Corona-Boosterimpfung schützt besonders die Schwachen

Wie die Corona-Vakzine wirken und was Genesene wirklich brauchen, zeigt die Auswertung unterschiedlicher Studien.
Frankfurt – Wie lange schützt die Impfung vor einer Infektion, wie lange vor Erkrankung? Welche Aussagekraft haben Antikörpertests? Welche Erkenntnisse gibt es zu Boosterimpfungen? Mit welchen Symptomen ist zu rechnen, wenn man sich trotz Impfung ansteckt? Ein Überblick zu aktuellen Corona-Fragen:
Impfschutz Dass die Impfung nicht dauerhaft vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützt, deutete sich bereits im Frühsommer an, als in Israel die Infektionszahlen stiegen. Darauf folgende Studien aus Israel bestätigten, dass Durchbruchsinfektionen nach fünf Monaten wahrscheinlicher und umso häufiger werden, je früher jemand die Impfung erhalten hatte. Besonders betroffen waren ältere Menschen.
Mittlerweile liegen mehrere Studien aus verschiedenen Ländern vor. Die meisten zeigen, dass der Schutz vor Infektion etwa fünf Monate nach der zweiten Impfung auf etwa 50 Prozent fällt und danach kontinuierlich nachlässt. Und dass auch der Schutz vor Erkrankung sinkt, wenngleich bei Geimpften dann meist nur Erkältungssymptome auftreten. Unklar ist, ob der Schutz irgendwann komplett verschwindet, die Impfung also auch nicht mehr vor schwerem Verlauf und Tod bewahrt.
Das Fazit aller Studien: Die Wirksamkeit der Corona-Impfung nimmt mit der Zeit ab
Die Wirksamkeit lässt indes nicht bei allen Vakzinen gleich schnell nach (und auch nicht mit einem „Stichtag“ von heute auf morgen). Blickt man auf die in der Europäischen Union zugelassenen Produkte, so schneidet der mRNA-Impfstoff von Moderna am besten ab, gefolgt von Biontech/Pfizer. Schlusslichter sind die Vektorimpfstoffe von Johnson & Johnson und Astrazeneca, die bereits mit einer geringeren Anfangswirksamkeit zwischen 65 und 80 Prozent im Vergleich zu mehr als 90 Prozent bei den mRNA-Vakzinen starten.
Eine der großen Studien zum Thema Impfschutz stammt aus Schweden, hier flossen die Daten von 1,6 Millionen Menschen ein, die Hälfte von ihnen geimpft. Es stellte sich heraus, dass der Impfschutz bei Biontech/Pfizer zwischen Tag 121 und Tag 189 nach der zweiten Impfung – also zwischen dem vierten und sechsten Monat – auf Werte von 47 Prozent fiel. Nach dem 211. Tag – sieben Monaten – konnte keine Wirksamkeit mehr festgestellt werden.
Bei Moderna mit der im Vergleich zu Biontech/Pfizer mehr als dreifachen Menge an mRNA lag er nach sechs Monaten noch bei 59 Prozent. Bei Astrazeneca ließ sich bereits nach 121 Tagen – vier Monaten – keine Wirksamkeit mehr feststellen. Allerdings blieb die Wirksamkeit nach 121 Tagen mit 66 Prozent vergleichsweise hoch, wenn eine erste Dosis Astrazeneca mit einem mRNA-Impfstoff als zweiter Dosis kombiniert worden war (heterologes Impfschema).
Corona-Auffrischungsdosis empfohlen und sogar überlebenswichtig
Das Fazit der Studie: Die Wirksamkeit gegen eine symptomatische Covid-19-Infektion nehme im Laufe der Zeit in allen Untergruppen allmählich ab, heißt es, „jedoch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit je nach Art des Impfstoffs und schneller bei Männer und älteren gebrechlichen Personen“. Die Wirksamkeit gegen schwere Erkrankungen scheine „über neun Monate hoch zu bleiben“, allerdings „nicht bei Männern, älteren gebrechlichen Menschen und Menschen mit Komorbiditäten“. Die Studienautorinnen und -autoren sehen in ihren Ergebnissen eine „evidenzbasierte Begründung für die Verabreichung einer dritten Auffrischungsdosis“.
