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Coronavirus: „Da findet Evolution in Echtzeit statt“

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Von: Pamela Dörhöfer

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Auf dem Markt in Wuhan: „Ob das Virus direkt von der Fledermaus auf den Menschen übertragen wurde oder über einen Zwischenwirt, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.“
Auf dem Markt in Wuhan: „Ob das Virus direkt von der Fledermaus auf den Menschen übertragen wurde oder über einen Zwischenwirt, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.“ © AFP

Der Essener Virologe Ulf Dittmer arbeitet eng mit Forschern im chinesischen Wuhan zusammen. Ein Gespräch über die Herkunft des neuen Coronavirus, dessen Eigenschaften und warum mit dem Auftreten weiterer Erreger zu rechnen ist.

Eine Überraschung sei das Auftreten des Coronavirus Sars-CoV-2 nicht gewesen, sagt Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen. Er bekommt Informationen aus erster Hand: Sein Institut betreibt seit drei Jahren gemeinsam mit chinesischen Wissenschaftlern ein Labor für Virusforscher an der Universität Wuhan, unterstützt von der Provinzregierung Hubei. Bereits seit 1983 besteht eine Kooperation zwischen dem Universitätsklinikum Essen und dem Universitätsklinikum Wuhan.

Herr Dittmer, Ihr Institut am Universitätsklinikum in Essen unterhält gemeinsam mit chinesischen Wissenschaftlern ein Labor für Virusforschung an der Universität in Wuhan. Haben Sie und Ihre Kollegen damit gerechnet, dass ein neuartiges Virus wie Sars-CoV-2 auftreten könnte?

Eine Überraschung war das nicht. Wir haben das immer erwartet, denn wir haben gesehen, dass es in den letzten Jahren relativ viele Ausbrüche von Viren in Asien gab. Dort ist die Gefahr dafür am größten. Seit Jahren haben wir deshalb gemeinsam mit Wissenschaftlern in China darauf hingearbeitet, stabile Strukturen aufzubauen. Die Interaktion mit den Kollegen dort führt dazu, dass wir sehr viel schneller Informationen bekommen können, etwa über die Beschaffenheit eines Virus oder Therapien. Zurzeit treffen wir uns zweimal in der Woche zu einer Videokonferenz mit den Kollegen aus Wuhan, um uns optimal auf die Behandlung von Covid-19 Patienten vorbereiten zu können.

Warum treten gerade in Asien so häufig neuartige Viren auf?

Es gibt Risikofaktoren, die das bedingen. Da ist etwa die lange Tradition im asiatischen Raum, mit lebenden Tieren als Nahrung zu handeln. Zwar wurde das in China bereits vor dem Ausbruch von Sars-CoV-2 verboten, aber trotzdem werden auf jedem Wochenmarkt lebende Tiere verkauft. Für viele Menschen dort gilt seit Jahrhunderten: Fleisch ist frisch, wenn es noch lebt, das betrifft im Übrigen auch Fisch.

Eine Theorie lautet, dass das Virus über die Fledermaus und das Schuppentier als Zwischenwirt zum Menschen gekommen ist, neuerdings werden auch Katzen als Zwischenwirte diskutiert. Gibt es neue Erkenntnisse, welchen Weg der Erreger genommen hat?

Das lässt sich im Nachhinein schwer herausfinden. Fakt ist, dass es in China ein sehr ähnliches Virus in Fledermäusen gibt. Das wurde schon 2015 beschrieben. Ob dieses Virus direkt von der Fledermaus auf den Menschen übertragen wurde oder über einen Zwischenwirt, der sich infiziert hat und auch gegessen wird, lässt sich nicht mehr eindeutig nachvollziehen. Fakt ist, dass auch Fledermäuse in China auf der Speisekarte stehen.

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Zweimal die Woche in der Videokonferenz mit Kollegen aus Wuhan: Virologe Ulf Dittmer.

Wie hat man sich den Vorgang vorzustellen, wenn ein Virus von einer anderen Spezies auf den Menschen überspringt?

Nehmen Sie als Beispiel einen Markt: Dort sitzen viele lebende Wildtiere in einem Käfig, dahinter stehen Menschen, die sie verkaufen, andere Menschen gehen an diesem Käfig vorbei. Diese Art von Kontakt allein stellt schon ein Risiko dar. Noch viel größer wird das Risiko, wenn Menschen so ein Tier mit nach Hause nehmen, es schlachten und zum Essen vorbereiten. Auch Ebola war ein Virus, das auf solche Weise von Flughunden auf Menschen übertragen wurde, allerdings in Afrika.

