„Deutlich gravierender“ – Grippe kehrt mit Wucht zurück

Die Grippe kehrt zurück: In Australien bahnt sich eine heftige Infektionswelle an. Es könnte der Vorbote für Europa sein
Canberra – Obwohl Deutschland in die Sommermonate geht, nimmt die Zahl der Grippeinfektionen bereits zu. Wie schlimm die diesjährige Saison werden könnte, zeigt sich in Australien auf der Südhalbkugel. Dort haben die Gesundheitsbehörden zum Winteranfang Tausende Fälle registriert. Nachdem Reisebeschränkungen, Abschottung, Maskentragen und Hygienemaßnahmen die Grippe in den vergangenen zwei Jahren weltweit massiv eingedämmt hatten, ist sie nun also zurück. Fachleute hatten seit langem gewarnt, dass das mit dem Einstellen dieser Maßnahmen geschehen könnte.
So meldete die australische Gesundheitsbehörde in ihrem Bericht bis zum 22. Mai, dass grippeähnliche Erkrankungen seit März deutlich zugenommen hätten. Seit Beginn des Jahres wurden fast 39.000 Fälle gemeldet, etwas über 26.000 davon alleine in den 14 Tagen vor der Veröffentlichung des Reports. Damit hatten sich die Meldungen im Vergleich zu den zwei Wochen davor mehr als verdreifacht. Schon jetzt sind die Zahlen höher als der Fünfjahresdurchschnitt. Drei Menschen sind bereits an den Folgen der Erkrankung gestorben.
Grippe-Welle: Immunsystem nicht mehr trainiert
Nach zwei Jahren Abschottung ist das Immunsystem vieler Menschen nicht mehr „trainiert“, viele Kleinkinder waren bestimmten Viren noch nie ausgesetzt. Letzteres hatte im vergangenen Jahr bereits zu einem besonders schlimmen Ausbruch des RS-Virus (Respiratorisches-Synzytial-Virus) geführt, ein Erreger, der bei Säuglingen und kleinen Kindern eine akute Bronchitis auslösen kann. Michael Baker, ein neuseeländischer Epidemiologe und Gesundheitsexperte, hatte dieses Phänomen im Interview mit dem „Guardian“ mit einem Waldbrand verglichen: Je mehr Zeit ohne Feuer vergangen ist, umso mehr Brennstoff sammelt sich auf dem Boden, um die Flammen zu nähren. Entsteht dann ein Feuer, brennt es heftiger als normal.
Ian Barr vom Peter-Doherty-Institut für Infektionen und Immunität in Melbourne bestätigt das. Barr erklärt den Effekt mit der Kombination aus Isolation, Hygienemaßnahmen und Distanz zu anderen Menschen während der Corona-Pandemie. Australien und Neuseeland, die mehr vom Rest der Welt abgeschnitten waren als andere Länder, bekamen den Effekt besonders zu spüren. Doch auch in Europa konnte man zeitversetzt Ähnliches beobachten. Je mehr sich die Länder öffneten, umso mehr Fälle des RS-Virus oder des Influenzavirus tauchten auf. Während 2021 in Australien offiziell kein Grippetoter während der Grippesaison über die Wintermonate registriert wurde und nur ein Mensch wegen Grippe ins Krankenhaus musste, befürchtete Barr schon damals, dass „die nächste Saison dafür deutlich schlimmer werden“ könne.
Grippe-Welle diesmal „deutlich gravierender“
Diese Prophezeiung bewahrheitet sich nun: „Die Grippesaison in diesem Jahr ist deutlich gravierender und vergleichbar mit der Saison, die wir 2017 hatten“, sagte Annastacia Palaszczuk, die Regierungschefin des Bundesstaates Queensland, kürzlich. Ihr Bundesland hat deshalb wie auch West- und Südaustralien die Grippeimpfung kostenlos gemacht.
„Wir haben ungefähr 600.000 Kinder unter zwei Jahren, die noch nie der Grippe ausgesetzt waren“, sagte Sheena Sullivan, Epidemiologin am Peter-Doherty-Institut, dem australischen Sender ABC. Das sei eine beträchtliche Anzahl an Kleinkindern, die völlig anfällig seien. Der Kinderarzt Nick Wood aus Sydney berichtete, dass die australischen Krankenhäuser in diesem Jahr bereits einen Anstieg der Grippefälle bei kleinen Kindern verzeichnen würden. „Im pädiatrischen Bereich gibt es definitiv mehr Krankenhauseinweisungen bei unter Fünfjährigen als bei Covid-19.“ Weil die Grippe nicht im Umlauf gewesen sei, seien die Kinder den Viren noch nie zuvor ausgesetzt gewesen und seien „effektiv immunnaiv“.
Grippe: Influenzaviren bilden ständig neue Varianten
Die echte Grippe oder Influenza ist eine akute Krankheit der Atemwege, die unter Umständen lebensbedrohlich sein kann, vor allem für Kleinkinder, Schwangere, ältere Menschen oder Menschen mit chronischen Erkrankungen. Neben den Hygienemaßnahmen wie Händewaschen und Maske tragen in den Wintermonaten gilt die jährliche Grippeimpfung als bester Schutz.
Die Impfung, die vor schwerer Krankheit schützt, aber auch das Risiko einer Übertragung verringert, muss jährlich verabreicht werden, da die Influenzaviren ständig neue Varianten bilden. Dementsprechend ist nicht jede Grippeimpfung gleich effizient. In manchen Jahren bieten die Grippeimpfstoffe, die auf den Erfahrungen der Vorjahre basieren, besseren Schutz als in anderen. Doch laut dem Experten Barr ist die diesjährige Impfung nach bisherigen australischen Erkenntnissen wirksam. Die zirkulierenden Viren würden bisher gut mit dem Impfstoff zusammenpassen.
Grippe-Infektionen nehmen in Deutschland zu
Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Grippeinfektionen bereits zu, obwohl hierzulande anders als in Australien die Sommermonate anstehen. Doch erste Daten zeigen, dass sich inzwischen bereits mehr Menschen mit Influenza angesteckt haben als zur gleichen Jahreszeit vor der Corona-Pandemie. Vor allem bei Kindern hat die Grippe inzwischen die Covid-Infektionen überholt. Auch wenn das Robert Koch-Institut derzeit noch keinen Anlass zur Besorgnis sieht, so zeigen die Erfahrungen der Südhalbkugel, dass sich auch Europa in diesem Winter vermutlich vor einer Grippesaison wappnen muss, die nach zwei Jahren Entspannung mit voller Wucht zurückzukommen scheint. (Barbara Barkhausen)
Eine neue Studie aus Katar zeigt: Die Grippe-Impfung soll vor einem schweren Covid-Verlauf schützen.