Eine Studie aus Katar auf Basis der Daten von knapp einer Million Menschen kommt zu noch schneller sinkenden Werten. Demnach soll der Schutz vor Infektion durch den Impfstoff von Biontech/Pfizer fünf bis sieben Monate nach der zweiten Dosis nur noch etwa 20 Prozent betragen. Die Wirksamkeit gegen symptomatische Infektionen sei etwas höher, aber ähnlich zurückgegangen. Allerdings grassierte in Katar im Studienzeitraum neben der Delta-Variante auch die Beta-Variante von Sars-CoV-2, die in Verdacht steht, sich der Immunantwort zumindest teilweise entziehen zu können.
Ohne Boosterimpfung: Neue Corona-Virus-Varianten könnten ein Problem werden
Möglicherweise auftretende neue Varianten könnten ein Problem werden. Denn alle Impfstoffe wurden gegen den Wildtypus von Sars-CoV-2 entwickelt. Gegen Delta wirken sie noch sehr gut. Die Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna haben bereits mitgeteilt, dass sich ihre Vakzine relativ leicht anpassen ließen.
Individuelles Risiko Unabhängig von der Art des Impfstoffs und dem Zeitpunkt der Impfung: Das Risiko, ob man sich ansteckt und wie schwer man erkrankt, ist individuell unterschiedlich. Es hängt vom eigenen Immunsystem, dem Alter und Vorerkrankungen ab. Auch bislang unbekannte genetische Faktoren könnten eine Rolle spielen. So bildet nicht jeder Mensch nach einer Impfung gleich viele Antikörper, nicht jeder ist gleich lange geschützt. Manche Menschen reagieren zudem überhaupt nicht auf eine Impfung, sie werden als „Non Responder“ oder „Impfversager“ bezeichnet. Studien zeigen ein erhöhtes Risiko, trotz Impfung schwer zu erkranken, für alte Menschen (besonders männlichen Geschlechts), Menschen mit starkem Übergewicht, Diabetes, Demenz oder Lungenerkrankungen sowie für Patientinnen und Patienten, die Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems nehmen müssen (etwa Organtransplantierte).
Größte Ansteckungsgefahr ist das Zusammenleben mit Corona-Infizierten in einem Haushalt
Das persönliche Verhalten, also ob man Abstand hält, ob und welche Maske man trägt, wirkt sich auch bei Geimpften auf das Ansteckungsrisiko aus. Bei engen Kontakten, etwa wenn man mit Infizierten in einem Haushalt lebt, ist die Ansteckungsgefahr am größten.
Immunität Genesener Zur Frage, wer besser und länger geschützt ist, Geimpfte oder Genesene, liefern Studien widersprüchliche Antworten. Während eine frühere Arbeit ein Schwinden der Antikörper bei Genesenen bereits nach einem halben Jahr konstatierte und die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC Geimpfte als besser geschützt vor schwerer Erkrankung ansieht, kommen andere Studien zu gegenteiligen Ergebnissen.
Eine jüngere Studie wies bei Genesenen neutralisierende Antikörper noch nach zwölf Monaten nach, eine andere fand auch nach 15 Monaten noch Gedächtnis B- und T- Zellen des Immunsystems – wenngleich nach sechs Monaten eine signifikante Abnahme beobachtet wurde. Forschende der amerikanischen Cleveland Clinic Ohio zogen in einer weiteren Studie sogar die Schlussfolgerung, dass Genesene nicht von einer Impfung profitierten. Diese Studie lief allerdings nur fünf Monate lang.
Corona-Genesene sind nachweislich genauso gut geschützt wie Geimpfte
Insgesamt dürfte es auch bei der Immunität nach durchgemachter Infektion große individuelle Unterschiede geben. Viele in der Wissenschaft gehen davon aus, dass eine heftigere Erkrankung in der Regel zu mehr Antikörpern führt als ein leichter Verlauf oder eine symptomlose Infektion.
Die Deutsche Gesellschaft für Virologie schreibt in einer Ende September aktualisierten Stellungnahme: In den ersten sechs Monaten nach durchgemachter Infektion sei der Schutz vor erneuter Sars-CoV-2-Infektion „mindestens so gut ausgeprägt“ wie der Schutz von vollständig Geimpften. Darüber hinaus zeigten Untersuchungen, dass eine durchgemachte Infektion auch nach einem Jahr „noch sehr gut vor Reinfektionen und schweren Covid-19 Krankheitsverläufen schützt“.
