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Was Forschers Oma mit Physik zu tun hat

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Die Trophäe des "Science Slam", das goldene Gehirn.
Die Trophäe des "Science Slam", das goldene Gehirn. © dapd

Zehn Minuten pro Wissenschaftsvortrag, und am Ende entscheidet das Publikum, wer am besten war: Beim Science Slam wird Komplexes sexy - bald auch wieder in Frankfurt.

Von Jeannette Goddar

Zehn Minuten pro Wissenschaftsvortrag, und am Ende entscheidet das Publikum, wer am besten war: Beim Science Slam wird Komplexes sexy - bald auch wieder in Frankfurt.

Der Club gleich neben dem Kotti ist für alles Mögliche bekannt: für Auftritte von Bands und DJs und fürs Public Viewing bei Fußball-Weltmeisterschaften. Auch türkische Hochzeiten wurden in dem Raum über Jahre gefeiert. Dass sich rund 150 Anhänger von Forschungslyrik ans Kottbusser Tor bemühen, ist neu. Sie sind gekommen, um auf der Bühne Ingenieure und Naturwissenschaftler zu erleben, die in Universitäten, Max-Planck- oder Fraunhofer- Instituten arbeiten.

Je zehn Minuten werden sie über Dinge reden, von denen man lange dachte, sie seien in Hörsälen und zwischen Buchdeckeln ganz gut aufgehoben: über „Systemanalyse tiefengeothermischer Energieerzeugung“ oder „Energie aus der Zelle – und was passiert, wenn sie ausbleibt“ zum Beispiel. Am Ende bewertet das Publikum jeden Beitrag.

Wie, gibt ihnen Moderator Roland Cremer zu Beginn des Abends vor: Zufällig zusammen sitzende Gruppen vergeben pro Teilnehmer ein bis sechs Punkte. Einer bedeutet: „Ich habe nichts verstanden und weiß nicht, was dieser Mensch von mir wollte.“ Sechs hingegen: „Wow, bin ich jetzt schlau! Und gut unterhalten wurde ich auch noch.“ Am Ende gewinnt der mit der höchsten Punktzahl – am heutigen Abend ist das nicht nur eine Ehre, sondern ein richtiger Preis: Ein Plastikhirn unter Glas.

Herzlich Willkommen zum letzten „Science Slam“ des Jahres in Berlin – und einem der am besten besetzten. Auf dem Programm steht das bundesweite Finale des „Energy Slam“; angetreten sind neun Wissenschaftler, die sich das Jahr über in verschiedenen Ländern als Beste durchgesetzt haben. Ausgerufen hat den Slam unter dem Motto „Die Zukunft der Energie“ das Büro der Wissenschaftsjahre.

Energie verschwendet man nicht

Der Gewinner des Abends steht beinahe schon vorher fest: Martin Buchholz ist einer der Shooting Stars unter den Wissenschafts-Slammern. Tagsüber arbeitet er am „Institut für Thermodynamik“ in Braunschweig. Abends hat er schon mehrere Slams bundesweit mit seinen Zehnminütern gewonnen. Sein Thema – mit dem er vor nur einer Woche mehr als 100 Experten der Wissenschaftskommunikation in Mannheim begeistert hatte: Wie verschwendet man etwas, das nicht weniger werden kann – Energie?

Was nämlich für Martin Buchholz’ Oma selbstverständlich ist – „Junge, mach’ das Licht aus und verschwende keine Energie!“ – ist es für den Naturwissenschaftler keineswegs. Der 34-Jährige beginnt mit einer Anekdote über einen Physiker, der auf einer Party bei einem Bier versichert: „Wenn das nicht mehr in der Flasche ist, ist es in mir! Aber weniger ist es nicht!“ So sei das auch mit der Energie: Sie könne von einem Körper zum anderen übergehen und auch umgewandelt werden. Aber Energie bleibe eben Energie. Wie also, fragt Buchholz, „kommt es nun zu der Diskrepanz? Zwischen der Oma und der Physik?“

Es ist ein glanzvoller Auftritt. Schön, wie in der Sendung mit der Maus, erklärt er die verschiedenen Formen von Energie, wirft Stifte zu Boden und plaudert über Moleküle dis sich in eine Richtung bewegen und „auch als Wind bekannt sind“.

Dann sollen die Zuschauer auf einen Zettel schreiben, was ihnen ein Glas Wasser wert sei. Das Ergebnis verblüfft: Mal sind es null, mal 35 Euro. Warum? Mal wurde gefragt, „Was ist ihnen im schottischen Hochland, wenn sie knietief im Wasser stehen, ein Glas Wasser wert?“; und mal: Was, „wenn sie in der Wüste vor dem Verdursten sind?“ Sehen Sie, ruft er aus, „so ist das bei der Energie – es kommt immer auf die Umgebung an“.

Ein Beispiel? „In der Kälte nützt Ihnen ein heißer Körper etwas – in der Hitze gar nichts.“ Die Lektion des Abends: Es gibt nutzbare und nicht nutzbare Energie. Die nicht nutzbare heißt Anergie, die nutzbare Exergie. Und während die Energie insgesamt immer gleich bleibt, wird die Exergie durchaus weniger – und kann somit auch verschwendet werden.

Es kann nicht wirklich überraschen, dass Martin Buchholz an diesem Abend gewinnt – auch deshalb nicht, weil er, wie er selbst zugibt, kein Forschungsthema präsentiert hat. Den Vorwurf hat er sich zwar schon einmal zu Herzen genommen und einen Slam über sein eigentliches Thema präsentiert: „Ein inverses Verfahren zur Bestimmung lokaler Wärmeübergangskoeffizienten an einem Lamellen-Rohrbündel-Überträger mittels Infrarot-Thermographie.“ Erfolg wollte sich da nicht so recht einstellen. Auch beim „Energy Slam“ scheitern vor allem jene mit besonders komplexen Themen – selbst wenn sie sich mit sexy Titeln wie „Strings auf haarigen Donuts“ ankündigen.

Fest steht: 2010 hat der Science Slam einen ungeahnten Boom erlebt. Allein in Berlin wurden außer dem Festsaal Kreuzberg zwei weitere Szene-Locations bespielt: das Lido und das Edelweiß; jeweils vor mehreren hundert Leuten. Zu verdanken ist das Konzept übrigens dem „Verständlichkeitsforscher“ Alexander Deppert, der 2006 in Darmstadt den ersten Science Slam veranstaltete.

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