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Die Anti-Putin-Batterie im Keller

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Von: Joachim Wille

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Der Erdgasspeicher in Rehden ist mit einer Kapazität von 3,9 Milliarden Kubikmetern Erdgas der größte Erdgasspeicher in Westeuropa.
Der Erdgasspeicher in Rehden ist mit einer Kapazität von 3,9 Milliarden Kubikmetern Erdgas der größte Erdgasspeicher in Westeuropa. © Astora

Solarspeicher und andere Technologien helfen gegen die „Dunkelflaute“. Das ist Teil 4 einer Serie zum Energiesystem.

Die Leitung zur „grünen Batterie“ für Deutschland ist 515 Kilometer lang. Sie verläuft von Schleswig-Holstein zur süd-norwegischen Region Veet-Agder. Das Kabel ist armdick und transportiert bis zu 1400 Megawatt Strom, was der Leistung 400 mittelgroßer Windkraftanlagen entspricht. Die Leitung auf dem Meeresboden, Nordlink genannt, erlaubt es, Elektrizität zwischen Deutschland und Norwegen hin- und herzuschieben.

Als „Batterie“ fungieren dabei die Wasserkraftwerke in dem skandinavischen Land. Das Konzept: Überschüssiger Windstrom aus norddeutschen Windrädern, der sonst nicht genutzt werden könnte, wird in Norwegen verbraucht. Im Gegenzug: Wenn bei Flaute, also stillstehenden Rotoren in Deutschland Strom fehlt, wird Elektrizität aus den Wasserkraftwerken nach Süden geleitet.

Nordlink wurde 2021 eingeweiht, Baukosten: knapp zwei Milliarden Euro. Rechnerisch kann von Nordlink die Versorgung von bis zu 3,6 Millionen Haushalten mit Ökostrom stabilisiert werden. Das entspricht einem guten Teil der Haushalte in Hamburg und Schleswig-Holstein. Doch diese Zahl macht auch klar: So wichtig Nordlink ist, um die fluktuierende Stromeinspeisung aus Solar- und Windkraft abzupuffern – als alleinige „Batterie“ für Deutschland reicht es nicht.

Um auch in Zeiten der berüchtigten „Dunkelflaute“ bei einem System mit 100 Prozent erneuerbaren Energien genügend Kapazitäten zu haben, also wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht, braucht es deutlich mehr. Zumal die Zeiten mit wenig Solar- und Windstrom durchaus mehrere Tage dauern können. Freilich kann neben der Norwegen-Connection eine ganz Reihe weiterer Speichertechnologien genutzt werden. Insgesamt gibt es rund ein Dutzend davon. Deren Ausbau ist wichtiger Teil der Energiewende.

Die bekannteste traditionelle Technologie, die schon seit 100 Jahren betrieben wird, ist das Pumpspeicher-Kraftwerk. In nachfrageschwachen Zeiten nimmt es ein Überangebot von elektrischer Energie im Netz auf und gibt sie bei Spitzenlast wieder ab. Wasser wird vom Unter- ins Oberbecken gepumpt und bei Bedarf über Turbinen, die Elektrizität produzieren, wieder abgelassen.

In Deutschland gibt es 26 dieser Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von rund 6300 Megawatt, das größte davon befindet sich in Goldisthal in Thüringen. Da ihr Bau starke Eingriffe in die Landschaft erfordert, erscheint eine starke Ausweitung dieser Technologie unrealistisch.

Anders ist das beim „Power-to-Gas“-Konzept. Hierbei wird Ökostrom in Überschuss-Zeiten genutzt, um per Elektrolyse Wasserstoff zu gewinnen, der gespeichert und wieder „rückverstromt“ werden kann (siehe auch Beitrag 3 in der FR-Serie vom 19. März). Eine wichtige Variante hierbei: Mit dem Wasserstoff wird das Gas Methan hergestellt, das in den heute betriebenen Erdgas-Speichern langfristig eingelagert wird; Erdgas besteht zum größten Teil aus Methan. Der größte deutsche Erdgas-Speicher in Rheden in Niedersachsen fasst fast vier Milliarden Kubikmeter. Der Energieexperte Volker Quaschning: „Diese Menge reicht theoretisch aus, um den heutigen Stromverbrauch zwei Wochen lang abzudecken.“

Zu diesen zentralen Speichertechnologien müssen allerdings noch dezentrale hinzukommen. Die wichtigste: Solarspeicher, die tagsüber den nicht sofort verbrauchten Strom aus Photovoltaik-Anlagen von Hausdächern „einlagern“, um ihn dann abends verfügbar zu machen. Vor allem im Bereich von Ein- und Zweifamilienhäusern werden sie zunehmend eingesetzt.

Als Faustregel gilt: Bei einem Einfamilienhaus mit einer Solaranlage ohne Speicher können übers Jahr gesehen rund 30 Prozent des in dem Haus verbrauchten Stroms abgedeckt werden. Bei einem Haus mit gekoppeltem Speicher steigt die Selbstversorgung auf etwa 60 Prozent. Entsprechend stark sinkt der noch notwendige Bezug von Strom vom Versorger. Ein weiterer Vorteil ist: Das öffentliche Leitungsnetz, das künftig zusätzlichen Strom für E-Autos und elektrische Wärmepumpen zur Hausbeheizung liefern muss, wird entlastet.

Die Kosten für die Stromspeicher, die bei Einfamilienhäusern in etwa kühlschrankgroß sind und meist im Keller untergebracht werden, sind in den letzten Jahren deutlich gesunken. Angesichts der stark gestiegenen Netz-Strompreise werden sie zunehmend rentabel, besonders bei Haushalten mit einem hohen Stromverbrauch – etwa durch ein E-Auto. Der Verkauf boomt. Ende 2021 waren hierzulande knapp 400 000 Speicher installiert, vor zehn Jahren lag die Zahl noch bei unter 5000. Allein im vorigen Jahr kamen 120 000 hinzu.

Bislang rieten viele Fachleute Interessent:innen, mit der Anschaffung eines Speichers noch etwas zu warten. Ihr Argument: Die Preise werden in den nächsten Jahren noch weiter fallen. Angesichts des Ukraine-Kriegs machen viele Menschen mit Blick auf die Selbstversorgung eine andere Rechnung auf. Die Nachfrage nach PV-Anlagen und Speichern jedenfalls ist seit Putins Attacke bei vielen Anbietern sprunghaft angestiegen. Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft sagt, für immer mehr Haushalte würden Solaranlagen und Speicher zur „Energie-Unabhängigkeitserklärung“.

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