Könnte ein Virus theoretisch von jeder Tierart auf den Menschen überspringen?

Bei Säugetieren ist das möglich. Bei Reptilien oder Insekten ist der Sprung zum Säugetier jedoch so groß, dass es in der Regel nicht funktioniert. Die Ausnahme ist, wenn ein Insekt, wie zum Beispiel die Mücke, ein Virus nur als Vektor von einem Säugetier auf den Menschen überträgt. Daran kann man ablesen, dass dieses Virus von einem Säugetier gekommen sein muss. Anfangs war ja bei Sars-CoV-2 die Schlange als Wirt im Gespräch. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Rechnen Sie damit, dass das Virus im Laufe der Pandemie mutiert und seine Eigenschaften verändert?

Sars-CoV-2 gehört zu den Viren mit RNA-Erbgut. Solche Viren verändern sich ständig. Die variabelsten Viren, die wir kennen, sind HIV und Hepatitis C. Beide sind ebenfalls RNA-Viren. Wir werden sicher Veränderungen bei diesem Coronavirus sehen, da findet Evolution in Echtzeit statt.

In welche Richtung wird es Ihrer Einschätzung nach gehen, wird das Virus sich abschwächen oder gefährlicher werden?

Das Virus hat eigentlich kein Interesse daran, tief in der Lunge zu sitzen. Lieber möchte es sich in den oberen Atemwegen ansiedeln, weil es sich von dort aus viel leichter verbreiten kann. Ich vermute daher, dass die Evolution eher dazu führt, dass das Virus weiter nach oben wandert und irgendwann nur noch leichte grippale Infekte verursacht. In Deutschland zirkulieren jeden Winter drei bis vier andere Coronaviren, die solche grippalen Infekte verursachen. Ich gehe davon aus, dass sie vor Hunderten von Jahren einen ähnlichen Anfang genommen haben wie das neue Coronavirus, das wir jetzt sehen.

„Für viele Menschen in China gilt seit Jahrhunderten: Fleisch ist frisch, wenn es noch lebt, das betrifft im Übrigen auch Fisch“, sagt Virologe Dittmer.
„Für viele Menschen in China gilt seit Jahrhunderten: Fleisch ist frisch, wenn es noch lebt, das betrifft im Übrigen auch Fisch“, sagt Virologe Dittmer. © rtr

In China sinkt nach offiziellen Angaben der Regierung die Zahl der Infizierten deutlich, die Lage scheint sich zu erholen. Wie erklären Sie und Ihre chinesischen Kollegen sich das? Waren es die drastischen Maßnahmen?

Primär lässt sich das damit begründen. Durch die drastischen Maßnahmen, die sich hier in Europa aber so nie umsetzen ließen, wurden Infektketten komplett unterbrochen. Ob die Zahlen aus China mit angeblich null Infektionen stimmen, sei dahingestellt. Wenn es wirklich so wäre, dass es überhaupt keine Neuinfektionen mehr gäbe, könnte man sofort die Quarantänemaßnahmen beenden. Das tun die Chinesen aber nicht. Sie haben Angst vor einer zweiten Welle, weil sie wissen, dass die Viren sich in immungeschwächten Menschen lange halten und von ihnen ausgeschieden werden können.

Zur Person

Ulf Dittmer ist Professor für Virologie. Er leitet das Institut für Virologie am Universitätsklinikum Essen. Seine Schwerpunkte sind die Erforschung von chronischen Virusinfektionen und die Interaktion des Immunsystems mit Viren. Er hat in Göttingen promoviert und am National Institute of Health in den USA gearbeitet.

Seit 2011 ist er Institutsdirektor in Essen und seit 2016 Gastprofessor an der Huazhong University of Science and Technology in Wuhan. pam

Können Sie sich erklären, warum das Virus sich in Italien trotz Ausgangssperre so stark weiterverbreitet hat?

Die Todeszahlen hängen mit dem gesellschaftlichen und medizinischen System zusammen. In Italien gibt es viele ältere Menschen mit Vorerkrankungen, die in häuslicher Gemeinschaft mit der Familie leben. Wenn schwer an Covid-19 Erkrankte dann in ein überlastetes Krankenhaus kommen, werden einige leider aussortiert und nicht mehr beatmet. Italien hat außerdem den großen Nachteil, dass die exponenzielle Vermehrung des Virus sehr viel schneller stattgefunden hat als bei uns. Italien war als erstes Land in Europa zu einem Zeitpunkt betroffen, als man sich noch nicht darauf vorbereitet hatte.

