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Die personalisierteste aller Krebstherapien

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Von: Pamela Dörhöfer

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Bei der genetischen Veränderung der T-Zellen werden Viren (grün) als Werkzeug genutzt.
Bei der genetischen Veränderung der T-Zellen werden Viren (grün) als Werkzeug genutzt. © Getty Images/Science Photo Libra

CAR-T-Zellen haben die Behandlung von Leukämien revolutioniert. Nun meldet Biontech erste positive Ergebnisse bei festen Tumoren.

Während die Immuntherapie mit Medikamenten aus der Klasse der Checkpoint-Hemmer bereits seit Jahren etabliert ist und mittlerweile bei verschiedenen Tumorarten eingesetzt wird, spielt die CAR-T-Zell-Therapie in der klinischen Praxis noch keine so große Rolle. Zugelassen ist sie in Europa und den USA bei bestimmten Leukämien und Lymphomen (Lymphdrüsenkrebs) sowie seit Sommer 2021 auch bei Multiplem Myelom (Tumoren des Knochenmarks). Bei diesen Krebsarten habe die CAR-T-Zell-Therapie die Behandlungsmöglichkeiten „revolutioniert“, teilte jüngst die American Association for Cancer Research mit, die amerikanische Krebsforschungsgesellschaft. Insbesondere bei Leukämien hat sich das noch junge Verfahren als sehr wirkungsvoll erwiesen: Die Überlebensrate beträgt hier nach zwölf Monaten 77,2 Prozent, sagt Patrick Schmidt vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg, der zur CAR-T-Zell-Therapie forscht.

Bei soliden (festen) Tumoren hingegen waren die Ergebnisse bislang eher bescheiden. Einer breiteren Anwendung stehen gleich mehrere Hürden sowohl medizinischer als auch produktionstechnischer Natur entgegen. Doch internationale Forschungsteams arbeiten intensiv daran, die Probleme zu lösen. Aktuell laufen laut Schmidt weltweit mehr als 400 Studien zu CAR-T-Zell-Therapien. Nun gibt es erste Erfolge zu vermelden, unter anderem vom Mainzer Unternehmen Biontech, das durch die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gegen Covid bekannt geworden ist.

Die CAR-T-Zell-Therapie ist unter den zugelassenen Krebstherapien die wohl am stärksten personalisierte. Wie die Checkpoint-Hemmer zielt sie auf ein Scharfstellen des Immunsystems. Bei den Checkpoint-Hemmern geschieht das indem Bremsen der körpereigenen Abwehr gelöst werden. Das CAR-T-Zell-Prinzip ist individuell auf den einzelnen Patienten, die einzelne Patientin zugeschnitten. Das hat den Vorteil, dass der Tumor ganz gezielt angegriffen wird, kann aber auch zu schweren Nebenwirkungen führen – und macht die Therapie zudem kompliziert, aufwendig und extrem teuer. Von der ersten Idee bis zur ersten Zulassung 2017 vergingen fast 30 Jahre.

Und so funktioniert die CAR-T-Zell-Therapie: Dem Patienten oder der Patientin wird Blut abgenommen, aus dem man dann die Leukozyten filtert. Aus diesen wiederum werden die T-Zellen isoliert, deren Aufgabe es ist, von Viren befallene oder bösartig veränderte Zellen auszuschalten. Die T-Zellen werden im Labor massiv vermehrt und mit dem künstlich hergestellten Gen für einen „chimären Antigenrezeptor“ (CAR) ausgestattet. Als Werkzeug für diese genetische Manipulation werden derzeit meist Viren eingesetzt. Das Antigen ist eine bestimmte Zielstruktur auf den Tumorzellen, an die der Rezeptor nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip andocken soll. Mit Hilfe dieser zusätzlichen Ausstattung sollen die T-Zellen später im Körper die Krebszellen erkennen und vernichten. Das klappt natürlich nur bei solchen Zellen, die auch die entsprechenden, zum Rezeptor passenden Proteine auf ihrer Oberfläche tragen. Per Infusion werden die T-Zellen den Krebskranken nach dem „Tuning“ wieder verabreicht.

Dass Leukämien und Lymphome empfindlich auf die CAR-T-Zell-Therapie reagieren, liegt unter anderem daran, dass die Krebszellen im Blut und in den Lymphknoten leichter zu erreichen sind als in den Organen. Bis in deren Tiefen dringen die CAR-T-Zellen nur mühsam vor, häufig reicht allein ihre Lebenszeit nicht aus, um die Arbeit zu vollenden.

Anlaufstellen

Eine Behandlung mit einer CAR-T-Zell-Therapie ist nur an dafür qualifizierten Zentren möglich. Nach der Infusion ist ein etwa zweiwöchiger Krankenhausaufenthalt erforderlich, um bei schweren Nebenwirkungen schnell eingreifen zu können.

Weitere Informationen gibt es bei der Deutschen Krebsgesellschaft, www.krebsgesellschaft.de (Basisinformationen Krebs anklicken und dann weiter zu Non-Hodgkin-Lymphom). Bei allen Fragen rund um Krebs kann man sich auch an den Deutschen Krebsinformationsdienst wenden, der unter Telefon 0800/4203040 täglich von 8 bis 20 Uhr oder per Mail an krebsinformationsdienst@dkfz.de zu erreichen ist. pam

Doch es gibt noch eine weitere Schwierigkeit. Die meisten Proteine auf soliden Tumoren, die als Ziele in Frage kämen, finden sich in geringen Mengen auch auf normalen Zellen. „Das macht es schwierig, die CAR-T-Zellen spezifisch gegen Tumorzellen zu richten und gesunde zu schonen“, erklärte der niederländische Onkologe John Haanen kürzlich bei der Jahrestagung der amerikanischen Krebsforschungsgesellschaft.

