Ein Dildo aus der Steinzeit

Wer denkt, Dildos seien eine Erfindung der Neuzeit - weit gefehlt: Die künstlichen Glieder gibt es schon in der Steinzeit vor 28.000 Jahren. Auch in der griechischen Antike sind sie weitverbreitet - im Mittelalter dagegen steht ihr Gebrauch unter Strafe.
Von Alice Ahlers
Wer denkt, Dildos seien eine Erfindung der Neuzeit - weit gefehlt: Die künstlichen Glieder gibt es schon in der Steinzeit vor 28.000 Jahren. Auch in der griechischen Antike sind sie weitverbreitet - im Mittelalter dagegen steht ihr Gebrauch unter Strafe.
Athens Frauen sind frustriert. Immer wieder bleibt das Bett neben ihnen leer. Ständig müssen die Männer in den Krieg ziehen, der jetzt schon zwanzig Jahre währt. Die Frauen beschließen, zu ihren eigenen Waffen zu greifen. Sie versammeln sich auf der Akropolis und rufen einen Sex-Streik aus: Solange der Kriegszustand anhält, wollen sie sich jedem Mann verweigern. Liebesentzug, bis endlich wieder Frieden herrscht.
Die Komödie „Lysistrata“ des antiken Dichters Aristophanes aus dem Jahr 411 vor Christus ist nicht nur eine der frühesten „Make love, not war“-Geschichten aus der Zeit der Peloponnesischen Kriege, in ihr findet sich auch die erste bekannte Erwähnung eines Sexartikels, den man heute Dildo nennt. Denn nicht nur die Männer sind weg, auch ein möglicher Ersatz wird aus der Stadt Milet nicht mehr geliefert.
Dildo als Frauen-Trost in Kriegszeiten
„Seit die Milensier unsere Feinde sind, habe ich nicht einen einzigen acht-zölligen Dildo zu Gesicht bekommen, der uns Frauen ein ledernder Trost sein könnte“, empört sich die Hauptfigur Lysistrata. In der griechischen Hafenstadt Milet, die sich damals von den Athenern losgesagt hatte, sollen die sogenannten Olisboi (von griechisch „gleiten“) hergestellt worden sein.
In der antiken Kunst kann man sie heute noch auf Trinkgefäßen sehen. Nackte Frauen, die meist nur Kopfschmuck und Ohrringe tragen, halten in einer oder in beiden Händen längliche Gegenstände, die eindeutig an männliche Geschlechtsorgane erinnern. Da die Frauen unbekleidet sind, kann es sich nur um damalige Prostituierte – sogenannte Hetären – handeln. Nur sie wurden nackt dargestellt.
„Man kaufte die Frauen zur Animation bei Trinkgelagen ein“, sagt die Bonner Archäologin Angelika Dierichs, die zur Erotik in der Kunst Griechenlands geforscht hat. „Bei lasziven Tänzen schwenkten sie die Olisboi zur sexuellen Stimulation.“ Nur gut gestellte Männer nahmen an den Rauschfesten zu Ehren des Gottes Dionysos teil. Zunächst gab es ein Abendessen, dann schmückten die Männer ihr Haar mit Blattkränzen und Bändern und ließen sich nackt oder in ein spärliches Gewand gehüllt auf Polstern und Liegebetten nieder. Beim sogenannten Symposion brachten sie Dionysos ein Trankopfer dar – es floss jede Menge Wein mit Wasser – denn Wein war damals nur verdünnt genießbar. Zu oboen-ähnlichen Flötenklängen traten neben Gauklern auch Hetären auf, die mit akrobatischen Verrenkungen und Tänzen eine Art antike Sex-Show boten.
Überlange künstliche Glieder
Die künstlichen Glieder, die sie dabei schwenkten, sind auf den erhaltenen Trinkgefäßen übergroß dargestellt. „Sie sind so lang wie ein Unterarm“, sagt Angelika Dierichs. Damit stünden sie weder im realistischen Proportionsverhältnis zu den Körpermaßen der Benutzerin, noch zu der Länge eines Gliedes im erigierten Zustand. „Diese Übertreibung erklärt sich aus der Überbewertung des männlichen Genitals im antiken Griechenland.“
Anlässlich von Festlichkeiten betrieben die Menschen einen regelrechten Phallus-Kult. Bei Prozessionen für den Fruchtbarkeitsgott Dionysos trugen sie neben Wein, Reben und Opfertieren gewaltige Phalli aus Baumstämmen. Zum Haloa-Fest zu Ehren der Göttinnen Demeter und Kore stellten sie Glieder aus Ton auf. Außerdem war es üblich, männliche Genitalien aus Teig zu backen und auf den Tisch zu legen. Es gab Trinkgefäße und Salbölbehälter in Phallus-Gestalt. An Haus- und Befestigungsmauern fand man Reliefbilder, die Übel abwehren sollten.
