Deutschland in der Schmuddelecke

Deutschland streicht beim Gipfel in Bonn einen Negativpreis ein ? und Kanzlerin Angela Merkel enttäuscht mit einer halbgaren Rede.
Diese Auszeichnung hätte die „Klimakanzlerin“ nicht erwartet. Deutschland, das von ihr seit zwölf Jahren regiert wird, bekommt den „Fossil of the Day“-Preis verliehen. Es ist der Abend vor dem mit Spannung erwarteten Auftritt von Angela Merkel (CDU) auf dem Bonner UN-Klimagipfel. Und ausgerechnet das Land, das die Energiewende erfunden hat und dessen mächtigste Politikerin eine Physikerin ist, die von der Sache etwas versteht, steht plötzlich in der Schmuddelecke.
Internationale Umwelt- und Entwicklungs-NGOs küren auf den jährlichen Megakonferenzen zur Weltrettung regelmäßig die Länder mit ihrem fossilen Negativ-Preis, die die Klimaschutz-Kurve nicht kriegen. Und diesmal erwischt es ausgerechnet die Bundesrepublik. „Die Emissionen in Deutschland steigen an, und der Kohleausstieg ist noch nicht in Sicht. Dafür wurde die Bundesregierung heute bei der COP 23 in Bonn abgewatscht“, sagt BUND-Expertin Ann-Kathrin Schneider.
Fidschi appelliert an Deutschland
Und George Necewa aus dem Inselstaat Fidschi, der sich „Climate Warrior“ nennt, appelliert an die Kanzlerin: „Deutschland muss sofort aus der Kohle aussteigen, damit die Erderwärmung unter 1,5 Grad bleibt und wir im Pazifik noch eine Chance im Kampf um unser Überleben haben.“ Die meisten Fidschi-Inseln liegen nur ein bis drei Meter über dem Meeresspiegel.
Der Druck auf Merkel steigt und steigt, bevor sie ihre Rede im Plenum des alten Bundestags in Bonn hält, dem Zentrum des Gipfelgeländes, wo mit 25 000 Teilnehmern die größte politische Konferenz stattfindet, die Deutschland bisher erlebt hat. Eigentlich soll der Gipfel nur eine Art Arbeitsgipfel sein, um an der „Gebrauchsanleitung“ für den Paris-Klimavertrag von 2015 zu schreiben, der das 1,5- bis Zwei-Grad-Limit verankerte. Entsprechend ruhig geht es die ersten Tage zu. Doch dann kommt plötzlich doch Dramatik in die Konferenzräume in den Rheinauen.
CO2-Ausstoß steigt: Durchbruch von Paris könnte verpuffen
Zuerst, als Wissenschaftler am Montag dieser Woche auf dem Gipfel bekanntgeben, dass der weltweite CO2-Ausstoß nach drei Jahren Stagnation nun plötzlich wieder ansteigt – ein Signal, dass der „Durchbruch“ von Paris einfach verpuffen könnte. Und dann eben durch den Merkel-Event am Mittwoch. Als die Kanzlerin im vorigen Jahr die Anfrage der Fidschi-Regierung abnickte, für das kleine Land im Pazifik den Gipfel am Sitz des UN-Klimasekretariats in Bonn auszurichten, konnte sie nicht ahnen, dass sie im November 2017 gleichzeitig in Jamaika-Sondierungen sitzen würde – die sich ausgerechnet bei den Themen Klima, Kohle und Verkehr verhaken würden.
Für Öko-Aktivisten und Klimaexperten eine Steilvorlage. Am Mittwochmorgen empfangen Dutzende Kohlegegner die Konferenzteilnehmer mit Rufen wie „Keine fossile Energie mehr finanzieren“. Greenpeace-Aktivisten demonstrieren auf einem Kohlefrachter auf dem Rhein. Auf die Ladefläche des Schiffs „Aquality“, das Kraftwerke mit mehreren Tausend Tonnen importierter Steinkohle beliefert, breiten die Aktivisten ein 20 mal 7 Meter großes Banner aus mit der Aufschrift: „Merkel’s Dirty Secret: Coal“ aus.
Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan spricht von einem „Vertrauensdefizit“, das zwei Jahre nach Paris aufgelaufen sei. Die Industriestaaten hätten sich in Bonn zu wenig bewegt und wichtige Fortschritte etwa bei der Finanzierung von Hilfen für die Entwicklungsländer blockiert. Besonders enttäuscht sind die NGOs über das Stocken der Verhandlungen um „Verluste und Schäden“. Dabei geht es um Hilfen für besonders vom Klimawandel betroffene Staaten. Dieses könne nur noch durch starke Ankündigungen der Staats- und Regierungschefs wiedergutgemacht werden, sagt Morgan. Und in Richtung Merkel: „Sie hat die Chance, ein Zeichen zu setzen und den Kohleausstieg zu verkünden.“
Merkel bleibt vage: Keine konkrete Aussage zum Kohle-Ausstieg
Auch Deutschlands renommiertester Klimaforscher appelliert in Bonn an die Kanzlerin, das Kohleproblem endlich anzugehen. Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, sagt, sie müsse „den kleinen Inselstaaten ein Angebot machen“. Er warnt, es sei ein fatales Signal, wenn Deutschland sein Klimaziel für 2020 – 40 Prozent CO2-Minderung gegenüber 1990 – nicht erfüllen würde. „Wenn wir unser Versprechen einlösen wollen, müssen wir so schnell wie möglich aus der Kohle aussteigen“, sagte Schellnhuber.
Als Merkel dann auf dem „High Level Segment“ des Gipfels redet, enttäuscht sie die Klimaverhandler, die ihr an den Lippen hängen. Sie spricht zwar ziemlich ungeschminkt das drohende Fiasko beim deutschen Klimaziel für 2020 an. Die minus 40 Prozent CO2 seien „sehr ehrgeizig“, und aktuell sei man „ein ganzes Stück davon entfernt“. Tatsächlich fehlen noch satte 13 Prozentpunkte. In den Jamaika-Gesprächen spiele das auch eine „zentrale Rolle“.
Doch eine konkrete Ansage zum Kohle-Ausstiegspfad bis 2020, ohne den die Lücke nicht zu schließen ist - die machte die Kanzlerin nicht. Jeder Sektor müsse seinen Beitrag für den Klimaschutz bringen, auch die Kohle, speziell die Braunkohle, ließ sie wissen. Wie genau allerdings, das müsse „in den nächsten Tagen“ entschieden werden. Natürlich nicht in Bonn, sondern in Berlin.
Beobachter setzen auf deutsch-französische Führung
Kein Wunder: Die Umweltschützer sind bitter enttäuscht. „Mit ihrem Schweigen zur Schicksalsfrage der deutschen Klimapolitik verspielt die Kanzlerin auch den letzten Rest ihres alten Klimaruhms“, urteilt Greenpeace. Dabei hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der vor Merkel spricht, die Politiker doch so eindringlich beschworen, nicht nur Sonntagsreden zu halten. Das historische Klimaabkommen von 2015 müsse „unumkehrbar bleiben“, sagt der SPD-Politiker. Und: „Ein wirklicher Durchbruch war Paris nur dann, wenn wir der Vereinbarung jetzt auch Taten folgen lassen.“
Nach Merkel spricht, als zweiter Bigshot des Gipfels, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Der setzt einen Kontrapunkt zur ernüchternden Merkel-Rede - pro Kohleausstieg bis 2021, aber auch pro Atomkraft, und für einen CO2-Mindestpreis von stolzen 30 Euro pro Tonne. „Wir sind besessen davon, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren“, sagt er unter tosendem Applaus. Er wolle, dass Europa wieder ein Vorbild werde Denn wenn der CO2-Ausstoß nicht schnell gesenkt werde, dann bedeute das, dass viele Menschen ihre Lebensgrundlage verlören. „Dazu sind wir nicht bereit.“
Auf eine neue deutsch-französische Führung in der internationalen Klimapolitik setzen viele Beobachter. Das bisherige Führungsduo USA/China, das maßgeblich für den Erfolg beim Paris-Gipfel verantwortlich war, ist nämlich zerbröselt. Die USA haben in der Klimapolitik fast schon Paria-Status – als einziges Land der Welt, das aus Paris aussteigen will. Und China beansprucht zwar den „Fahrersitz“ in der Klimadiplomatie, hat jetzt in Bonn aber keine wegweisende Initiativen vorgestellt, Bleibt also die EU, respektive deren „Motor“ Deutschland und Frankreich. Ob der anspringt, ist am Mittwoch in Bonn nicht auszumachen. Merkel muss in Berlin erst Jamaika zum Laufen bringen.
Mitarbeit: Susanne Götze, Christian Mihatsch