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Infektionsgeschehen
Dem Virus auf der Spur: Neue Corona-Mutation wirft Fragen auf
- vonPamela Dörhöferschließen
Es ist normal, dass das Coronavirus mutiert. Ob die Corona-Mutation auch gefährlicher wird, können Forschende derzeit noch nicht eindeutig beantworten.
- Das Coronavirus und die Bemühungen um dessen Eindämmung bestimmen weiterhin den Alltag.
- Eine in Großbritannien entdeckte Mutation wirft Fragen nach der Veränderung des Virus auf.
- Forschende vermuten, dass die mutierte Corona-Variante sich deutlich schneller verbreiten könnte.
Berlin – VUI-202012/01 – so lautet der sperrige Name der Virus-Variante, die bei den Menschen in Europa Ängste auslöst. VUI steht für „Variant under Investigation“, für eine „Variante in Untersuchung“ von Sars-CoV-2, die verschiedene Mutationen des Virus umfasst und sich seit September beschleunigt in Großbritannien ausgebreitet hat, wo sie mittlerweile sogar die häufigste zirkulierende Variante sein könnte.
Virologe Christian Drosten zur Corona-Mutation: Viele Aussagen beruhen auf Schätzungen
Laut ersten Befunden könnte sie ansteckender sein als die bisher kursierenden Coronaviren, vermutlich um bis zu 70 Prozent infektiöser. Mehrere europäische Staaten, darunter Deutschland, haben deshalb die Einreise aus dem Vereinigten Königreich gestoppt.
Sind die Sorgen berechtigt? Der Charité-Virologe Christian Drosten sagte am Montag dem Deutschlandfunk, „alles andere als beunruhigt“ zu sein. Noch sei vieles, was über die neue Virus-Variante geschrieben und gesagt werde, nicht wissenschaftlich bestätigt, so beruhten die Aussagen zur höheren Infektiosität nicht auf gesicherten Erkenntnissen, sondern Schätzwerten.
Bereits bekannt ist: Hinter VUI-202012/01 verbirgt sich nicht eine einzelne Mutation im Virusgenom, sondern eine Reihe von Mutationen. Sie alle betreffen das Spike-Protein.
Corona-Fälle insgesamt | Genesen | Todesfälle |
Hessen: 122.638 | 91.819 | 2.200 |
Deutschland: 1.534.218 | 1.147.943 | 27.110 |
Weltweit: 77.307.971 | 43.570.827 | 1.701.085 |
Stand: 22.12.2020 | Quelle: Johns Hopkins University |
Neue Variante des Coronavirus: Mutationen von Viren sind nichts ungewöhnliches
Dieses verleiht Sars-CoV-2 seine Stacheloptik und ermöglicht es ihm, in Zellen einzudringen, indem es sich an Rezeptoren auf deren Oberfläche heftet. Eine dieser Mutationen wirkt sich direkt auf die Bindungsstelle des Spike-Proteins aus, die den Kontakt mit dem menschlichen ACE2-Rezeptor herstellt.
Mutationen kommen bei Viren häufig vor – insbesondere bei jenen, deren Erbgut aus Ribonukleinsäure (RNA) besteht, wie es bei Sars-CoV-2 der Fall ist. Denn die einzelsträngige RNA ist sehr anfällig für Kopierfehler, wenn sie sich in den Zellen ihrer Wirte vermehrt. Beispiele für häufig mutierende Erreger sind das Influenza-Virus oder das HI-Virus. Im Vergleich dazu verändert sich Sars-CoV-2 seltener. Gleichwohl wurden laut einem Bericht in „Spektrum der Wissenschaft“ bis September bereits rund 12.000 einzelne Mutationen des Coronavirus katalogisiert. Ein Großteil davon blieb vermutlich ohne Folgen für die Infektiosität oder Gefährlichkeit des Virus.
Corona-Mutation: Forschende in Großbritannien starten Untersuchungen
Bisher hat sich ein Komplex aus drei Mutationen als besonders durchsetzungsfähig erwiesen, er trägt den Namen G-Variante. Diese Variante tauchte Ende Januar auf und dominiert etwa seit März das Infektionsgeschehen in Europa, Kanada, Teilen der USA und Australien, wo sie das ursprüngliche Virus aus dem chinesischen Wuhan verdrängt hat.
Ob die in Großbritannien entdeckte Variante zu Ähnlichem in der Lage wäre, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Forschende der „New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group“, eines Beratungsgremiums der britischen Regierung, wollen in dieser Woche in den betroffenen Regionen detaillierte epidemiologische Daten erheben und in laufenden Experimenten mit Zellkulturen und Tieren klären, über welche Eigenschaften die Virus-Variante verfügt.
Forschende über die Corona-Mutation: „Steigerung der Übertragbarkeit“
In einem ersten Bericht äußern sie aber den Verdacht, dass die Mutationen zu einer „wesentlichen Steigerung der Übertragbarkeit im Vergleich zu anderen Sars-CoV-2 führen könnte“. So schätzen sie, dass der R-Wert um 0,39 bis 0,93 erhöht sein könnte. Der R-Wert zeigt an, wie viele Menschen ein Infizierter im Mittel ansteckt.
Die gesicherten Erkenntnisse seien noch sehr lückenhaft, sagt Jörg Timm, Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Die Tatsache, dass die Variante sich so rasch in England verbreite, lasse aber eine effizientere Übertragung vermuten. Allerdings bedeute das nicht, dass dieses Virus auch eine schwerere Erkrankung auslöse. Ungeklärt sei auch, ob es für „die Immunantwort ein Problem darstellen kann“. Derzeit gehen die meisten Fachleute davon aus, dass die Wirksamkeit der Impfung nicht berührt ist.
Neue Daten zur B.1.1.7-Mutante (heute veröffentlicht). Das sieht leider nicht gut aus. Positiv ist, dass Fälle mit der Mutante bisher nur in Gebieten zunahmen, wo die Gesamtinzidenz hoch oder ansteigend war. Kontaktreduktion wirkt also auch gegen die Verbreitung der Mutante. https://t.co/s3Wd3X7ukF
— Christian Drosten (@c_drosten) December 21, 2020
Verbreitung des mutierten Coronavirus: Schlechte Datenlage in Deutschland
Die neue Variante aus Großbritannien ist bislang vereinzelt auch in Dänemark, den Niederlanden, Belgien und Australien nachgewiesen worden, bei den Fällen aus Südafrika hingegen handelt es sich vermutlich um eine andere Variante. In Deutschland wurde die britische Variante bislang noch nicht festgestellt. Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien an der Universität Basel, vermutet jedoch, dass sie auch schon hier angekommen ist.
„Die Datenlage in Deutschland ist für belastbare Aussagen zur Verbreitung einzelner Sars-CoV-2-Varianten nicht ausreichend“, erklärt Jörg Timm. Es fehlten dafür die nötigen Strukturen für eine regelmäßige Virussequenzierung. Deshalb hätten „wir momentan nur ein sehr lückenhaftes und verzerrtes Bild von Sars-CoV-2-Varianten und würden es wahrscheinlich erst sehr spät bemerken, wenn neue Varianten in Deutschland zirkulieren“. (Pamela Dörhöfer)
Rubriklistenbild: © Science Photo Library/ imago