt:

Von: Pamela Dörhöfer

Kommentare

Aus ihrer Perspektive hat sie einen erhöhten Blick in die Welt: die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege.
Aus ihrer Perspektive hat sie einen erhöhten Blick in die Welt: die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege. © Harald Bruckner

Die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege hat schon zu Zeiten der Dinosaurier gelebt. Jetzt ist sie das „Insekt des Jahres 2022“.

Frankfurt am Main - Ihre Vorfahren haben noch die Dinosaurier erlebt und waren Zeuginnen großer Umwälzungen auf unserem Planeten – wo sich die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege seit hundert Millionen Jahren unverdrossen gehalten und dabei optisch nicht verändert hat. So viel Zähigkeit wird nun belohnt mit dem Titel „Insekt des Jahres 2022“, zu dem Venustoraphidia nigricollis – so der wissenschaftliche Name – gekürt wurde.

Thomas Schmitt vom Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg gab die Entscheidung des Kuratoriums, dem Insektenkundlerinnen und Insektenkundler verschiedener Fachgesellschaften und wissenschaftlicher Einrichtungen angehören, gestern bekannt. Die Schirmherrschaft für das „Insekt des Jahres 2022“ hat die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler.

Kamelhalsfliegen: Das Insekt des Jahres 2022 hat optisch einiges zu bieten

Kamelhalsfliegen sind nicht so unmittelbar gefährdet wie etwa etliche Schmetterlingsarten. Und doch dürften vermutlich viele Menschen noch nie ein Exemplar bewusst wahrgenommen haben – obwohl die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege optisch einiges zu bieten hat und ihr Aussehen fast schon als skurril durchgehen kann. Auffällig an den etwa sechs bis 15 Millimeter kleinen Tierchen sind vor allem ihr langer, schräg nach vorne gereckter, dunkler Hals und ihre verhältnismäßig großen glasklaren, locker geäderten Flügel.

Insekt des Jahres 2021

Die Dänische Eintagsfliege – die übrigens länger als einen Tag lebt – wurde 2021 zum „Insekt des Jahres“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz gekürt. Auch sie hat die Dinosaurier überlebt.

Die 1891 entdeckten Kamelhalsfliegen sind die artenärmste Ordnung in der Klasse der Insekten, erklärt Kuratoriumsvorsitzender Thomas Schmitt, weltweit seien nur etwa 250 Arten bekannt. „In Mitteleuropa sind es bislang 16 beschriebene Arten – eine davon ist unser Insekt des Jahres 2022.“

Insekt des Jahres 2022: Kamelhalsfliege war zu Zeiten der Dinosaurier über die ganze Erde verteilt

Zu Lebzeiten der Dinosaurier war die Kamelhalsfliege noch deutlich vielfältiger. Aus den reichlich vorhandenen fossilen Funden aus dieser Zeit lasse sich ableiten, dass damals weit mehr Arten dieses Insekts als heute die gesamten Erde bevölkerten, sagt Thomas Schmitt. Aber das große Massensterben am Ende der Kreidezeit machte auch vor den Kamelhalsfliegen nicht halt. Damals, vor etwa 66 Millionen Jahren, verschwanden rund Dreiviertel der Tierarten von der Erde; als wahrscheinliche Ursache wird der große Asteroideneinschlag vor der Halbinsel Yucatán im heutigen Mexiko vermutet.

Danach kühlte sich das Klima ab – für jene Arten der Kamelhalsfliegen, die in zuvor warmen Gebieten heimisch und an die dort herrschenden Bedingungen angepasst waren, bedeutete das den Exitus. Waren die Kamelhalsfliegen einst weltweit verbreitet, überlebten nach dem Temperatursturz nur jene Arten, die gut an Kälte adaptiert waren, erklärt Thomas Schmitt. „Deshalb finden wir Kamelhalsfliegen nur noch auf der Nordhalbkugel“. In Europa kommen sie etwa in einem Bereich zwischen Norddeutschland und dem südlichen Italien vor, am Rande der Tropen nur in den Gebirgen.

Kamelhalsfliegen: Massenauftreten des Insekts des Jahres 2022 in Oberösterreich

Normalerweise sind alle Kamelhalsfliegen eher einzelgängerisch unterwegs. Eine Ausnahme gibt es allerdings in Oberösterreich. Rund um einen alten Bauernhof im Mühlenviertel von Pelmberg hat sich in 800 Metern Höhe eine aus dem Mittelmeerraum eingewanderte Population niedergelassen; ein weltweit einzigartiges Massenauftreten dieser schlanken Insekten, wie Thomas Schmitt sagt. Jedes Jahr seien dort während der Paarungszeit von Mai bis Juli geschlechtsreife Tiere in großer Anzahl zu beobachten.

Die Insekten der vergangenen Jahre (Deutschland, Österreich, Schweiz)

NameJahr
Gemeine Blutzikade2009
Ameisenlöwe2010
Große Kerbameise2011
Hirschkäfer2012
Gebänderte Flussköcherfliege2013
Goldschildfliege2014
Silbergrüner Bläuling2015
Dunkelbrauner Kugelspringer2016
Europäische Gottesanbeterin2017
Gemeine Skorpionsfliege2018
Rote Mauerbiene2019
Schwarzblauer Ölkäfer2020
Dänische Eintagsfliege2021

Grundsätzlich lieben Kamelhalsfliegen „strukturreiche Landschaften“, also weder sehr dichte Wälder noch große Freiflächen, sondern Gebiete mit Wiesen, Gebüschen und Bäumen, auch am Rande von Wäldern – Gegenden, wo auch andere Insekten anzutreffen sind. Dort finden sie auch genug kleinere Insekten, etwa Blatt- und Schildläuse, von denen sie sich ernähren.

Insekt des Jahres: Kamelhalsfliegen sind keine Flugkünstler

Kamelhalsfliegen sind tagaktive Landbewohnerinnen, gerne halten sie sich in Baumkronen auf (deshalb sieht man sie auch relativ selten). „Trotz ihrer gut entwickelten Flügel sind die Tiere aber keine guten Flieger, sondern bewegen sich eher schwirrend, hüpfend oder flatternd und nie über große Strecken“, erzählt Schmitt; sie seien deshalb „standorttreu“.

Eine Besonderheit der Kamelshalsfliegen ist es auch, dass sie sich im Larvenstadium neun- bis 15mal häuten, erklärt Thomas Schmitt; das ist mehr als bei den meisten anderen Insekten. Zum Vergleich: Schmetterlinge häuten sich etwa fünf- bis sechsmal. Die Larven leben am Boden oder in Baumrinden. Ihre Eier legen Kamelhalsfliegen nicht einzeln, sondern in Paketen ab – und das in großen Mengen jeweils hunderten bis tausenden und an vielen Orten, wie Thomas Schmitt sagt. Mit dieser Streuung gelingt es den Insekten, ihre „Population zu halten“. (Pamela Dörhöfer)

Auch interessant

Kommentare