Schon bald soll es eine Empfehlung für die Corona-Boosterimpfungen ab 18 Jahre geben
Antikörpertests Es klingt ganz einfach: mit einem Bluttest die Konzentration der Antikörper bestimmen lassen und danach wissen, wie gut man aktuell vor einer Infektion mit dem Coronavirus geschützt ist – und ob man eine Auffrischungsimpfung braucht. Doch ganz so eindeutig verhält es sich leider nicht. Tatsächlich ist die Aussagekraft von Antikörpertests begrenzt, das Ergebnis kann allenfalls einen Anhaltspunkt liefern. Immerhin hat die Weltgesundheitsorganisation WHO mittlerweile einen Standard für den Messwert definiert. Er lautet BAU/ml; BAU steht für „binding antibody units“. Allerdings fehlen nach wie vor Schwellenwerte, die anzeigen, ab wann man sicher vor einer Infektion geschützt ist.
Eine Schwäche der meisten Tests besteht auch darin, dass sie nur nach Antikörpern im Blut suchen und andere Komponenten der Immunantwort außer Acht lassen. Letztlich lässt sich aber nicht ausschließen, dass jemand selbst mit geringer Anzahl von Antikörpern noch geschützt ist. So sind bestimmte Zellen des Immunsystems wie die Gedächtnis-T- und Gedächtnis-B-Zellen entscheidend für eine langfristige Immunität. Ihr Nachweis im Blut ist jedoch aufwendiger als ein Antikörpertest beziehungsweise wäre zum Teil nur über das Knochenmark möglich.
WHO-Chef nennt Corona-Booster für Gesunde einen „Skandal“
Booster Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission, stellte am Dienstag in der Talkshow „Markus Lanz“ in Aussicht, dass es in Deutschland für alle Menschen ab 18 Jahren eine Empfehlung für eine Boosterimpfung geben werde. Der Hausärzteverband hingegen fordert eine Priorisierung: Zuerst sollten über 70-Jährige und chronisch Kranke einen Booster erhalten.
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus bezeichnete Booster für Gesunde am vergangenen Freitag gar als „Skandal“, der gestoppt werden müsse. „Täglich werden weltweit sechs Mal mehr Auffrischimpfungen verabreicht als erste Impfdosen in Ländern mit niedrigen Einkommen.“
Etliche Länder haben bereits mit Boosterimpfungen begonnen. Vorreiter war wieder Israel, von dort kommen auch die ersten Auswertungen: Demnach lag der Schutz nach der Auffrischung wieder beim hohen Ausgangswert. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen soll über alle Altersgruppen um 93 Prozent zurückgegangen sein. Die Analyse aus Israel legt zudem die Annahme nahe, dass die Wirkung ähnlich wie auch nach der Grundimmunisierung erst nach einer Frist von etwa zwölf Tagen einsetzt.
Alles zu Corona-Boosterimpfungen, Nebenwirkungen und Symptomen
Boosterimpfstoffe In Deutschland werden für Auffrischungsimpfungen nur die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna eingesetzt. Bei Moderna wird die Dosis halbiert.
Nebenwirkungen Nach bisherigen Erfahrungen sind die Impfreaktionen ähnlich wie nach der zweiten Impfdosis. Allerdings wurden lokale Reaktionen wie Schmerzen an der Einstichstelle etwas häufiger beobachtet. Typische Beschwerden sind demnach auch bei der Auffrischung Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Schüttelfrost und Fieber, die in der Regel etwa ein bis zwei Tage anhalten. Etwas länger andauern kann eine Schwellung der Lymphknoten. Zu möglichen Nebenwirkungen wie einer Herzmuskelentzündung lässt sich derzeit noch nichts sagen.
Symptome Wer sich trotz Impfung ansteckt, merkt oft nichts davon oder erkrankt nur „mild“. Was ist darunter zu verstehen? Durchbruchsinfektionen ähneln häufig einer Erkältung. Symptome können Kopfschmerzen, Schnupfen, Halsschmerzen sowie Geruchs- und Geschmacksverlust sein. Die klassischen Covid-Beschwerden wie Husten und Fieber treten bei Geimpften seltener auf. (Pamela Dörhöfer)