Die psychischen Folgen der Pandemie halten an

73 Prozent der Kinder und Jugendlichen leiden immer noch an psychischen Belastungen. Die Regierung will Minderjährige mit einem Hilfspaket stützen
Mit einem Maßnahmenpaket will die Bundesregierung Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung der psychosozialen Belastungen durch die Corona-Pandemie unterstützen. 73 Prozent der jungen Menschen seien immer noch psychisch belastet, heißt es in einem am Mittwoch vorgestellten und vom Bundeskabinett beschlossenen Abschlussbericht einer Interministeriellen Arbeitsgruppe zur Kindergesundheit. Dieser stützt sich auf sechs Untersuchungen zur Kindergesundheit und Corona-Folgen, deren Ergebnisse bereits veröffentlicht sind. Zu den Belastungen in der Pandemie kämen aktuell weitere Belastungen durch Krieg, Inflation und Klimakrise, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Dies treffe Kinder aus ärmeren Familien besonders hart. „Es darf aber nicht von persönlichen Ressourcen oder vom sozialen Status der Familie abhängen, wie gut junge Menschen Krisen überstehen“, mahnte sie.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte, nachdem Kinder unter der Pandemie und den Schutzmaßnahmen besonders gelitten hätten, schulde man ihnen, dass ihre Versorgung jetzt Priorität habe. Der SPD-Politiker rief Eltern dazu auf, vorsorgende Untersuchungen auf jeden Fall wahrzunehmen. Wenn Kinder auffällig seien, depressiv wirkten oder sich zurückzögen, sollten Eltern sie im Zweifelsfall immer von Psychologen oder Ärzten untersuchen lassen. Je früher Störungen erkannt würden, desto besser seien sie behandelbar, betonte der Gesundheitsminister.
Lauterbach erklärte, Deutschland habe im Vergleich zu anderen europäischen Ländern besonders lange Schulschließungen gehabt. Das sei wahrscheinlich ein Fehler gewesen und habe den Kindern geschadet. „Es sind Schäden, die nicht bleiben müssen, es sind aber auf jeden Fall Schäden, die bleiben können“, sagte er. „Wir kümmern uns jetzt um einen schnelleren Zugang zur therapeutischen Versorgung“, versicherte der SPD-Politiker.
Konkret will die Bundesregierung unter anderem zehn Millionen Euro für sogenannte Mental Health Coaches an Schulen zur Verfügung stellen. Sie sollen ab dem Schuljahr 2023/24 Kindern und Jugendlichen an gut 100 Schulen in Deutschland bei Sorgen und Problemen zur Seite stehen, bei akuten Krisen eine „Erste Psychische Hilfe“ bieten und weitere Unterstützungsangebote vermitteln.
Zudem sollen durch eine Gesetzesänderung mehr Therapieplätze für Kinder mit schweren psychischen Problemen geschaffen werden. Lauterbach: „Es gibt genug Psychotherapeuten, die diese Arbeit gerne machen würden. Es ist aber nicht möglich, weil ihnen die Bedarfszulassung fehlt.“ Es werde auch eine Regelung geben, die Gruppentherapien für Jugendliche ermögliche, sagte Lauterbach. Beides werde sich in der zweiten Jahreshälfte bemerkbar machen. Je nach dem, wie schnell dieses Gesetz beschlossen werden könne, dürfte es schon in der zweiten Jahreshälfte von 2023 wirken, so der Gesundheitsminister.
Der Chef der Krankenkasse DAK-Gesundheit, Andreas Storm, der für die Kassen an dem Bericht mitgearbeitet hat, sagte gegenüber der FR, der Einsatz von Mental Health Coaches sei eine wesentlicher Schritt. „Bei der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen besteht jetzt eindeutig der größte Handlungsbedarf“, erklärte Storm.
Studien, wie zum Beispiel der Kinder- und Jugendreport der DAK, hätten gezeigt, dass durch die Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns Depressionen und Essstörungen bei Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren deutlich zugenommen hätten. Im Grundschulalter zeige sich eine spürbare Steigerung von Entwicklungsstörungen. „Die Lage hat sich dramatisch verschärft“, sagte er. „Es ist sehr zu begrüßen, dass die Politik endlich reagiert und handelt“, sagte Storm.
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, forderte, den schulpsychologischen Dienst für Schülerinnen und Schüler auszubauen. Das Angebot sei in den Bundesländern sehr ungleich verteilt, sagte sie auf Nachfrage. „Von einer Stelle Schulpsychologie für 1000 Schülerinnen und Schüler, die für eine gute Unterstützung der Kinder und Jugendlichen notwendig ist, sind jedoch alle Bundesländer meilenweit entfernt“, so Finnern. Die Spreizung reiche derzeit von eins zu 3114 bis zu einem Verhältnis von eins zu 9822, beklagte die GEW-Chefin. mit epd