Ob die normale Frau den Olisbos tatsächlich zur Selbstbefriedigung benutzte, lässt sich aus den Abbildungen nicht ablesen. „Bei der Zurückgezogenheit, die einer ehrbaren, verheirateten Frau damals auferlegt wurde, ist es ganz unvorstellbar, dass sie mit einem solchen Ding gezeigt wurde“, sagt Angelika Dierichs.
"Die Männer kriegen ihn nicht so steif und dick"
In der Literatur gibt es eindeutigere Hinweise. Der Dichter Heronda von der Insel Kos beschreibt 250 vor Christus in seinen Mimiamben ein vertrauliches Gespräch zwischen zwei Frauen. Die eine, Metro, will wissen, wo ihre Freundin Korrito ihren scharlachroten Dildo her hat. Korrito berichtet von einem Schuster, der die Instrumente auf dem Schwarzmarkt verkauft. Korrito schwärmt: „Produkte sind das – wie von Pallas eigner Hand, der Göttin selbst, so himmlisch. Als ich die sah, die Augen fielen mir heraus. Die Männer kriegen ihn nicht so steif und dick. So weich wie Schlaf, die Riemchen wie aus Watte sanft, nicht hartes Leder. Einen solchen Schuster gibt es nicht, der mehr Verständnis für uns Frauen hat.“
Im Mittelalter gab es ihn auch noch. Doch der Kirche galt alles als Sünde, was nicht der menschlichen Fortpflanzung diente. In Bußbüchern listete sie alle zu verteufelnden sexuellen Spielarten auf. Im 11. Jahrhundert nach Christus verfasst der deutsche Bischof Burchard von Worms eine Bußschrift, die den Gebrauch von Dildos bestrafte. „Es wird deutlich, dass der Bischof von Worms außerordentlich gut über die sexuellen Verhaltensweisen der Gläubigen informiert war“, schreibt Rob Meens, Historiker am Institut für Geschichte und Kultur der Universität Utrecht. Sein Wissen habe er wohl aus den Berichten der Gläubigen, die zu ihm in den Beichtstuhl kamen. Die Sündenlisten waren auch eine Art Anleitung für Priester, die die Beichte abnahmen. So schrieb er auf Lateinisch: „Hast du getan, was manche Frauen pflegen, nämlich irgendein Werkzeug oder Gerät gemacht, das einem männlichen Glied gleicht? Oder haben andere Frauen mit demselben oder einem anderen Instrument Unzucht getrieben mit dir? Wenn du dies getan hast, musst du fünf Jahre lang an den festgesetzten Tagen fasten.“
Selbst Nonnen machen Gebrauch davon
Dennoch haben selbst Nonnen von Dildos Gebrauch gemacht. Eindeutige Hinweise darauf fand man 1783 in der Rue Saint-Sauveur in Paris. Dort stand das Haus der Madame Gourdan, die eines der bekanntesten Pariser Bordelle führte. Adelige, Politiker und Geistliche fuhren in der geschlossenen Kutsche in den Hinterhof und betraten so ungesehen das Etablissement. Neben dem Bordell betrieb Madame Gourdan auch einen florierenden Dildo-Versand. Sie hatte eine Art kleine Fabrik. Die Kunstpenisse waren mit einem Hodensack versehen und konnten mit einer Flüssigkeit gefüllt werden, die eine Ejakulation nachahmte. Sie waren unter dem Namen „consolateur“ (französisch: Tröster) bekannt.
Nach dem Tod der Madame Gourdan flogen viele der gut gestellten Gäste allerdings auf, denn bei der Räumung ihres Bordells wurde eine Liste des Inventars aufgestellt. Neben jeder Menge Dildos fand man auch zahlreiche Korrespondenzen, in denen auch Nonnen die Lieferung eines solchen „consolateurs“ erbaten.