Beide Probleme hat man bei Biontech mit einem kombinierten Therapie-Konzept zu lösen versucht. Zunächst fand man mit dem Antigen Claudin-6 (CLDN6) ein Angriffsziel, das nach der Geburt nur noch auf Tumorzellen vorkommt. Um den CAR-T-Zellen mehr Durchschlagskraft zu verleihen, setzen die Mainzer Forschenden das bekannte mRNA-Prinzip ein. Als Booster soll dieses „Krebsvakzin“ mit Namen CARVac die Wirkung der CAR-T-Zell-Therapie verstärken. Gespritzt wird in diesem Fall nicht die Erbinformation für ein Viren-eiweiß, sondern für ein Tumorprotein, das der Körper produzieren soll. Die so erreichte Präsenz dieses Tumorproteins soll die Aufmerksamkeit des Immunsystems auf sich ziehen und dessen Alarmbereitschaft zu erhöhen.

Nach positiven Ergebnissen bei Mäusen wurde die Kombinationstherapie in einer Phase-1/2- Studie mit menschlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an mehreren Zentren in Deutschland und den Niederlanden getestet. Behandelt wurden bei ihnen Eierstockkrebs, Eileiterkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Magenkrebs, Sarkome und Hodenkrebs in jeweils fortgeschrittenem Stadium.

Ein Team des niederländischen Krebsinstituts in Amsterdam stellte erste Ergebnisse kürzlich vor. Demnach sollen sich sechs Wochen nach Verabreichen der CAR-T-Zell-Therapie bei sechs von 14 untersuchten Patientinnen und Patienten die Tumore teilweise zurückgebildet haben und es bei fünf zu einer „stabilen Erkrankung“ (der Begriff bedeutet, dass der Krebs nicht gewachsen ist, sich aber auch nicht deutlich zurückgebildet hat) mit einer Verkleinerung des Tumors gekommen sein. Bei einem Patienten sei der Tumor komplett verschwunden, ein Zustand, der seit mittlerweile sechs Monaten anhalte. Bei einem Patienten hingegen gab es keine Veränderung, bei zweien wuchs der Tumor trotz Therapie weiter. Die Wirkung der CAR-T-Zell-Therapie soll sich dabei unter dem wiederholten Booster mit dem mRNA-Vakzin verstärkt haben. Die Studie ist noch nicht abgeschlossen und geht weiter, bevor die Therapie an einer größeren Zahl von Teilnehmenden getestet werden kann.

Das Sicherheitsprofil bezeichnet die American Association for Cancer Research in einer Mitteilung als „akzeptabel“. Etwa 40 Prozent der Teilnehmenden hätten ein „beherrschbares Zytokin-Freisetzungssyndrom ohne Neurotoxizität“ entwickelt. Zytokine sind Botenstoffe, die Entzündungen befeuern. Im Übermaß gebildet, können sie zu einer Entgleisung des Immunsystems führen. Neurotoxizität bedeutet, dass sich etwas schädigend auf das Nervengewebe auswirkt.

Mit Entzündungen einhergehende Überreaktionen des Immunsystems zählen zu den potenziellen Nebenwirkungen einer CAR-T-Zell-Therapie. Sie können mild ausfallen, aber auch massiv körpereigenes Gewebe angreifen und lebensbedrohlich werden. Dass das Nervengewebe betroffen ist, kommt dabei nicht selten vor. Erst im März hatte zudem ein Team der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und der Universitätsmedizin Essen eine Studie im „European Heart Journal“ veröffentlicht, die zeigte, dass die CAR-T-Zell-Therapie auch das Herz-Kreislauf-System angreifen kann. So könnten die ausgeschütteten Botenstoffe eine erhöhte Herzfrequenz, Rhythmusstörungen, Kammerflimmern, Gefäßverschlüsse und Herzversagen verursachen. Schwere Komplikationen seien vor allem bei vorbelasteten Patientinnen und Patienten aufgetreten, erklärt der Kardiologe Tienush Rassaf von der Universitätsmedizin Essen. Die Forschenden raten, bei diesen Menschen die Herzfunktion im Blick zu behalten, wenn sie eine CAR-T-Zell-Therapie erhalten.

Eine weitere Hürde, die einer breiten Anwendung im Wege steht, sind die aufwendige Produktion und die damit verbundenen enormen Kosten, die Patrick Schmidt mit bis zu 300 000 oder sogar 340 000 Euro pro Patient oder Patientin beziffert. Die Logistik sei kompliziert, sagt der Forscher, eine Verwechslung bei dieser individuell an den einzelnen Menschen angepassten Therapie dürfe auf keinen Fall passieren. Weltweit gebe es bislang nur wenige Zentren, wo CAR-T-Zellen hergestellt werden. Zwischen der Blutentnahme und dem Wieder-Verabreichen vergehen im Schnitt vier Wochen, bei der die Immunzellen gefroren über den großen Teich und zurück reisen. Deshalb wird derzeit an einer dezentralisierten Herstellung gearbeitet, möglichst nahe an der Klinik, wo die CAR-T-Zell-Therapie dann auch verabreicht wird. Es wäre ein erster Schritt, damit möglichst alle Menschen, die aus medizinischen Gründen dafür in Frage kämen, von dieser Behandlung profitieren könnten.

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