Es gibt unter Wissenschaftlern unterschiedliche Einschätzungen, ob das Virus sich im Sommer abschwächen wird. Was vermuten Sie?

An der Uniklinik Essen haben wir die größte Nachsorge für lungentransplantierte Patienten in Deutschland. Deswegen beobachten und diagnostizieren wir die üblichen, nur einen grippalen Infekt verursachenden Coronaviren das ganze Jahr. Dabei sehen wir im Sommer einen deutlichen Rückgang, allerdings mit mindestens einmonatiger Verspätung im Vergleich zu Grippeviren. Coronaviren halten sich länger, werden aber weniger, wenn es über einen längeren Zeitraum warm ist. Eine neue Studie bestätigt diese Saisonabhängigkeit von Coronaviren – stellt aber auch fest, dass sich das Absinken der Infiziertenzahl verzögern kann, wenn zum Zeitpunkt der saisonbedingten Abschwächung des Erregers noch zu viele Menschen infiziert sind.

Im kommenden Herbst könnte das Virus dann aber wieder auftreten?

Ja, davon ist auszugehen. Dann hoffentlich abgeschwächt, wie besprochen.

Viele Hoffnungen ruhen jetzt darauf, einen Impfstoff zu finden. Bei Sars und Mers gab es bereits Forschung nach einem Impfstoff. Beide Erreger sind ebenfalls Coronaviren und eng verwandt mit Sars-CoV-2. Was ist aus dieser Forschung geworden, kann man sie für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Sars-CoV-2 nutzen?

Man kann sie sehr gut nutzen. Bei Sars 1 gab es hervorragende Ansätze, die nicht mehr weitergeführt wurden, als das Virus komplett verschwunden war. Bei Mers kann man Dromedare impfen, die das Reservoir für das Virus sind. Der Virologe Gerd Sutter vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung in München hat diesen Impfstoff entwickelt und jetzt eine Proteinstruktur des Mers-Virus beim Vakzin gegen eine des neuen Coronavirus ausgetauscht. Das, was man von Mers gelernt hat, lässt sich sehr gut als Basis für einen neuen Impfstoff verwenden. Aber das ist nur ein Ansatz, es gibt noch viele andere.

Rechnen Sie auch damit, dass im nächsten Jahr ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird?

Es wird sehr schnell gehen – und ein Jahr ist sehr schnell, sonst dauert es eher zehn Jahre, einen Impfstoff zu entwickeln.

Auch an Medikamenten wird geforscht. Bakterien lassen sich mit Antibiotika grundsätzlich gut bekämpfen, lässt man Resistenzen einmal beiseite. Bei Viren scheint es schwieriger zu sein, vergleichbare Wirkstoffe zu finden.

Es ist schwierig, aber es hat in den letzten zehn Jahren riesige Entwicklungen gegeben. Bis in die 1990er Jahre hinein haben wir faktisch über gar keine virusspezifischen Medikamente verfügt, bei HIV haben wir heute zirka 30 verschiedene. Und Hepatitis C lässt sich heute mit einem antiviralen Mittel heilen.

Warum lassen sich Infektionen mit Viren im Allgemeinen schlechter behandeln als solche mit Bakterien?

Bei Bakterien gibt man ein Antibiotikum, das im Blut direkt gegen sie wirkt. Das ist bei Viren nicht möglich, weil sie sich nur in Zellen vermehren. Deshalb muss man Medikamente entwickeln, die in Zellen wirken und dort nur gegen die Viren, denn sie sollen ja den Zellen nicht schaden. Erst in den letzten 30 Jahren hat man spezifische Angriffspunkte gefunden, um in die Vermehrung von Viren einzugreifen.

Rechnen Sie für die Zukunft mit weiteren, bislang unbekannten Viren?

Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir ein neues Virus sehen. Darauf müssen wir uns vorbereiten und die internationale Zusammenarbeit pflegen, gerade mit asiatischen Ländern. Denn die nächsten Erreger werden wahrscheinlich wieder aus dem asiatischen Raum kommen. Aber wir müssen auch Afrika im Blick haben. Die Chinesen haben ein unglaubliches Überwachungsprogramm für neu auftretende Viren, viel besser als in Europa. Wenn wir die Kooperation mit den Wissenschaftlern dort halten, können wir davon profitieren, dass Viren schnell entdeckt werden.

Interview: Pamela Dörhöfer

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